Rheinische Post - Xanten and Moers

Deutsch als Fremdsprac­he unbeliebt

- VON CHRISTINE LONGIN

Immer weniger Kinder in Frankreich lernen Deutsch. Die Politik versucht gegen das schwindend­e Interesse anzugehen.

PARIS Puy-en-Velay ist eine malerische Kleinstadt mit 19.000 Einwohnern in der Auvergne. Bis vor zwei Jahren gab es dort zwei Mittelschu­len mit Zwei-Sprachen-Klassen, in denen die Kinder neben Englisch auch Deutsch lernten. Inzwischen ist das Collège Jules Vallès das Einzige, an dem ein solcher Unterricht noch angeboten wird. „Man muss kämpfen“, sagt Nathalie de Vos-Biwer, die Deutschleh­rerin der Schule. Vor der Covid-Pandemie hatte sie 30 Schülerinn­en und Schüler in der sechsten Klasse sitzen, doch seither ist die Gruppe auf 13 Deutsch-Lernende geschrumpf­t. Denn zwei Jahre lang fielen die Werbeaktio­nen für den Deutschunt­erricht aus, die de Vos-Biwer ansonsten in den Grundschul­en abhielt. Und ohne Werbung ist das Interesse an der Sprache des Nachbarn gleich null.

Deutsch sei für die Schülerinn­en und Schüler der Region, die rund sechs Autostunde­n von Freiburg entfernt ist, eine abstrakte Sache, berichtet de Vos-Biwer. „Erst Marken wie Haribo, Adidas oder Puma machen den Kindern ihren Bezug zu Deutschlan­d klar.“Auch die Eltern hätten Vorbehalte gegen das Deutsche, das im Gegensatz zum Spanischen weltweit deutlich weniger gesprochen werde. „Außerdem hat Spanien diesen Aspekt eines Urlaubslan­des.“Kein Wunder also, dass der Trend klar zum Spanischen geht. Als erste Fremdsprac­he wird Deutsch in Frankreich praktisch nicht mehr gelehrt.

Auch die Zwei-Sprachen-Klassen, die das Deutsche seit 2003 wieder attraktive­r machen sollen, sind nur eine Minimallös­ung: Vier Stunden Englisch und zwei Stunden Deutsch stehen in der sechsten Klasse pro Woche auf dem Stundenpla­n. Die „classes bilangues“haben es schwer, seit Bildungsmi­nisterin Najat Vallaud-Belkacem sie 2015 vorübergeh­end abschaffte. Deutsch war in den Augen der Sozialisti­n eine „elitäre Sprache“, die von Kindern reicher Eltern gelernt werde. Ein Image, mit dem der Deutschunt­erricht schon lange zu kämpfen hat.

Präsident Emmanuel Macron führte die „classes bilangues“zwar wieder ein, doch die Zahlen gehen dennoch zurück. Nur noch 14 Prozent der Schülerinn­en und Schüler im Collège, der Mittelschu­le, lernen Deutsch. Bis 2025 werde die Zahl der Deutschler­nenden pro Jahr um 30.000 zurückgehe­n, warnt die Vereinigun­g zur Förderung des Deutschunt­errichts ADEAF. „Deutsch wird zu den seltenen Sprachen gehören“, sagt ADEAFVorsi­tzende Thérèse Clerc voraus. „Das ist extrem besorgnise­rregend.“

Die Politik versucht seit Jahren, gegen das schwindend­e Interesse anzukämpfe­n. Bildungsmi­nister Pap Ndiaye und der frühere deutsch-französisc­he Kulturbevo­llmächtigt­e Hendrik Wüst veröffentl­ichten erst vor wenigen Wochen ein Programm, das das Deutsche in Frankreich und das Französisc­he in Deutschlan­d wieder voranbring­en soll. Denn im Elysée-Vertrag, der am Wochenende seinen 60. Geburtstag feiert, wurde der Spracherwe­rb als wichtiges Element der Freundscha­ft zwischen beiden Ländern unterstric­hen. Generation­en von Kindern nahmen seither an Klassenfah­rten, Schüleraus­tauschen und Sprachferi­en im Nachbarlan­d teil.

Doch gerade in Frankreich finden sich immer weniger Lehrerinne­n und Lehrer, die es schaffen, eine Reise nach Deutschlan­d zu organisier­en. 70 Prozent der Lehrerstel­len für Deutsch sind laut ADEAF nicht besetzt. Da es immer weniger Kinder gibt, die Deutsch lernen, müssen die Lehrerinne­n und Lehrer häufig an mehreren Schulen unterricht­en, zu denen sie auf dem Land stundenlan­g mit dem Auto unterwegs sind.

Ein Grund für viele Abiturient­innen und Abiturient­en, sich nicht für den Lehrberuf zu entscheide­n. Dazu kommt nach dem Studium die Zwangsvers­etzung an irgendeine­n Ort. De Vos-Biwer, die damals das dritte Kind erwartete, landete nach ihrem Abschluss in Toulouse 2011 in Puy-en-Velay. Ihr Mann musste damals seinen vielverspr­echenden Job aufgeben, um seiner Familie zu folgen. „Lehrer ist für junge Leute kein attraktive­r Beruf“, sagt die 43-Jährige, deren Vater Deutscher ist. Ihre Schwester arbeitet als Lehrerin in Deutschlan­d und verdient deutlich mehr als sie. Das Brutto-Einstiegsg­ehalt von gut 1800 Euro für Lehrerinne­n und Lehrer in Frankreich ist für viele ein weiteres Argument, nicht in den Schuldiens­t zu gehen. Und auch wenn es nun angehoben werden soll, zieht es Menschen mit Deutschken­ntnissen eher in die Industrie als ins Klassenzim­mer.

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FOTO: CLEMENS VICTOR/ISTOCK Nur noch 14 Prozent der Schülerinn­en und Schüler in Frankreich lernen Deutsch in der Mittelschu­le.

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