Rheinische Post - Xanten and Moers
Eine Botschaft an alle Zweifler
DAVOS/BERLIN Liefert Deutschland nun Leopard-Kampfpanzer in die Ukraine oder nicht? Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ sich am Mittwoch bei seinem mit Spannung erwarteten Auftritt beim Weltwirtschaftsforum (WEF) weiterhin nicht in die Karten schauen. Deutschland habe die Ukraine „mit großen Mengen“von Waffen versorgt und werde das in Abstimmung mit seinen Partnern weiter tun, solange es nötig sei, sagte Scholz in dem Schweizer Alpenort. Die Lieferung von Abwehrsystemen wie Iris-T oder Patriot hätten einen „tiefgreifenden Wendepunkt in der deutschen Außenund Sicherheitspolitik“bedeutet. Deutschland unterstütze die Ukraine auch mit humanitärer Hilfe, insgesamt seien im vergangenen Jahr aus Deutschland zwölf Milliarden Euro an die Ukraine geflossen. An einem milliardenschweren MarshallPlan zum Wiederaufbau des Landes werde gearbeitet.
Scholz steht unter starkem internationalen Druck, der Ukraine nicht nur Marder-Panzer, sondern auch Leopard-Kampfpanzer zu liefern, wogegen sich der Bundeskanzler bislang gesperrt hat. Verbündete wie Polen, Finnland oder Großbritannien fordern von Scholz, sein Zögern aufzugeben und eine europäische Führungsrolle zu übernehmen. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj drängte Scholz in Davos in einer Videobotschaft erneut, der Lieferung von LeopardPanzern zuzustimmen.
Erst am Dienstag hatte Scholz mit
US-Präsident Joe Biden telefoniert, um sich eng mit ihm abzustimmen. Dass der Bundeskanzler allerdings noch vor der Vereidigung des neuen Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius (SPD) an diesem Donnerstag die Leopard-Zusage geben würde, war kaum zu erwarten gewesen. Die Bühne dafür dürfte Olaf Scholz bewusst dem neuen Mann überlassen – zumal Pistorius bereits an seinem ersten Arbeitstag seinen US-Amtskollegen Lloyd Austin treffen wird. Am Freitag vertritt Pistorius die Bundesregierung bei der internationalen Helferkonferenz auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein. Spätestens hier dürfte er der Ukraine wohl die LeopardKampfpanzer zusagen.
In Davos konzentrierte sich der Kanzler vor allem darauf, Zweifeln am Industriestandort Deutschland zu begegnen. Deutschland, bisher noch die viertgrößte Volkswirtschaft, droht wegen der stark gestiegenen Energiepreise nach dem Stopp der russischen Energielieferungen an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, hatte etwa der Bundesverband der deutschen Industrie in dieser Woche gewarnt. Er sieht den Standort anders als Scholz in Gefahr, viele Unternehmen würden über Produktionsverlagerungen in Richtung USA nachdenken. Mittelstandsverbände wie die Familienunternehmer oder die Deutsche Industrie- und Handelskammer beklagen überdies eine überbordende Regulierung und Bürokratie, die den Unternehmen die Lust am Investieren nehme.
In Davos, wo noch bis Freitag rund 400 Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen aus der ganzen Welt sowie 600 Firmenlenker versammelt sind, zeichnete Scholz ein komplett anderes Bild von Deutschland:
Innerhalb weniger Monate habe sich die Bundesrepublik „komplett unabhängig“von russischen Energielieferungen gemacht, sagte er. Die Gasspeicher seien voll, eine Mangellage werde es in diesem Winter nicht geben. Die Energiepreise seien stark gesunken, die Industrieproduktion entgegen aller Befürchtungen stabil geblieben.
Scholz sieht anders als die Wirtschaftsvertreter bereits eine „neue Dynamik“in Deutschland beim Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Deutschland wolle 80 Prozent seiner Energie bis 2030
aus Erneuerbaren erzeugen und bis 2045 klimaneutral sein. „Wir können und wir werden erfolgreich sein“, versprach der Kanzler.
Das Beispiel der schnellen Errichtung von LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Lubmin zeige, dass Deutschland flexibel, schnell und unbürokratisch sein könne. Er habe in diesem Zusammenhang schon von einer neuen „Deutschland-Geschwindigkeit“gesprochen. „Wir werden diese Geschwindigkeit zum Vorbild auch für die Transformation unserer Wirtschaft machen“, kündigte er an. Bei Erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff werde Deutschland führend sein. Die USA warnte er mit Blick auf deren 370 Milliarden Dollar schweres Subventionspaket IRA vor einem neuen Protektionismus.
Die Transformation bedeute „nicht das Ende unseres industriellen Kraftwerks“, sondern den Neuanfang. Schon vor dem Ukraine-Krieg war Deutschlands Wirtschaftsmodell laut Scholz nicht mehr auf alten Industrien wie der Stahlproduktion aufgebaut, sondern auf forschungs- und technologie-intensiven Industrieprodukten. Deutschland werde auch künftig von Tausenden mittelständischen Unternehmen und seiner Forschungslandschaft profitieren. „Das ist und bleibt das deutsche Geschäftsmodell – gerade jetzt, wo wir uns in die klimaneutrale Zukunft aufmachen“, sagte der Kanzler.