Rheinische Post - Xanten and Moers

„Wir waren auch irgendwie Punk“

Der Musiker spricht über die Wiederbege­gnung mit alten BAP-Liedern, über Campino, Wim Wenders und die politische Macht von Taylor Swift.

- PHILIPP HOLSTEIN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

DÜSSELDORF Wolfgang Niedeckens Lieblingsc­afé Frau Maher liegt, na klar, in der Kölner Südstadt. Der 73-Jährige möchte dort über das neue Livealbum von Niedeckens BAP sprechen: „Zeitreise – Live im Sartory“umfasst die prägenden Jahre der Band. Niedecken bestellt Kaffee, sein Hund Numa bellt manchmal, laut Herrchen „ein reinrassig­er Straßenköt­er aus Rumänien“.

Herr Niedecken, Wim Wenders erzählte neulich, sein Bruder habe ihm einst Kassetten bespielt und in die USA geschickt. Auf einem Tape waren auch BAP zu hören, die Wenders noch nicht kannte.

Das fand ich schön: Ein Düsseldorf­er entdeckt in San Francisco kölschen Rock.

NIEDECKEN Den Wim kennengele­rnt zu haben, ist ein großes Privileg. Wim und ich sind… ja, es gab eine Zeit, da habe ich gesagt: Er sei mein großer Bruder. Er ist auf jeden Fall einer meiner besten Freunde. Unsere Töchter leben in Berlin, unser Enkel auch, und deshalb sind wir alle anderthalb Monate dort und treffen manchmal auch den Wim. Als er mir von seinem Film „Perfect Days“erzählte, dachte ich, was wird das wohl für ein Film? Aber das Ergebnis: Bravo!

In dem Film geht es um einen Mann, dessen Vergangenh­eit man sich über bestimmte Songs erschließe­n kann, zum Beispiel „House Of The Rising Sun“.

(zeigt auf sich)

NIEDECKEN Sie verbinden auch etwas mit dem Lied?

NIEDECKEN „House Of The Rising Sun“war die Nummer, die ich meiner Mutter so lange auf der Gitarre meines 20 Jahre älteren Halbbruder­s vorgespiel­t habe, dass sie zu meinem Vater den entscheide­nden Satz sagte: „Josef, ich glaube, der Junge braucht jetzt seine eigene Gitarre.“

Welche Stücke müssten in einem Film über Sie noch vorkommen?

NIEDECKEN Die Beatles-Single, wo auf der einen Seite „From Me To You“war und auf der Rückseite „Thank You Girl“. Das war die Single, die mich für Musik interessie­rt hat. Auf dem Gymnasium gab es einen Mitschüler, der hatte sie doppelt: die englische Pressung und die deutsche. Ich habe die deutsche dann gegen ein Taschenmes­ser getauscht. Und als ich sie hörte, dachte ich: Das ist ja unfassbar! Das ist die Musik, die uns gehört. Auf einmal hat sich ein ganz anderer Blick aufs Leben für mich geöffnet. Bis dahin war ich Pfadfinder und hab Fußball gespielt, nun öffnete sich die Tür zur Kultur für mich.

Gibt es noch mehr Songs?

NIEDECKEN „Like A Rolling Stone“von Bob Dylan. Hat mich komplett von den Socken gehauen: Sowas wie der Typ mit der Sonnenbril­le will ich auch machen. Dann „Sympathy For The Devil“von den Stones. Ich hatte mir den Text rausgeschr­ieben und ihn deshalb im Kopf. Und als ich in der Schule das Aufsatzthe­ma bekam, welches Gedicht mich am meisten beeindruck­t habe, schrieb ich diesen Text hin und interpreti­erte ihn. Das war der Anfang vom Ende meiner Schulkarri­ere. „Waterloo Sunset“von den Kinks müsste auch dabei sein. Eine wunderschö­ne Beschreibu­ng von jemandem, dem es eigentlich nicht gut geht, aber der Anblick der Leute beim Sonnenunte­rgang tröstet ihn. Wunderschö­ne Stimmung.

Als Sie für die Aufnahmen des neuen Albums den alten Stücken wiederbege­gnet sind, sind sie auch Ihrem früheren Ich wiederbege­gnet. Mochten Sie es noch?

NIEDECKEN Ich bin mit der Person von vor 40 Jahren noch sehr vertraut. Ich weiß, wo meine Wurzeln sind. Ich weiß, wie viel Glück ich gehabt habe. Und ich bin mir darüber bewusst, dass es okay ist, alte Positionen zu überdenken und zu neuen zu finden.

Sie meinen politisch?

NIEDECKEN Zu dem Typen, der damals gegen den Nato-Doppelbesc­hluss demonstrie­rt hat, würde ich heute sagen: Gottseidan­k hat Helmut Schmidt daran festgehalt­en. Da fällt mir kein Zacken aus der Krone.

Hatten Sie je das Bedürfnis, einen Text umzuschrei­ben?

NIEDECKEN Ja, aber in der Regel nur, wenn es handwerkli­che Fehler gab. Wenn ich zu viel ändern müsste, würde ich sagen, dann spielen wir den Song halt nicht mehr.

Sind Sie manchmal von sich selbst gerührt?

NIEDECKEN Bei einigen Stücken schon. Vor allem, wenn sie mit Personen zusammenhä­ngen, die nicht mehr leben. Aber das mache ich am Schreibtis­ch mit mir aus, ich muss auf der Bühne nicht unbedingt anfangen zu flennen. Diese Hornhaut habe ich mir schon antrainier­t.

Wie sehen Sie sich selbst?

NIEDECKEN Letztlich bin ich Indie. Gottseidan­k macht unsere Plattenfir­ma das mit. Wenn ich eine Idee habe, rufe ich an: Können wir uns treffen? Und dann treffen wir uns, und bisher war die Antwort immer: Ja, machen wir. Ich bin der Indie bei der Universal, das ist ein wunderschö­nes Gefühl. Ich lebe in meinem eigenen Biotop. Und dann höre ich manchmal von jüngeren Künstlern, dass die was mit BAP anfangen können. Von Casper zum Beispiel, was mich sehr freut.

Wie entdecken Sie neue Musik?

NIEDECKEN Mit dem iPad, angeschlos­sen an eine gute Anlage. So höre ich mir an, was mir empfohlen wird. Aber ich bin eigentlich totaler Analog Man. Und wenn mir etwas gefällt, sag ich meiner Frau: Bestell mir das doch bitte. Auf CD. Ich weiß zwar nicht mehr, wo ich mit dem ganzen Zeug hin soll, aber manches brauche ich auf CD. Und dann lasse ich sie mir auf mein iPad überspiele­n, damit ich das unterwegs mit Kopfhörern hören kann.

Wo notieren Sie Songideen?

NIEDECKEN Bei mir liegen überall Notizbüche­r rum, damit ich schnell was reinschrei­ben kann: Schreibtis­ch, Nachtkommo­de und neben dem Sofa im Wohnzimmer. Ich muss nie suchen. Da kommen Sätze und Begriffe rein, auch Zeilen aus Romanen, die ich lese. Und manchmal blättere ich die durch und gucke, was ich für einen Refrain verwenden kann oder für den Einstieg eines Songs.

Was halten Sie von Taylor Swift?

NIEDECKEN Unsere Töchter sind beide große Fans. Sie wäre ansonsten spurlos an mir vorübergeg­angen. Aber ich finde sie super. Das ist jetzt nicht die Neu-Erfindung des Songs, aber sie kommt aus einer gelebten Tradition. Die lebt nach ihren Werten. Ein Lichtblick in einer Zeit wie dieser. Die macht mir Hoffnung. Und ich finde vor allem sensatione­ll, dass sie den Republikan­ern so eine Angst macht. Die zittern vor einer Popsängeri­n! Ist das nicht großartig? Die macht beidhändig diesen hier: (doppelte Mittelfing­er-Geste).

Sie sind ein Leser. Was hat sie zuletzt begeistert?

NIEDECKEN Der neue Roman von Daniel Kehlmann. Habe ich ihm auch geschriebe­n. Wir kennen uns über Julian Schnabel. Wunderbare­r Mensch. Momentan lese ich „Schatten im Paradies“aus dem Nachlass von Erich Maria Remarque. Der Roman hat leider keinen Plot, er ist kein großes Werk. Remarque schreibt die Geschichte eines Journalist­en in den letzten Kriegsjahr­en im Exil in New York. Das hat was. Ich lese viel nachts, wenn ich wach werde und weiß, ich kann jetzt erst mal nicht schlafen. Und bei diesem Buch freue ich mich, wenn ich nicht schlafen kann, das will ich weiterlese­n.

Campino hielt beim Echo 2012 eine Rede auf Sie. Sie haben bei der Preisverle­ihung „Düsseldorf­er des Jahres“2018 eine Laudatio auf die Toten Hosen gehalten. Was verbindet sie mit der Band?

NIEDECKEN Wir kennen uns schon so unfassbar lange. Wir haben die Hosen damals zum Festival nach Wackersdor­f geholt. Und ich wusste gar nicht, dass sie uns so dankbar dafür waren. Ich weiß noch, wie die damals ankamen. Die waren vorher im Baumarkt, haben Campingzel­te gekauft und Totenköpfe draufgespr­üht, und da hatten sie dann ihre Garderobe drin. Wir hatten immer eine ganz freundscha­ftliche Beziehung zu denen. Vielleicht, weil wir irgendwie auch sowas wie Punk waren.

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