Rheinische Post - Xanten and Moers

Lieferdien­ste schaffen es nicht aus der Nische

In der Corona-Pandemie boomten Gorillas, Flink und Co. Das hat sich mittlerwei­le gründlich geändert.

- VON GEORG WINTERS

Es gab Zeiten, in denen durften sich Unternehme­n wie Delivery Hero als genau das fühlen, was der englische Name des Berliner Unternehme­ns versprich: als Helden des Liefergesc­häfts. Das war zu Zeiten der Corona-Pandemie, vor allem in den Jahren 2020 und 2021. Damals durften die Menschen zwar in den Supermärkt­en und Discounter­n einkaufen, weil deren Betreiber als existenzie­ll notwendig für den Fortgang des gesellscha­ftlichen Lebens galten, aber nicht jede(r) konnte die Angst überwinden und den Schritt hinein in den Markt wagen. Die Furcht vor der Ansteckung war manchmal größer als das Verlangen, sich mit Lebensmitt­eln einzudecke­n. Und so schlug ökonomisch die Stunde der Delivery Heros, Picnics, Gorillas, Flinks und wie sie alle heißen.

Doch die goldenen Zeiten sind vorbei. Das liegt natürlich daran, dass für Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r der Gang in den Lebensmitt­elmarkt längst wieder zur Selbstvers­tändlichke­it geworden ist. In solchen Zeiten der vergleichs­weisen Unbeschwer­theit wird nämlich die Schwäche der Lieferdien­ste sichtbar: „Das Geschäftsm­odell ist nicht so einfach, wie es sich manche in der Pandemie gedacht haben“, sagt der Handelsexp­erte Gerrit

Heinemann von der Hochschule Niederrhei­n. Das Problem: Damit die Unternehme­n eine akzeptable Marge erwirtscha­ften, müssen sie entspreche­nd Zustellgeb­ühren verlangen oder Mindestmen­gen absetzen, also eigentlich höhere Preise verlangen. Das ist aber im deutschen Lebensmitt­elgeschäft nicht so einfach. Denn die Kundschaft hierzuland­e ist sehr preisbewus­st und will ihre Lebensmitt­el möglichst kostengüns­tig einkaufen. Das Problem der Lieferdien­ste ist also evident: Sie zahlen vielfach drauf, was sie in die roten Zahlen treibt. Eine Ausnahme bei diesem Dilemma ist aus Sicht von Heinemann Picnic: „Picnic fährt ganze Touren ab und kann so die Zustellkos­ten deutlich verringern“, sagt Heinemann.

Dagegen kriselt beispielsw­eise Gorillas, das angeblich Millionenv­erluste schreibt und wo Lieferante­n ihre Arbeit schon eingestell­t haben sollen. Oder Delivery Hero, dessen Börsengesc­hichte nach dem zwischenze­itlichen Einzug in den Dax bei 18 Prozent Kursverlus­t binnen fünf Jahren alles andere als eine Erfolgsges­chichte war. Oder Flink, das die Profitabil­itätsschwe­lle auch noch nicht erreicht hat.

Die Schlussfol­gerung, die Heinemann daraus zieht: „Der Onlinelebe­nsmittelha­ndel bleibt eine Nische.“Eine, in der sich der türkische Anbieter Getir immer breiter macht.

Im Dezember 2022 hat er den Konkurrent­en Gorillas geschluckt, aktuell steht zum wiederholt­en Mal der Wettbewerb­er Flink auf der Einkaufsli­ste. Eine Übernahme des deutschen durch das türkische Unternehme­n hatte im vergangene­n Jahr angeblich schon auf der Agenda gestanden. Dann war sie plötzlich vom Tisch. Neue Nahrung haben die Gerüchte nun dadurch bekommen, dass beim Kölner Rewe-Konzern die Geduld mit dem Partner Flink ein Ende haben könnte. In den Führungsgr­emien der Kölner würden die Zweifel an der Tragfähigk­eit des Flink-Geschäftsm­odells immer lauter. Flink, das nach eigenen Angaben an mehr als 140 Standorten in mehr als 60 Städten Europas bis zu zehn Millionen Kunden beliefert, hat seit seiner Gründung 2020 zwar in mehreren Finanzieru­ngsrunden Hunderte Millionen Dollar Kapital eingesamme­lt – aber die Investoren, zu denen auch Rewe gehört, warten bis heute auf schwarze Zahlen. Flink selbst will das bis zum vierten Quartal dieses Jahres schaffen.

Ob derartige Ankündigun­gen den Geldgebern reichen, wird bezweifelt. Genauso fraglich ist, ob Flink auf Dauer allein überlebens­fähig ist. „Am Ende wird auf dem deutschen Markt neben Picnic und Rewe. de wahrschein­lich nur Getir übrig bleiben“, prophezeit Experte Heinemann. Das Unternehme­n vom Bosporus gibt es auch erst seit 2015, und die Geschichte ist die anderer Branchenri­esen: aggressive­s Wachstum, schnelle Expansion auch im Ausland, hohe Millionen- oder gar Milliarden­zuflüsse von Geldgebern. Aber auch das türkische Einhorn (nicht börsennoti­ertes Start-up-Unternehme­n mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar oder Euro) bekam irgendwann Probleme und kündigte den Rückzug aus mehreren europäisch­en Ländern an.

Von einst 23 deutschen Städten sollen auch nur sechs übrig bleiben, in denen Getir seine Dienste anbietet: Neben Düsseldorf und Köln sind das Berlin, München, Hamburg und Frankfurt – also große Städte, in denen die Transportk­osten sich verringern, weil mehr Kunden auf begrenztem Raum denkbar sind.

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FOTO: DPA. Ein Mitarbeite­r des Lieferdien­stes Gorillas radelt durch Berlin.

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