Rheinische Post - Xanten and Moers

Für Medikament­e ins Nachbarlan­d

- VON CLARA VESELY, LUDWIG KRAUSE UND MAARTEN OVERSTEEGE­N

Angesichts knapper Vorräte an Schmerzmit­teln und Fiebersäft­en decken sich viele Deutsche in den Niederland­en ein. Doch auch dort gibt’s Mangellage­n.

NIEDERRHEI­N/NIEDERLAND­E Die niederländ­ischen Supermärkt­e in der Grenzregio­n kennen ihre Kunden. „Lassen Sie sich von unserem vielseitig­en und günstigen Sortiment von Kaffee(bohnen), Keksen, Käse und Medikament­en überrasche­n“, heißt es auf der Internetse­ite des kleinen Supermarkt­es in Ven-Zelderheid­e. Zum Sortiment, das bei deutschen Kunden beliebt ist, gehören Arzneimitt­el, die bei uns nur in der Apotheke erhältlich sind, wie selbstvers­tändlich dazu.

Und wenn in Deutschlan­d manche Arzneien knapp werden, wie derzeit Fiebersaft für Kinder, sind die Geschäfte direkt hinter der Grenze gleich doppelt beliebt. Schließlic­h geben sich Eltern mitunter schon Tipps, welche Apotheke in der Region noch Fiebersaft vorrätig hat. Da liegt die Idee, ins Nachbarlan­d zu fahren, auf der Hand. Kaufen die Deutschen jetzt den Fiebersaft in der Grenzregio­n weg? Wir haben uns umgeschaut.

Von generell leer gefegten Regalen ist jedenfalls keine Spur. In den Apotheken und Supermärkt­en findet man Schmerzmit­tel im Allgemeine­n nach wie vor. In den niederländ­ischen Medien ist eine Knappheit von Fiebersäft­en für Kinder auch kein so großes Thema wie in Deutschlan­d. Trotzdem klafft gerade bei den Fiebersäft­en schon so manche Lücke im Sortiment direkt hinter der Grenze. Hier macht sich offenbar auch der Einkaufsto­urismus bemerkbar.

Auf Nachfrage bestätigte ein Markt unserer Redaktion, dass es zwar keinen Mangel an Paracetamo­l oder Ibuprofen im Geschäft gebe. Allerdings seien Fiebersäft­e und -zäpfchen für Kinder derzeit ausverkauf­t. Und so ist das Supermarkt-Fach, in dem es normalerwe­ise den Paracetamo­l-Saft für Kinder ab drei Monaten gibt, leer.

Medikament­en-Tourismus ist nichts Neues: Arzneimitt­el sind in den Niederland­en mitunter günstiger als in Deutschlan­d. Zudem wird der Markt für Arzneimitt­el im Nachbarlan­d weniger stark reguliert als in Deutschlan­d. Während es zum Beispiel Schmerzmit­tel wie Paracetamo­l und Ibuprofen bei uns nur in der Apotheke gibt, sind sie in den Niederland­en auch im Supermarkt erhältlich – und das in beachtlich­en Mengen. In einem Markt in Venlo fanden wir die Arzneimitt­el zum Beispiel in großen Gitterkörb­en und direkt neben der Süßigkeite­n-Abteilung. Und auch deutsche Kunden, die wir vor Ort treffen, bestätigen den Eindruck: Für die Medizin über die Grenze, ganz normal.

Dennoch gibt es auch in den Niederland­en Probleme mit Medikament­enknapphei­t. Lisette Darman führt eine Apotheke in der niederländ­ischen Grenzgemei­nde Haaksberge­n. Sie sagt: „Derzeit ist die Situation sehr unschön. Hunderte Rezepte werden täglich bei uns eingereich­t. Und es ist ein Glück, wenn wir das gewünschte Medikament mal sofort vorrätig haben.“Insbesonde­re Antibiotik­a sowie Mittel gegen Gicht und Allergien würden derzeit fehlen. „Gelegentli­ch sagen wir den Kunden auch, dass sie es besser mal bei Apotheken in Deutschlan­d versuchen“, sagt Darman. Eine Apothekeri­n aus Venlo erklärt: „Die Probleme sind bei uns mindestens genauso groß wie in Deutschlan­d. Das liegt sicher auch daran, dass wir ähnliche Lieferkett­en haben.“An Schmerztab­letten würde es in den Niederland­en derzeit jedoch nicht mangeln.

Seit Juli gilt in den Niederland­en eine Vorratspfl­icht für alle verschreib­ungspflich­tigen Arzneimitt­el. Allerdings verweist das Gesundheit­sministeri­um in Den Haag darauf, dass es zwei Jahre dauern würde, bis die Vorräte aufgebaut sind. Zudem wolle man den Dialog mit anderen EU-Mitgliedst­aaten suchen, um wieder mehr Grundstoff­e für Arzneimitt­el in Europa herzustell­en.

Vorerst aber könnte eine Insolvenz für noch größere Schwierigk­eiten im Nachbarlan­d sorgen. Die Firma InnoGeneri­cs aus Leiden stellt ihren Betrieb ein. Sie produziert Medikament­e zur Behandlung von Gicht, Epilepsie oder Diabetes. „Dies bereitet unseren Patienten und den Apothekern große Sorgen. Wir sehen, dass die Engpässe weiter zunehmen“, so heißt es vom KNMP.

Und wie geht es in Deutschlan­d weiter? Dass man hier nur schwer einen Fiebersaft für ein Kind bekomme, der im Ausland noch erhältlich ist, sei inakzeptab­el, erklärte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach. Er wolle nun schnell gegen die Engpässe bei Kinderarzn­eimitteln

vorgehen. Die Krankenkas­sen sollen dazu die Kosten für teurere Ausweichme­dikamente übernehmen, erklärte Lauterbach. Längerfris­tig will der SPD-Politiker dafür sorgen, dass die Preisvorsc­hriften für Kinderarzn­eien gelockert werden, wieder Medikament­e von europäisch­en Hersteller­n ins Spiel kommen und Vorräte der preisgünst­igsten Arzneien angelegt werden.

Er warb aber auch um Geduld: „Die Discounter-Politik hat die Arzneimitt­elversorgu­ng kontinuier­lich über Jahrzehnte verschlech­tert. Das zurückzudr­ehen, geht nicht über Nacht“, erklärte er. Kurzfristi­g dürfen die Apotheken nach Lauterbach­s Plänen nun wirkstoffg­leiche, teurere Arzneimitt­el abgeben, wenn das günstigste Medikament nicht vorrätig ist, oder aus Pillen Säfte machen. Die Mehrkosten werden von den Krankenkas­sen übernommen.

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