Rheinische Post - Xanten and Moers
Fußball gibt Danyil neue Lebensfreude
Der Zehnjährige ist mit seiner Mutter aus dem ukrainischen Lwiw geflüchtet. Bei Viktoria Birten spielt er in der E-Jugend. Auf dem Sportplatz legt der Junge seine Schüchternheit ab. So läuft die Integrationsarbeit beim Dorfklub.
XANTEN Seit mehr als zehn Monaten fallen Bomben in der Ukraine. „Als der Krieg ausbrach, erlitt meine Mutter einen Schlaganfall und starb. Daraufhin habe ich mit meinem Sohn das Land verlassen“, sagt Olena Bilyek, die in Xanten Zuflucht gefunden hat. Ihren Vater verlor die Ukrainerin, als sie noch ein Kind war. Mit ihrem zehnjährigen Sohn Danyil machte sie sich aus dem ukrainischen Lwiw (ehemals Lemberg) auf die Flucht und landete nach einigen Umwegen am 21. April vergangenen Jahres in der Römerstadt.
Nachdem Mutter und Sohn zunächst für eineinhalb Monate provisorisch im St.-Josef-Hospital untergebracht wurden, bot Sabine Potthoff den beiden an, im Haus ihrer Familie bei Vynen zu leben. Als sachkundige Bürgerin der Xantener FBI-Fraktion kam Potthoff mit ihrem Parteifreund Uwe Schmidtke ins Gespräch, der nicht nur Ratsmitglied, sondern auch zweiter Geschäftsführer von Viktoria Birten ist.
„In Birten leben etwa 40 bis 50 Ukrainerinnen und Ukrainer, die wir zu unserer jährlichen Halloweenfeier eingeladen haben. Ich habe die beiden gefragt, ob sie nicht dabei sein wollen“, sagt Schmidtke. Wollten sie. Vor allem Danyil sei „total begeistert“von dem Event gewesen. Schmidtke blieb dabei nicht verborgen, dass die Blicke des Jungen immer wieder Richtung Fußballplatz gingen. „In Lemberg habe ich eine Musikschule besucht. Und wann immer es ging, mit Mama Fußball gespielt“, erzählt Danyil. „Scheiben sind dabei nie zu Bruch gegangen“, ergänzt Mutter Olena, die als Psychologin im Schuldienst gearbeitet hat.
Auf die Bolzerei hinterm Haus muss Danyil übrigens nicht verzichten, sagt Olena Bilyek. „Bekannte von uns wohnen in der Nähe, sie haben zwei Söhne, die gerne Fußball spielen. Allerdings dürften die Nachbarjungen schon bald den einen oder anderen „Tunnel“durch die Beine wegstecken müssen, denn Danyil nimmt seit zweieinhalb Monaten am Training der E-Jugend teil. Bis zum Start der Rückrunde sollte sein Spielerpass eingetroffen sein. Welche Position er dann einnehmen wird, hat Trainer Marcel Hartjes noch nicht entschieden.
„Am liebsten würde ich im Tor oder in der Verteidigung stehen“, wünscht sich der ukrainische Nachwuchskicker. Kommt Hartjes diesem Wunsch nach, könnte er einen Verteidiger mit ordentlichem Vorwärtsdrang in seinem Team haben. Denn auf die Frage nach seinem Idol muss Danyil, der sich die besten Szenen der abgelaufenen Weltmeisterschaft bei Youtube angesehen hat, nicht lange überlegen: „Cristiano Ronaldo.“Und auch, was seinen Lieblingsverein betrifft, hat
Danyil sich festgelegt: „Viktoria Birten“. Das sagt der Junge, der schon mal bei einem Erstliga-Spiel von Karpaty Lwiw in einem großen Stadion war, nicht nur aus reiner Höflichkeit: „Ich mag das Team und seine Spielweise. Ich freue mich auf jedes Training und kann mein erstes Spiel kaum erwarten.“
Dass Fußball soziale Kontakte und damit die Integration fördert, ist längst bekannt. Und auch, dass
Sport, vor allem wenn er bei Wind und Wetter unter freiem Himmel ausgeübt wird, gesund ist. Aber da ist noch viel mehr. „Der Fußball macht etwas mit Danyil. Mein Sohn ist eigentlich schüchtern und zurückhaltend. Beim Training spricht er viel mehr und wird immer mutiger“, sagt Olena Bilyek. Als Innenverteidiger muss er das auch.
Am Spielfeldrand kommuniziert er gerne mittels einer ÜbersetzungsApp
aus seinem Smartphone. Im eigenen Strafraum, in der Hektik eines Spiels, sind jedoch kurze, knackige Kommandos gefragt, die nicht erst übersetzt werden müssen.
Damit der Ball in der Rückrunde nicht allzu oft im eigenen Netz zappelt, feilt Danyil im Training nicht nur an der Dribbeltechnik oder den Lauf- und Sprungbewegungen, sondern bekommt ganz nebenbei einen Deutsch-Kurs. Möglich macht das Co-Trainer Eugen Weber, der vor rund 30 Jahren aus Russland an den Niederrhein gezogen ist und Danyil Begriffe wie „Hintermann, kurz, lang oder den berühmten Leo“solange übersetzt, bis dieser sie im Schlaf beherrscht. Auf diese Weise leistet der Verein nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Integration, sondern profitiert vielleicht schon bald auch sportlich. Ein für Viktoria Birten enorm wichtiger Aspekt, erklärt Uwe Schmidtke: „Unser Problem ist, das wir rundherum Vereine mit einer starken Jugendarbeit haben. Wenn wir auf diese Weise Verstärkung für unsere Nachwuchsteams bekommen, ist das ein Glücksfall.“
Schmidtke betont aber auch, dass jedes Kind und jeder Jugendliche willkommen ist, selbst wenn er vorher noch nie Fußball gespielt hat. Die Integrationsarbeit kann und soll der Fußball laut Sabine Potthoff aber nicht alleine schultern: „Wir müssen diese Menschen darüber hinaus auch im Alltag unterstützen.“Im Falle von Danyil klappt das schon so gut, dass sein Heimatland auf den zweiten Tabellenplatz gerutscht ist: „Ich würde am liebsten in Deutschland bleiben, bei Viktoria Fußball spielen und den Urlaub in der Ukraine verbringen.“