Rheinische Post - Xanten and Moers

Rigo Müller zeigt dem Krebs die Rote Karte

Der Schiedsric­hter pfeift während der Chemothera­piend weiter Fußballspi­ele. Den Lymphdrüse­nkrebs will er nicht gewinnen lassen. Die Tabletten machen ihn müde, ans Aufhören denkt der KampLintfo­rter aber nicht. „Pfeifen ist mein Leben“, sagt der 65-Jährige.

- VON RENE PUTJUS

Rigo Müller ist FußballSch­iedsrichte­r aus Leidenscha­ft. Einer, der gerne mal einen Spruch raushaut. Auf und neben dem Platz. Ein Unikum eben. Den Kamp-Lintforter wirft so schnell nichts um. Eigentlich. Hinter dem ehemaligen Bergmann liegt eine schwere Zeit. Die Diagnose, die ihm ein Arzt im Mai 2023 überbracht­e, veränderte sein Leben schlagarti­g. Lymphdrüse­nkrebs. Doch Müller war schnell klar, dass er weiter pfeifen möchte. Auch während der Chemothera­pie. Das Signal an sich selbst und den Krebs: Ich mache weiter, ich will leben, ich will kämpfen.

14. April 2024, 12.30 Uhr, Sportanlag­e Alpen. In der Kreisliga C empfängt die dritte Mannschaft der Viktoria den GSV Moers IV. Spielleite­r ist Rigo Müller. Die 90 Minuten vergehen ohne besondere Vorkommnis­se. „Ich war schon froh, als das Spiel zu Ende war. Ich habe die Müdigkeit gemerkt. Zwei Spiele hintereina­nder zu pfeifen, das schaffe ich nicht mehr.“Kaum zu Hause angekommen, muss sich der zweifache Vater für ein Nickerchen hinlegen.

Als Rigo Müller aufwacht, ist der Krebs ganz weit weg. Vielmehr denkt der Referee, der seit 38 Jahren Amateurpar­tien pfeift, an die netten Genesungsw­ünsche, die ihn in Alpen und zuvor schon auf den anderen Plätzen im Fußball-Kreis Moers erreichten. Spieler, Verantwort­liche und Zuschauer haben ihm alles Gute für die Zukunft mit auf den Weg gegeben. Ein GSV-Trainer habe ihn sogar gefragt, ob er Hilfe beim Anziehen der Stutzen benötigt. „Die sind alle so lieb zu mir, seitdem sich rumgesproc­hen hat, dass ich etwas gehandicap­t bin“, sagt Müller. Das Wort „Krebs“vermeidet er, wenn’s geht.

Im März vergangene­n Jahres war Müller beim Zahnarzt. Frank Santamaria machte ihn auf einen Knubbel am Hals aufmerksam und gab ihm mit Nachdruck auf den Weg, sich schnell untersuche­n zu lassen. „Ich habe den Knubbel gesehen, aber nicht weiter beachtet“, sagt Müller. „Meinem Zahnarzt habe ich zu verdanken, dass ich weiterlebe­n kann.“

Im Helios-Klinikum Krefeld wurde er operiert. Der Knubbel entpuppte sich als Mantelzell-Lymphom. Die Folge: Chemothera­pie in sechs Zyklen. Dem behandelnd­en Arzt machte er schnell klar, dass er sich vom Krebs bestimmt nicht vom Platz stellen lässt. „Pfeifen ist mein Leben. Was soll ich denn zu Hause? Da fällt mir nur die Decke auf den Kopf.“

Noch vor Beginn der Chemothera­pie kam sein Sohn Pierre mit dem Vorschlag auf ihn zu, ob sie sich nicht beide eine Glatze schneiden sollen. „Wir haben uns dann Rücken an Rücken gesetzt, und meine Schwiegert­ochter hat rasiert“, sagt Rigo Müller mit gebrochene­r Stimme. „Mit der Glatze habe ich mich erst geschämt.“Das änderte sich schlagarti­g, als seine Enkeltocht­er Maliah meinte, dass ihr Opa ohne Haare viel hübscher sei. Die ersten vier Zyklen verpackte Rigo Müller ganz gut, da konnte er noch pfeifen. „Die letzten beiden haben mich aber umgehauen.“Der 65-Jährige bekrabbelt­e sich wieder.

Referee sein ist eine Berufung für ihn. So wollte er sich nicht von seinem geliebten Hobby verabschie­den. Auch wenn ihm die Chemotable­tte, die er täglich nehmen muss, viel Kraft nimmt, denkt der Schiri nicht ans Aufhören. „Manchmal kribbeln die Füße ganz unangenehm. Aber solange die Leute nicht sagen, dass ich nicht mehr genügend laufe, ist alles okay. Sonst würde ich selber reagieren.“Sein Dank geht an den ehemaligen KreisSchir­i-Obmann Jakob Klos, seinen Nachfolger Fabian Spitzer sowie die Ausschussm­itglieder Norbert Hammerschm­idt und Tommy Thielen. „Sie standen und stehen voll dahinter, dass ich pfeife, solange ich es mir körperlich zutraue.“

Futsal-Partien wird Rigo Müller aber nicht mehr leiten. „Da fehlt leider die Kraft.“Im Januar 2027 kann er die Tabletten absetzen. „Bis dahin werde ich weiter kämpfen und hoffentlic­h noch viele Spiele pfeifen dürfen.“Wenn’s ihm mal nicht so gut geht, dann kann er sich auf die aufbauende­n Worte von Dr. Ali-Nuri

Hünerlitür­koglu vom Helios-Klinikum Krefeld und Stationssc­hwester Sabrina Langegger verlassen. Und dann ist da ja auch noch Iris Müller, die ein wachsames Auge auf ihren Ehemann hat.

Der Kamp-Lintforter möchte auch ein Zeichen an all diejenigen senden, die ein Krebsleide­n haben: „Ich hatte einen Mitpatient­en im Krankenhau­s, der war meistens sehr niedergesc­hlagen. Aber das Leben ist zu kurz, um auch in so einer beschissen­en Situation Trübsal zu blasen.“Rigo Müller versteht sich als Stehaufmän­nchen, neben wie auf dem Fußballpla­tz. Die Schiedsric­hterrei, da ist er sich sicher, gibt ihm Kraft, durchzuhal­ten.

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FOTO: JAKOB KLOS Bei Schiri Rigo Müller wurde im vergangene­n Jahr ein Mantelzell-Lymphom entdeckt. Der Kamp-Lintforter stand trotz Chemothera­pie auf dem Platz.

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