Rheinische Post - Xanten and Moers
Alles passiert im Kopf des Zuschauers
Es ist die Einfachheit, die die Augsburger Puppenkiste ausmacht. Vor 70 Jahren wurde das Marionettentheater erstmals im Fernsehen ausgestrahlt. Dass die große Zeit vorbei ist, nimmt der Chef der früheren Bildschirm-Stars aber gelassen.
AUGSBURG (dpa) Die Plastikfolie und die endlosen Weiten des Meeres: Manche Besucher, die das Museum der Augsburger Puppenkiste betreten, staunen erst einmal über ein Stück Kunststoff. In den legendären Fernsehserien des Marionetten-Theaters wie „Urmel aus dem Eis“oder „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“symbolisiert die sich langsam bewegende Folie die Wellen des Ozeans – so simpel, so genial. Das Plastikmeer brannte sich in Deutschland ins Gedächtnis von Generationen von Kindern. „Die Einfachheit“mache die Puppenkiste aus, sagt der Chef des Augsburger Theaters, Klaus Marschall. „Wir wackeln mit einem Stück Holz, der Rest passiert im Kopf des Zuschauers“, sagt der Enkel von PuppenkistenErfinder Walter Oehmichen.
Keine andere Puppenbühne hat in Deutschland jemals solch eine Bekanntheit erreicht – und die Augsburger Fädenkünstler haben auch Fernsehgeschichte geschrieben. Nun jährt sich zum 70. Mal der erste Auftritt der Puppenkisten-Stars auf der damals noch schwarz-weißen Mattscheibe: Am 21. Januar 1953 spielten die bayerischen Schwaben live „Peter und der Wolf“beim Nordwestdeutschen
Rundfunk (NWDR) in Hamburg. Erst wenige Wochen zuvor war das erste Fernsehprogramm der Bundesrepublik auf Sendung gegangen.
Und einen Monat später folgt jetzt der nächste, der noch wichtigere Jahrestag: Am 26. Februar 1948 ließen die Augsburger überhaupt erstmals die Marionetten tanzen – „Der gestiefelte Kater“stand damals auf dem Programm. Zum 75. Jahrestag am 26. Februar 2023 werde das neue Kinderstück „Rapunzel“Premiere feiern, kündigt Marschall an.
Eine große Jubiläumsausstellung sei dann ab 16. März geplant. Die TVKinderserien haben letztlich auch die Heimatstadt der Marionetten bundesweit bekannt gemacht. Da ist es wenig verwunderlich, dass sich der Fußball-Bundesligist FC Augsburg den Lummerland-Hit „Eine Insel mit zwei Bergen“der Puppenkiste als Torhymne schnappte.
Nach der Fernsehpremiere im hohen Norden war es der Hessische Rundfunk (HR), der jahrzehntelang die Produktionen der Augsburger ins TV brachte. „Über 150 Produktionen
des HR-Fernsehens machten die Holzköpfe und ihre Abenteuer deutschlandweit berühmt“, sagen die Frankfurter. „Zwei der bekanntesten Figuren aus dem Ensemble – Urmel und Jim Knopf – wurden übrigens nie in Augsburg auf der Bühne gespielt, sondern nur fürs Fernsehen produziert“, betont der HR.
Gebannt saßen einst die Kinder vor dem Bildschirm, wenn die oftmals mehrteiligen Geschichten wie „Der Löwe ist los“(1965) oder „Kleiner König Kalle Wirsch“(1970) über mehrere Wochen gestreckt ausgestrahlt wurden. Das Intro mit der sich langsam öffnenden Kiste samt Schrift „Augsburger Puppenkiste – Oehmichens Marionetten Theater“wurde legendär. Bis heute zieht die Puppenkiste zahlreiche Fans an. Oftmals gibt es nachmittags ein Kinderstück wie „Frau Holle“und abends dann eine Inszenierung für Erwachsene.
Die Augsburger seien ein tolles Aushängeschild für die gesamte Branche in Deutschland, sagt Matthias Träger vom Verband Deutscher Puppentheater. „Man kommt an der Puppenkiste nicht vorbei“, meint Träger, der in Klotten an der Mosel ein Figurentheater betreibt. „Jeder von uns, alle kennen das Urmel, Jim Knopf und so weiter.“ Doch der langjährige Funktionär des Verbands mit bundesweit mehr als 140 Bühnen sieht darin auch ein Problem. Denn letztlich sei die Puppenkiste auch das einzige große, sichtbare und wichtige Aushängeschild. „Was Figurentheater heutzutage alles ist, was es kann, wie unterschiedlich und wie reichhaltig es ist, wird oft vergessen durch dieses Bild, das jeder kennt“, betont Träger.
Die große Zeit der Puppenkiste im TV ist jedoch längst vorbei. Selbst im Kinderprogramm haben die Augsburger keinen Platz mehr. Am 28. Dezember 2022 hatte 3 Sat wegen des bevorstehenden Jubiläums noch einmal einen Thementag mit mehreren alten Puppenkisten-Serien gesendet, doch das ist die Ausnahme. Vor mehr als einem Jahrzehnt hat Kika (der Kinderkanal von ARD und ZDF) die Marionetten als nicht mehr zeitgemäß verbannt. Der Schritt hatte damals Diskussionen ausgelöst, die mittlerweile verstummt sind. „Ich sehe uns im heutigen Fernsehprogramm auch nicht mehr“, sagt Puppenkisten-Chef Marschall. Ihm gehe es darum, Geschichten in ruhigen Bildern zu erzählen. „Das unterscheidet sich von dem aktuellen Fernsehen so massiv, das ist schwierig.“