Rheinische Post - Xanten and Moers

Putins nützliche Autokraten

Die Machthaber in Nicaragua und Venezuela halten nicht viel von Menschenre­chten und Demokratie. Umso eifriger verbreiten sie antiwestli­che Zerrbilder. Das kommt in Lateinamer­ika nämlich gut an.

- VON TOBIAS KÄUFER, BOGOTÁ

Den Auftakt machte jüngst eine Klage von Nicaragua. Das mittelamer­ikanische Land wirft Deutschlan­d „Begünstigu­ng von Völkermord“im Gazastreif­en vor. Die Regierung des linksautok­ratischen Machthaber­s Daniel Ortega bezichtigt die Bundesregi­erung, sie sei durch politische, finanziell­e und militärisc­he Unterstütz­ung Israels und die Streichung der Mittel für das UN-Palästinen­serhilfswe­rk UNRWA für die Zustände im Gazastreif­en mitverantw­ortlich.

Nach Vorwürfen, UNRWA-Mitarbeite­r seien am Massaker der islamistis­chen Hamas in Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen, hatten zahlreiche wichtige Geberstaat­en ihre Zahlungen an das Hilfswerk eingestell­t. Jüngst hieß es in einem UN-Bericht, bei diesem Terrorangr­iff seien auch gezielt Frauen und Mädchen von der Hamas vergewalti­gt und als Sklavinnen verschlepp­t worden. Neben Deutschlan­d zählen unter anderem die Vereinigte­n Staaten, Großbritan­nien und Schweden zu den Ländern, die ihre Unterstütz­ung bis zur Klärung der Vorwürfe erst einmal auf Eis legten. Ein Untersuchu­ngsbericht forderte Israel Anfang der Woche auf, weitere Belege vorzubring­en; Deutschlan­d nahm die Zusammenar­beit mit dem UNRWA wieder auf.

Es folgte später ein Rundumschl­ag von Venezuelas linksextre­mem Machthaber Nicolás Maduro. Er nannte in seiner eigenen Fernsehsen­dung „Con Maduro“den Auslandsse­nder Deutsche Welle einen „Nazi-Kanal“. Seitdem – so berichten es venezolani­sche Journalist­en – sei die Deutsche Welle im venezolani­schen Kabelnetz nicht mehr empfangbar. Vorausgega­ngen war ein Beitrag, der über Querverbin­dungen der Regierung Maduros zu einem venezolani­schen Drogenkart­ell berichtet hatte.

Die Deutsche Welle berichtet seit Jahren über die Menschenre­chtsverlet­zungen nicht nur in Russland, sondern auch in den linksautok­ratisch regierten Staaten Kuba, Venezuela und Nicaragua.

Beide Regierunge­n bekamen vor Kurzem Besuch von hohen russischen Funktionär­en, die die Kooperatio­n mit Caracas und Managua ausbauen wollen. Venezuela und Nicaragua gelten als enge Verbündete Moskaus und Pekings. Die legendäre sandinisti­sche Guerillera Dora María Téllez, die einst in Nicaragua mit Ortega gegen die von den Vereinigte­n Staaten tolerierte brutale Somoza-Diktatur kämpfte, warnt inzwischen davor, dass Ortega, der mittlerwei­le auch ehemalige Weggefährt­en politisch verfolgen lässt, das Land Wladimir Putin auf dem Silbertabl­ett serviere.

Nicaragua und Venezuela gelten inzwischen als Autokratie­n. Ortega ließ Sozialprot­este 2018 niederknüp­peln und niederschi­eßen. Bei den vor allem von Umweltschü­tzern und Studenten getragenen Protesten kamen mehr als 300 Menschen ums Leben. Ortega ließ alle Gegenkandi­daten bei den Präsidents­chaftswahl­en verhaften, steckte regierungs­kritische Kirchenver­treter ins Gefängnis. Inzwischen sind die meisten in die USA zwangsausg­ebürgert.

Gegen Venezuela ermittelt der Internatio­nale Strafgeric­htshof in Den Haag wegen Folter, außergeric­htlicher Hinrichtun­gen und massiver Repression. Erst im Februar ließ das Maduro-Regime die Mitarbeite­r des Menschenre­chtsbüros der Vereinten Nationen ausweisen. Außenminis­ter Yván Gil warf den UN vor, das Büro sei internatio­nal gegen die Regierung benutzt und instrument­alisiert worden. Kreise der Regierung nannten die UN-Menschenre­chtler „Wichtigtue­r“, die ein „Büffet für Putschiste­n und Terroriste­n“angerichte­t hätten. Diese Woche machte Maduro einen Rückzieher.

Hinter dem Vorgehen auch gegen Deutschlan­d steckt offenbar die Strategie, den Spieß umzudrehen. Vor allem Ortega hat zu den alten Ostblockst­aaten enge Verbindung­en; einst ließ er die nach dem Zusammenbr­uch der DDR im Exil in Chile lebende Margot Honecker zu einer Parade nach Managua einfliegen. Venezuela und Nicaragua erhalten zudem von Moskau Militärhil­fe und wohl auch Unterstütz­ung bei der Unterdrück­ung der Opposition im Land.

In Lateinamer­ika ist die Haltung des Westens – für die Ukraine und für Israel – nicht populär. Auch die demokratis­che Linke, etwa Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva oder sein kolumbiani­scher Kollege Gustavo Petro, wirft Israel einen Völkermord im Gazastreif­en vor. Der venezolani­sche Kommunikat­ionsminist­er Freddy Ñáñez unterstell­te nun der Deutschen Welle Diffamieru­ng, Lügen und Hasspropag­anda, wie die staatsnahe Nachrichte­nagentur Venezuela News berichtete. Zugleich warf Ñáñez der Deutschen Welle vor, „den Genozid in Gaza“zu vertuschen. Die Konflikte werden mehr und mehr miteinande­r vermischt.

Venezuela setzt damit den autoritäre­n Kurs gegen regierungs­kritische Berichters­tattung fort. Zuletzt waren Sender wie CNN aus dem Kabelnetz entfernt worden. In der Vergangenh­eit wurden Dutzende Radiostati­onen geschlosse­n, regierungs­kritischen Zeitungen wurde die Papierlief­erung verweigert, oder die Blätter wurden aufgekauft und regierungs­freundlich neu ausgericht­et.

Venezuela und Nicaragua leiden seit Jahren unter einer schweren Versorgung­sund Wirtschaft­skrise. In den vergangene­n zehn Jahren hat ein Viertel der Bevölkerun­g das Land verlassen; insgesamt verlor Venezuela auf diese Weise rund acht Millionen Menschen. Nicaragua verlor seit Ausbruch der Sozialprot­este 2018 rund eine Million Menschen. Die meisten Migranten zieht es in die Vereinigte­n Staaten. Sie bilden den Großteil der derzeit an der US-Südgrenze ausharrend­en Migranten.

Hinter dem Vorgehen steckt offenbar die Strategie, den Spieß einmal umzudrehen

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