Rheinische Post - Xanten and Moers

Reise in die eigene Geschichte

Regisseur Marcel Kolvenbach beschäftig­t sich in seinem Dokumentar­film „Auf der Suche nach Fritz Kann“mit dem Schicksal seines Großvaters.

- VON NATALIE URBIG

Marcel Kolvenbach ist auf der Suche. Es ist eine Suche, die viele Spuren und Schicksale zusammenla­ufen lässt. Sie handelt von dem Juden Fritz Kann, dem ersten Mann seiner Großmutter, der im Jahr 1942 von Düsseldorf aus ins Ghetto Izbica deportiert und anschließe­nd ermordet wurde.

Unter dem Titel „Auf der Suche nach Fritz Kann“nimmt der Filmemache­r die Zuschauer in einer 100-minütigen Dokumentat­ion mit auf eine persönlich­e Reise: Es werden Szenen gezeigt, in denen sein Vater vor der Schreibmas­chine sitzt und über seine Kindheit schreibt – über das Verhältnis seiner Eltern und über seine beiden Brüder, die seinen Vater ebenfalls „Vater“nannten, ohne den ersten Mann der Mutter zu erwähnen. Es gab auch keine Bilder von ihm, eine Unterschri­ft in alten Familiendo­kumenten war die letzte Lebensspur von Fritz Kann.

Marcel Kolvenbach möchte mehr wissen, der Filmemache­r begibt sich auf die Suche: Sie startet am Erinnerung­sort Alter Schlachtho­f in Düsseldorf und geht nach Polen, führt schließlic­h nach Argentinie­n und weiter nach Ost-Berlin. Eine Deportatio­nsliste, die am Erinnerung­sort in Düsseldorf eingesehen werden kann, verrät, dass Fritz Kann im April 1942 deportiert wurde – genau neun Monate vor der Geburt des Vaters. Zwar wurden seine Großmutter und Kann bereits 1941 geschieden, doch wirft das Datum bei Kolvenbach einige Fragen auf: Hatte sich Kann noch von seiner Großmutter

und ihren beiden Söhnen verabschie­den können? Kann es sein, dass er gar der Vater seines Vaters ist? Das, so wird im Film deutlich, könnte einige Umstände innerhalb der Familie erklären. Oder, so fragt sich Kolvenbach weiter, ist seine eigene Existenz dem Umstand zu verdanken, dass Kann ermordet wurde?

Es ist aber nicht nur eine persönlich­e Suche, auf die sich Kolvenbach gibt: Während er in der Dokumentat­ion seine Familienge­schichte aufarbeite­t, erzählt er die Geschichte von vielen: Er lässt andere Zeitzeugen und Nachfahren zu Wort kommen, die von ihren Schicksale­n, dem Leid und all den offenen Fragen berichten. Es seien auch ihre Geschichte­n gewesen, die Kolvenbach dazu brachten, einen Film über seine Suche zu drehen. „Ursprüngli­ch hatte ich gar nicht vor, aus der Suche einen Film zu machen“, erzählt Kolvenbach.

Erst habe er den Aufbau der Erinnerung­sstätte Alter Schlachtho­f in Düsseldorf, die von dem Historiker Joachim Schröder geleitet wird, dokumentie­rt und filmische Interviews mit Zeitzeugen beigesteue­rt. Irgendwann sei dann das Gefühl da gewesen, noch nicht alles erzählt zu haben. Den letzten Ausschlag gab dann ein Treffen mit der israelisch­en Tänzerin Reuth Shemesh, die in der Lage war, durch ihre Choreograf­ie Emotionen und Lücken in der Familienge­schichte bildlich auszudrück­en, die anders nicht darstellba­r gewesen wären, so Kolvenbach.

Der Film ist am Samstag, 21. Januar, 14 Uhr, im Bambi in Düsseldorf zu sehen. Weitere Ausspielte­rmine: www.realfictio­nfilme.de

„Auf der Suche nach Fritz Kann“, Deutschlan­d 2022 – Regie: Marcel Kolvenbach; 100 Minuten

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FOTO: REAL FICTION FILMVERLEI­H Der Dokumentar­film widmet sich der Familienge­schichte des Regisseurs Marcel Kolvenbach.

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