Rheinische Post - Xanten and Moers
Für Medikamente ins Nachbarland
Angesichts knapper Vorräte an Schmerzmitteln und Fiebersäften decken sich viele Deutsche in den Niederlanden ein. Doch auch dort gibt’s Mangellagen.
NIEDERRHEIN/NIEDERLANDE Die niederländischen Supermärkte in der Grenzregion kennen ihre Kunden. „Lassen Sie sich von unserem vielseitigen und günstigen Sortiment von Kaffee(bohnen), Keksen, Käse und Medikamenten überraschen“, heißt es auf der Internetseite des kleinen Supermarktes in Ven-Zelderheide. Zum Sortiment, das bei deutschen Kunden beliebt ist, gehören Arzneimittel, die bei uns nur in der Apotheke erhältlich sind, wie selbstverständlich dazu.
Und wenn in Deutschland manche Arzneien knapp werden, wie derzeit Fiebersaft für Kinder, sind die Geschäfte direkt hinter der Grenze gleich doppelt beliebt. Schließlich geben sich Eltern mitunter schon Tipps, welche Apotheke in der Region noch Fiebersaft vorrätig hat. Da liegt die Idee, ins Nachbarland zu fahren, auf der Hand. Kaufen die Deutschen jetzt den Fiebersaft in der Grenzregion weg? Wir haben uns umgeschaut.
Von generell leer gefegten Regalen ist jedenfalls keine Spur. In den Apotheken und Supermärkten findet man Schmerzmittel im Allgemeinen nach wie vor. In den niederländischen Medien ist eine Knappheit von Fiebersäften für Kinder auch kein so großes Thema wie in Deutschland. Trotzdem klafft gerade bei den Fiebersäften schon so manche Lücke im Sortiment direkt hinter der Grenze. Hier macht sich offenbar auch der Einkaufstourismus bemerkbar.
Auf Nachfrage bestätigte ein Markt unserer Redaktion, dass es zwar keinen Mangel an Paracetamol oder Ibuprofen im Geschäft gebe. Allerdings seien Fiebersäfte und -zäpfchen für Kinder derzeit ausverkauft. Und so ist das Supermarkt-Fach, in dem es normalerweise den Paracetamol-Saft für Kinder ab drei Monaten gibt, leer.
Medikamenten-Tourismus ist nichts Neues: Arzneimittel sind in den Niederlanden mitunter günstiger als in Deutschland. Zudem wird der Markt für Arzneimittel im Nachbarland weniger stark reguliert als in Deutschland. Während es zum Beispiel Schmerzmittel wie Paracetamol und Ibuprofen bei uns nur in der Apotheke gibt, sind sie in den Niederlanden auch im Supermarkt erhältlich – und das in beachtlichen Mengen. In einem Markt in Venlo fanden wir die Arzneimittel zum Beispiel in großen Gitterkörben und direkt neben der Süßigkeiten-Abteilung. Und auch deutsche Kunden, die wir vor Ort treffen, bestätigen den Eindruck: Für die Medizin über die Grenze, ganz normal.
Dennoch gibt es auch in den Niederlanden Probleme mit Medikamentenknappheit. Lisette Darman führt eine Apotheke in der niederländischen Grenzgemeinde Haaksbergen. Sie sagt: „Derzeit ist die Situation sehr unschön. Hunderte Rezepte werden täglich bei uns eingereicht. Und es ist ein Glück, wenn wir das gewünschte Medikament mal sofort vorrätig haben.“Insbesondere Antibiotika sowie Mittel gegen Gicht und Allergien würden derzeit fehlen. „Gelegentlich sagen wir den Kunden auch, dass sie es besser mal bei Apotheken in Deutschland versuchen“, sagt Darman. Eine Apothekerin aus Venlo erklärt: „Die Probleme sind bei uns mindestens genauso groß wie in Deutschland. Das liegt sicher auch daran, dass wir ähnliche Lieferketten haben.“An Schmerztabletten würde es in den Niederlanden derzeit jedoch nicht mangeln.
Seit Juli gilt in den Niederlanden eine Vorratspflicht für alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Allerdings verweist das Gesundheitsministerium in Den Haag darauf, dass es zwei Jahre dauern würde, bis die Vorräte aufgebaut sind. Zudem wolle man den Dialog mit anderen EU-Mitgliedstaaten suchen, um wieder mehr Grundstoffe für Arzneimittel in Europa herzustellen.
Vorerst aber könnte eine Insolvenz für noch größere Schwierigkeiten im Nachbarland sorgen. Die Firma InnoGenerics aus Leiden stellt ihren Betrieb ein. Sie produziert Medikamente zur Behandlung von Gicht, Epilepsie oder Diabetes. „Dies bereitet unseren Patienten und den Apothekern große Sorgen. Wir sehen, dass die Engpässe weiter zunehmen“, so heißt es vom KNMP.
Und wie geht es in Deutschland weiter? Dass man hier nur schwer einen Fiebersaft für ein Kind bekomme, der im Ausland noch erhältlich ist, sei inakzeptabel, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Er wolle nun schnell gegen die Engpässe bei Kinderarzneimitteln
vorgehen. Die Krankenkassen sollen dazu die Kosten für teurere Ausweichmedikamente übernehmen, erklärte Lauterbach. Längerfristig will der SPD-Politiker dafür sorgen, dass die Preisvorschriften für Kinderarzneien gelockert werden, wieder Medikamente von europäischen Herstellern ins Spiel kommen und Vorräte der preisgünstigsten Arzneien angelegt werden.
Er warb aber auch um Geduld: „Die Discounter-Politik hat die Arzneimittelversorgung kontinuierlich über Jahrzehnte verschlechtert. Das zurückzudrehen, geht nicht über Nacht“, erklärte er. Kurzfristig dürfen die Apotheken nach Lauterbachs Plänen nun wirkstoffgleiche, teurere Arzneimittel abgeben, wenn das günstigste Medikament nicht vorrätig ist, oder aus Pillen Säfte machen. Die Mehrkosten werden von den Krankenkassen übernommen.