Rheinische Post - Xanten and Moers
Wie man die Demokratie stärken kann
Der ehemalige Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, referierte und diskutierte mit Frauen und Männern in Xanten über Chancen und Herausforderungen der Demokratie.
Die Demokratie der westlichen Welt – auch die in Deutschland – ist herausgefordert. Die Gesellschaft ist von Spaltung bedroht, es fehlen Kräfte, die sich für die Gemeinsamkeit als politisches Ziel einsetzen. Parteipolitische Interessen setzten sich an die Stelle von Lösungen, denen Kompromissen zu Grunde liegen sollten, und die zurzeit dringend notwendig sind. Gleichzeitig gehen zurzeit hunderttausende Bürgerinnen und Bürger auf die Straße und demonstrieren für eine vielfältige, offene und lebendige Demokratie. Sie sind überzeugt: Diese demokratischen Werte sind es Wert, sie zu schützen. Ein herausforderndes Szenario. Was kann die Kirche in dieser Situation tun?
Unter dem Thema „Gemeinsam die Demokratie stärken! – aber wie?“diskutierte der ehemalige Präses der Ev. Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, mit Frauen und Männern im evangelischen Gemeindehaus in der Kurfürstenstraße über Chancen und Herausforderungen der Demokratie. Er machte den Zuhörern Mut, nahm sie aber auch in die Pflicht. Rekowski forderte sie auf, aktiv gestaltend in die Prozesse einzugreifen, sie nicht einfach hinzunehmen. Man könne als Bürgerin und Bürger die politische Kultur durch sein eigenes Engagement verändern.
Rekowski eröffnete seinen Impuls mit einem Zitat von Michel Friedman. Wenn gelangweilte Demokraten und leidenschaftliche Antidemokraten zusammenkommen, dann sei die Demokratie in Gefahr, hatte der Publizist und Autor sinngemäß geäußert. Für Rekowski die Ausgangsfrage. Ist das nun eine aktuelle Analyse der Gesellschaft? Der ehemalige Präses sieht diese Situation eher als eine Perspektive. Man müsse die Demokratie stärken, das sei eine Christenpflicht, der auch er sich immer wieder gestellt hat.
Rekowski beschrieb drei Felder, auf denen er politische Erfahrungen gesammelt hatte. In der Schule und im Studium, in einer politischen Partei und in der Kirche. Er hatte in der Politik jedoch immer mehr den
Eindruck gewonnen, dass es darum ging, Entscheidungen der Parteispitze der Basis zu vermitteln und nicht umgekehrt.
Die presbyteriale Ordnung der evangelischen Kirche hat ihn nach eigener Aussage tief geprägt. Für Rekowski ist die evangelische Kirche eine Beteiligungskirche. Das Prinzip der Einmütigkeit, nicht zu verwechseln mit Einstimmigkeit, fördere eine intensive Diskussionskultur. Es sei notwendig, aufeinander zu hören. Man sei aufgefordert, rechtzeitig und geordnet Widerspruch und Kritik einzuholen. Immer wieder müsse man sich fragen, was habe ich nicht bedacht. Auf keinen Fall dürfe man Lösungen als alternativlos hinnehmen. Beispielhaft nannte er auf der politischen Ebene die Flüchtlings- und Sozialpolitik. Man müsse sich in politischen Auseinandersetzungen davor hüten, keine anderen Vorschläge zuzulassen. „Man kann immer Alternativen entwickeln, nur müssen sie geordnet
eingebracht werden“, forderte er von den politischen Akteuren. „Hier kann die Politik noch viel von der Kirche lernen“, stellte Rekowski fest.
Immer mehr komme es in der Politik zu einem „Kuhhandel“– nach dem Motto: Gibst du mir das, so gebe ich in einem anderen Feld
nach, beschrieb er das Szenario. „Das fördert die Politikverachtung“, warnte er. Die Politiker seien dem Gemeinwohl verpflichtet, forderte er. Rekowoski warnte in diesem Zusammenhang vor dem Populismus, einer großen politischen Gefahr, die sich auch in europäischen Ländern stetig ausbreite. Eine drohende Spaltung müsse man durch Milieu übergreifende Begegnungen verhindern.
Der folgende Meinungsaustausch, geleitet von Till Kiehne von der evangelischen Akademie im Rheinland, entwickelte sich zu einer Reihe von Koreferaten. So beschrieb Tanko Scholten die Situation der Jugend weniger skeptisch. Laut neueren Studien seien doch 70 Prozent, so Scholten, für das demokratische System. Volker Markus teilte den Eindruck des Referenten, dass sich die augenblicklichen Akteure eher als Laienspielschar darstellten, die den politischen Kuhhandel pflegten und Claudia Schäfer betonte die Notwendigkeit der sozialen Medien für alle Parteien und die Kirche. Nach ihrer Ansicht sei das Auftreten in den sozialen Medien demokratiefördernd. Eine Einschätzung, die Rekowski unterstützte, man müsse Sensorien entwickeln und dürfe nicht „fies davor sein“.
Superintendent Hans-Joachim Wefers beklagte das Versagen der politischen Eliten, ein Nährboden von antidemokratischen Kräften und Rolf Peter Weichhold forderte ebenfalls das Eintreten für das Gesamtinteresse. Auf die Frage von Bernd Loffeld, ob jeder in eine Partei eintreten solle, weil es auf den Einzelnen ankomme, und man noch stärker auch im privaten Kreis seine politische Meinung vertreten müsse, antworte Rekowski, dass die Bürgerinnen und Bürger als Akteure gefragt seien. Sie seien aufgefordert die politischen Prozesse aktiv zu gestalten und nicht einfach hinzunehmen. Es sei durchaus wichtig, eigene Überzeugungen einzubringen.