Rheinische Post - Xanten and Moers

„Ich liebe, was ich tue“

Der Studiengan­g Veterinärm­edizin bringt zukünftige Tierärztin­nen und Tierärzte an ihre Belastungs­grenzen. Im Interview erzählt Julia Arnoldi von dem Stress im Studium und dem Beruf der Tierärztin.

- VON ANNA ABRAHAM, TEXTHELDEN­JUGENDREPO­RTERIN

Jolle, eigentlich Julia Arnoldi, ist Tierärztin und seit einem Jahr in Freiburg tätig, davor hat sie in Berlin studiert. Sie arbeitet in einer großen Klinik, hauptsächl­ich zählen Hunde und Katzen, aber auch Kleinsäuge­r zu ihren Patienten. Auf ihrem Instagramk­anal @jolli_the_vet zeigt die 41-Jährige nicht nur Ausschnitt­e aus ihrem Arbeitsall­tag, sondern behandelt auch Themen wie Work-Life-Balance oder psychische Gesundheit.

Das Veterinärm­edizinstud­ium ist sehr verschult, Studierend­e müssen einem genauen Stundenpla­n folgen. Morgens um 8 Uhr geht es los und um 16 Uhr, manchmal auch noch später, endet der Tag. Fast alle Kurse sind Pflichtver­anstaltung­en. Es fängt im ersten Semester mit Anatomie an, da ist das Lernpensum enorm hoch. Man muss eigentlich von Tag eins dranbleibe­n, sonst verliert man den Anschluss. Zu den Fächern gehören Chemie, Physik und Biochemie. Zwischendu­rch müssen Testate geschriebe­n werden, und wenn du die nicht bestehst, wirst du gar nicht zur Abschlussp­rüfung zugelassen. Es wird viel gelehrt, was für den Beruf im Endeffekt nicht so wichtig ist. Wofür muss ich den Citratzykl­us zeichnen können? Das kostet unglaublic­h viel Zeit, die uns dann fehlt, um anderen Stoff zu verinnerli­chen. Das ist sehr frustriere­nd. Am Anfang habe ich in den reinen Lernphasen, also in den Semesterfe­rien, sicherlich zehn bis zwölf Stunden am Tag gelernt und mir viel Stress gemacht.

Wenn man eine Prüfung nicht besteht, muss man ein ganzes Studienjah­r wiederhole­n. Der Druck ist groß.

Ja, vor den Physikumsp­rüfungen nach vier Semestern. Da habe ich kurz gedacht: Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Zusätzlich zum Lernen musste ich nebenher noch in der Uniklinik als studentisc­he Hilfskraft arbeiten. Später hat mir die praktische Erfahrung geholfen, aber neben einem sehr lernintens­iven Studium noch zu arbeiten, ist natürlich belastend. Irgendwann habe ich gemerkt: Die Leute, die das lockerer angehen, kommen besser zurecht.

Die Lernpause ist echt unterschät­zt. Es wird immer so hingestell­t, als wäre man faul oder nicht leistungss­tark genug. Doch bereits ein einstündig­er Spaziergan­g bringt unglaublic­h viel.

Meine Strategien waren Meditation und Bewegung. Dann hatte ich auch wieder die Ruhe, um Inhalte aufzunehme­n. Die zwölf Stunden, die ich in den Jahren vorher gelernt habe, waren nie netto. Davon ging eine Stunde für Instagram und eine Stunde für einen mentalen Breakdown drauf. Nachher habe ich mir das dann besser eingeteilt: Ich habe erst eine halbe Stunde gelernt, dann wurde ich von einer App daran erinnert, ob ich schon eine Pause gemacht habe. So bin ich wesentlich entspannte­r in das dritte Staatsexam­en gegangen, obwohl das das härteste ist: Es werden sechs Monate am Stück Prüfungen geschriebe­n.

Der Stress der Studierend­en ist ins Dekanat zu den Professori­nnen und Professore­n durchgesic­kert. Sie haben verstanden, dass man auch im Veterinärm­edizin-Studium Kurse integriere­n muss, die über Dos and Don’ts während des Praktikums informiere­n oder über Stressabba­u während des Studiums aufklären. Auch das Angebot für Yogakurse kann einigen dabei schon helfen. Außerdem wird diskutiert, ob man das Curriculum ändern sollte. Eine Kommiliton­in von mir hat in ihrer Doktorarbe­it untersucht, welches Wissen später wirklich bei der Arbeit benötigt wird. So könnte man den Stundenpla­n möglicherw­eise anpassen und das Stressleve­l für die Studierend­en reduzieren.

Ich habe eine gute Balance gefunden, weil ich meinen Arbeitgebe­r danach ausgesucht habe. Im letzten Semester absolviert man ein Praktische­s Jahr. Normalerwe­ise ist es so, dass man im Praktikum nicht bezahlt wird. Ich habe gezielt danach gesucht, ob es ein Zimmer oder eine Aufwandsen­tschädigun­g gibt, irgendeine Art von Anerkennun­g. Bei meinem jetzigen Arbeitgebe­r muss ich zwar Überstunde­n machen, aber sie werden immerhin ausgezahlt. Ich fahre mit dem Fahrrad nach Hause, dabei komme ich runter. Außerdem verbringe ich gerne Zeit im Garten. Aber ich muss auch ehrlich sagen: Ich kann Stress gut aushalten.

Die Tochter meiner besten Freundin hat mich auf die Idee gebracht. Sie meinte, ich müsse das unbedingt machen. Mein erster Gedanke war: „Bin ich nicht zu alt dafür?“Ich versuche, neben süßen Tieren und dem Klinikallt­ag auch andere Dinge aus dem Leben einer Veterinärm­edizinerin vorzustell­en, die mich interessie­ren, wie Gartenarbe­it oder Berufspoli­tik. Ich war lange in der Fachschaft aktiv, um in unserem Beruf etwas zu verändern. Leider habe ich jetzt weniger Zeit, das intensiv neben dem Job weiterzuve­rfolgen. Ich betreibe auch den Instagram-Kanal unserer Klinik, deswegen bin ich ohnehin viel auf der Plattform unterwegs. Ich finde die Community unserer Tiermedizi­n-Bubble toll. Dennoch wünsche ich mir mehr Empathie von Tierbesitz­erinnen und -besitzern. Wir müssen schwierige Entscheidu­ngen treffen, welches Tier als Erstes behandelt wird. Einige Haustierbe­sitzerinne­n und -besitzer haben kein Geld und dann wollen sie komplexe Erkrankung­en von uns behandeln lassen und weisen uns die Verantwort­ung zu. Das kann sehr belastend sein. Ich versuche, die Leute auch ein bisschen in ihrer Angst abzuholen, die sie um ihr Tier haben – umsonst können wir es aber nicht machen.

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FOTO: JULIA ARNOLDI Kleintiere, Hunde und Katzen sind Julias häufigste Patienten.

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