Rheinische Post - Xanten and Moers
Deutsch als Fremdsprache unbeliebt
Immer weniger Kinder in Frankreich lernen Deutsch. Die Politik versucht gegen das schwindende Interesse anzugehen.
PARIS Puy-en-Velay ist eine malerische Kleinstadt mit 19.000 Einwohnern in der Auvergne. Bis vor zwei Jahren gab es dort zwei Mittelschulen mit Zwei-Sprachen-Klassen, in denen die Kinder neben Englisch auch Deutsch lernten. Inzwischen ist das Collège Jules Vallès das Einzige, an dem ein solcher Unterricht noch angeboten wird. „Man muss kämpfen“, sagt Nathalie de Vos-Biwer, die Deutschlehrerin der Schule. Vor der Covid-Pandemie hatte sie 30 Schülerinnen und Schüler in der sechsten Klasse sitzen, doch seither ist die Gruppe auf 13 Deutsch-Lernende geschrumpft. Denn zwei Jahre lang fielen die Werbeaktionen für den Deutschunterricht aus, die de Vos-Biwer ansonsten in den Grundschulen abhielt. Und ohne Werbung ist das Interesse an der Sprache des Nachbarn gleich null.
Deutsch sei für die Schülerinnen und Schüler der Region, die rund sechs Autostunden von Freiburg entfernt ist, eine abstrakte Sache, berichtet de Vos-Biwer. „Erst Marken wie Haribo, Adidas oder Puma machen den Kindern ihren Bezug zu Deutschland klar.“Auch die Eltern hätten Vorbehalte gegen das Deutsche, das im Gegensatz zum Spanischen weltweit deutlich weniger gesprochen werde. „Außerdem hat Spanien diesen Aspekt eines Urlaubslandes.“Kein Wunder also, dass der Trend klar zum Spanischen geht. Als erste Fremdsprache wird Deutsch in Frankreich praktisch nicht mehr gelehrt.
Auch die Zwei-Sprachen-Klassen, die das Deutsche seit 2003 wieder attraktiver machen sollen, sind nur eine Minimallösung: Vier Stunden Englisch und zwei Stunden Deutsch stehen in der sechsten Klasse pro Woche auf dem Stundenplan. Die „classes bilangues“haben es schwer, seit Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem sie 2015 vorübergehend abschaffte. Deutsch war in den Augen der Sozialistin eine „elitäre Sprache“, die von Kindern reicher Eltern gelernt werde. Ein Image, mit dem der Deutschunterricht schon lange zu kämpfen hat.
Präsident Emmanuel Macron führte die „classes bilangues“zwar wieder ein, doch die Zahlen gehen dennoch zurück. Nur noch 14 Prozent der Schülerinnen und Schüler im Collège, der Mittelschule, lernen Deutsch. Bis 2025 werde die Zahl der Deutschlernenden pro Jahr um 30.000 zurückgehen, warnt die Vereinigung zur Förderung des Deutschunterrichts ADEAF. „Deutsch wird zu den seltenen Sprachen gehören“, sagt ADEAFVorsitzende Thérèse Clerc voraus. „Das ist extrem besorgniserregend.“
Die Politik versucht seit Jahren, gegen das schwindende Interesse anzukämpfen. Bildungsminister Pap Ndiaye und der frühere deutsch-französische Kulturbevollmächtigte Hendrik Wüst veröffentlichten erst vor wenigen Wochen ein Programm, das das Deutsche in Frankreich und das Französische in Deutschland wieder voranbringen soll. Denn im Elysée-Vertrag, der am Wochenende seinen 60. Geburtstag feiert, wurde der Spracherwerb als wichtiges Element der Freundschaft zwischen beiden Ländern unterstrichen. Generationen von Kindern nahmen seither an Klassenfahrten, Schüleraustauschen und Sprachferien im Nachbarland teil.
Doch gerade in Frankreich finden sich immer weniger Lehrerinnen und Lehrer, die es schaffen, eine Reise nach Deutschland zu organisieren. 70 Prozent der Lehrerstellen für Deutsch sind laut ADEAF nicht besetzt. Da es immer weniger Kinder gibt, die Deutsch lernen, müssen die Lehrerinnen und Lehrer häufig an mehreren Schulen unterrichten, zu denen sie auf dem Land stundenlang mit dem Auto unterwegs sind.
Ein Grund für viele Abiturientinnen und Abiturienten, sich nicht für den Lehrberuf zu entscheiden. Dazu kommt nach dem Studium die Zwangsversetzung an irgendeinen Ort. De Vos-Biwer, die damals das dritte Kind erwartete, landete nach ihrem Abschluss in Toulouse 2011 in Puy-en-Velay. Ihr Mann musste damals seinen vielversprechenden Job aufgeben, um seiner Familie zu folgen. „Lehrer ist für junge Leute kein attraktiver Beruf“, sagt die 43-Jährige, deren Vater Deutscher ist. Ihre Schwester arbeitet als Lehrerin in Deutschland und verdient deutlich mehr als sie. Das Brutto-Einstiegsgehalt von gut 1800 Euro für Lehrerinnen und Lehrer in Frankreich ist für viele ein weiteres Argument, nicht in den Schuldienst zu gehen. Und auch wenn es nun angehoben werden soll, zieht es Menschen mit Deutschkenntnissen eher in die Industrie als ins Klassenzimmer.