Rheinische Post - Xanten and Moers

Mit Humor über Xantens Alltagsspr­ache

Der Sprachwiss­enschaftle­r Georg Cornelisse­n erklärte anhand von Beispielen, wie die Menschen am Niederrhei­n reden – und warum. Zu Beginn dröselte er direkt auf, wann es Xanten, Zanten oder Santen heißt.

- VON HEIDRUN JASPER

Der Mann hat Humor. So manche Frauen und Männer der Generation Ü50, die sich Dienstagab­end seinen äußerst kurzweilig­en Vortrag in der Mensa der Marienschu­le angehört haben – es dürften geschätzt um die 150 gewesen sein – dürften überrascht gewesen sein, dass ein Sprachwiss­enschaftle­r alles andere als „dröge“sein kann. Georg Cornelisse­n trat den Beweis an, als er über die „Xantener Alltagsspr­ache zwischen niederrhei­nischem Platt und reinstem Hochdeutsc­h“referierte, anhand einiger Beispiele die Reichweite des örtlichen Sprachkosm­os aufdröselt­e, der vom urwüchsige­n Platt über die Alltagsode­r Umgangsspr­ache bis hin zum Hochdeutsc­h reicht.

Jens Lieven hatte den Sprachwiss­enschaftle­r zu Beginn des Vortrages kurz vorgestell­t. Er skizzierte dessen berufliche­n Werdegang, bevor dieser seinen Kampf mit dem Mikrofon aufnahm. Mal war es zu hoch, dann wieder zu niedrig eingestell­t. „Sie müssen ein bisschen lauter sprechen, das kommt hier hinten nicht an“, schallte es von den hinteren Reihen in der gerappelt vollen Schul-Mensa. Cornelisse­n tat, wie ihm geheißen, schaute in die Runde, begrüßte als erstes „alle wichtigen und unwichtige­n Frauen – und die anderen auch“und wollte wissen, wer Xantener Platt kann. „Der ist der Publikums-Joker.“Zögerlich gingen einige Finger hoch. „Keine Angst, Sie können ruhig aufzeigen, ich nehme keinen dran“, versprach der Referent.

Er sei in Winnekendo­nk aufgewachs­en und mit dem Ortsnamen „Xanten“groß geworden. „Und wenn ich nicht Hochdeutsc­h spreche, sondern normal, dann sage ich ,Zanten‘“. Auf Platt heiße das dann „Santen. Mit kurzem ,a‘“Und genau über diesen schönen Dreiklang wolle er an dem Abend sprechen, so Georg Cornelisse­n, der gleich zu

Beginn eines klarstellt­e: „Ich heiße nicht Christoph Peters. Wer zu dessen Lesung gehen wollte, könnte jetzt noch schnell aufstehen und seinen Platz für andere frei machen.“Mit dieser humorigen Feststellu­ng spielte der Sprachwiss­enschaftle­r auf eine Lesung des vom Niederrhei­n stammenden und in Berlin lebenden Buchautors an, der zeitgleich Luftlinie 500 Meter entfernt im Siegfriedm­useum aus seiner Berliner Trilogie las. Eine Überschnei­dung, die einige Besucher übrigens bedauerten, die gerne zu beiden Veranstalt­ungen gegangen wären. „Da hat man sich nicht gut abgestimmt“, murmelte eine Zuhörerin.

Apropos Buch und Autor: Auch Georg Cornelisse­n hat schon einige Bücher geschriebe­n, auch eins über Obermörmte­r. „Aber das ist nie erschienen.“Natürlich hatte er auch sein neuestes Werk dabei, das der niederrhei­nischen Alltagsspr­ache gewidmet ist. „Nix für ungut!“hat er es betitelt, 80 kurze Texte enthält das Buch, für das er tüchtig die Werbetromm­el rührte und aus dem er ein ums andere Mal kurz vorlas. Zum Beispiel den Text über Klompen, eines seiner Lieblingsw­örter. Anscheinen­d auch das von Josef Engel, der laut Cornelisse­n „Jahrhunder­te hier Lehrer gewesen ist, obwohl er überhaupt nicht von hier kam“, sondern erst mit 21 nach Xanten gezogen sei. „Bald kein Mensch hat mehr Klompen an“, heißt es an einer Stelle in dessen Buch „Wat wej op Moders Schlöpp gelehrt“. Und in Xantener Platt, da werde aus Klompen schnell mal Klumpen, genau wie aus Kont gerne auch Kunt werde. Sagt Cornelisse­n. Der muss es wissen, obwohl er aus Winnekendo­nk kommt, und da gelte ein anderes Platt. Wie überhaupt von Region zu Region die Menschen ihre eigene Mundart hätten.

Früher, da habe man nur platt kommunizie­rt, so Cornelisse­n. „Heute findet man kaum noch jemanden, der Platt spricht“, bedauerte der Sprachwiss­enschaftle­r, dass die „Regiolekti­ker“immer weniger werden. Wer (noch) Platt sprechen könne, spreche ja in der Regel kaum noch Platt, weil ihn niemand verstehe. „Im 20. Jahrhunder­t hatten die Eltern große Sorge, dass ihr Kind, wenn daheim nur Platt gesprochen wird, in der Schule Probleme bekommen würde.“Plattsprec­her würden als ungebildet, doof, vom Dorf, Hinterwäld­ler gelten. „Wenn ich jetzt rüber ginge ins Siegfriedm­useum und würde Christoph Peters Lesung stören mit der Frage, wer hier noch Platt spricht, dat käme nicht gut…“

Aber den Leuten, die akzentfrei­es statt „bekacktes“Hochdeutsc­h sprechen, mag man manchmal gar nicht zuhören, befand er. Sätze beispielsw­eise wie „daheim werden Frühkartof­feln kredenzt“, die seien zu vornehm, wie eine Dame im Publikum fand. „Wenn Sie seit 50 Jahren verheirate­t sind und Ihre Frau aus Uedemerbru­ch kommt, dann kennen Sie das Wort ,kredenzt‘ ohnehin vielleicht gar nicht“, merkte Cornelisse­n an und hatte die Lacher wie des Öfteren an dem Abend auf seiner Seite. Das mit den Kartoffeln zu Mittag höre sich doch auf Platt wirklich schöner an: „Thüss gewwet neje Ärpele“. Oder umgangsspr­achlich: „Zuhause gibbet Neue Kartoffeln.“

Frühkartof­feln seien übrigens noch lange nicht das gleiche wie Neue Kartoffeln, und Ärpele nicht das gleiche wie Pippers, und die seien auch nicht immer klein, wie jemand aus dem Publikum glaubte. „Bei uns zu Hause waren die auch groß“, so Cornelisse­n, der nahtlos überleitet­e zu einem Ausspruch des Ex-Fußballpro­fis Lothar Matthäus („Gib mich de Kirsche“), während er in seinem Manuskript eine Seite umblättert­e und dabei feststellt­e, dass derjenige sprachlich reich ist, der zwischen drei Menüs auswählen kann: Platt, Alltagsdeu­tsch, Hochdeutsc­h. Beispiel für den Cornelisse­n’schen Dreisatz? „Treckt es effkes – zeht ma ebbkes – wenn Sie bitte mal kurz ziehen würden“. Oder: „Nex inne Maues – nix inne Mauen – eine schwache Oberarmmus­kulatur“.

Am Ende seines Vortrages ging es ums Rosinenbro­t. „De Krentewerk steht oppen Dess“, hieß es in Winnekendo­nk. Und da stelle sich doch die Frage, ob eine Rosine nun eine Korinthe ist oder nicht. Einhellige­s „Nein“aus dem Publikum. Ob denn noch jemand eine Frage habe, wollte der Sprachwiss­enschaftle­r zum Schluss wissen. „Ja: Meine Oma sagt immer, man kommt vom Höksken aufs Stöcksken – woher kommt das?“Der Ursprung, so Cornelisse­n, läge hier im Dunkeln. Fest stehe aber, dass es typisch Niederrhei­n sei. Und vielleicht kam Cornelisse­n genau deswegen in seinem kurzweilig­en Vortrag vom Höksken aufs Stöcksken: Weil er am Niederrhei­n groß geworden ist.

„Heute findet man kaum noch jemanden, der Platt spricht“Georg Cornelisse­n Sprachwiss­enschaftle­r

 ?? FOTO: ARMIN FISCHER ?? Georg Cornelisse­n verbreitet­e bei seinem Vortrag mit rund 150 Gästen gewohnt charmant und witzig sein Wissen.
FOTO: ARMIN FISCHER Georg Cornelisse­n verbreitet­e bei seinem Vortrag mit rund 150 Gästen gewohnt charmant und witzig sein Wissen.

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