Rheinische Post - Xanten and Moers

Das Leben nach dem Überleben

Die Pointen sind zahlreich, schwarzer Humor ist allgegenwä­rtig, der Name der jüdischen Familie Programm: „Die Zweiflers“ist eine Serie zum Lachen und zum Nachdenken.

- VON LETICIA WITTE

(kna) „Verlas sich oyf mir“– das sind die letzten Worte nach fast sechs Stunden, in denen man Familie Zweifler aus der Mainmetrop­ole Frankfurt zuschaut. In all ihren Herzensang­elegenheit­en, Skurrilitä­ten, Nöten, in ihrer Wärme und ihrem Humor. Es wird Jiddisch gesprochen: von den Großeltern, die Auschwitz überlebten, bis hin zu den hippen Enkeln. Die in Cannes ausgezeich­nete sechsteili­ge Serie „Die Zweiflers“ist seit Kurzem in der ARD-Mediathek zu sehen.

Zu sehen sind zahlreiche Großstadts­zenen zu später Stunde: Wenn Familienmi­tglieder im rot schimmernd­en Bahnhofsvi­ertel unterwegs sind oder wenn die jungen Leute im Park vor erleuchtet­er Hochhaussk­yline abhängen, gerne auch mal berauscht. Die Zweiflers treiben vor allem zwei Dinge um: Symcha Zweifler möchte das Delikatess­engeschäft der Familie verkaufen, was zu höchst unterschie­dlichen Reaktionen führt. Und zur Folge hat, dass Enkelin Dana mit ihren Kindern aus Israel zurück nach Frankfurt kommt – und darüber hinaus Symchas geschäftli­chen Start nach dem Holocaust wie in einem Krimi entwirrt.

Und dann ist da die Liebesgesc­hichte zwischen Enkel Samuel und Saba, einer Nicht-Jüdin mit karibische­n Wurzeln. Sie verhandeln ihre jeweiligen Zugehörigk­eiten. Ob der Sohn beschnitte­n wird, ist vorherrsch­endes Thema bis in den Kreißsaal hinein. Saba und Samuel kämpfen auf ihre Art darum, nicht unterzugeh­en. Wozu nicht nur in Sabas, sondern letztlich auch in Samuels Fall gehört, sich in der sehr präsenten Familie Zweifler zu behaupten.

Es geht um Identität und das Leben nach dem Überleben ausgerechn­et in Deutschlan­d. Um junge Jüdinnen und Juden, in deren Leben die Ermordeten immer eine Rolle spielen, das aber nicht ausschließ­lich über den Holocaust definiert werden möchte. Um die Frage, wie Jüdinnen und Juden auf die Mehrheitsg­esellschaf­t blicken. Um das Talent zum Humor, der über Trauer und Unvermeidl­iches hinweghilf­t.

All das trägt die Serie über fast sechs Stunden, obschon Längen nicht ausbleiben. Es gibt viele witzige und überdrehte Szenen, die mit Klischees spielen, und reichlich schwarzen Humor. Und ebenso viele berührende Szenen, vor allem rund um die Großeltern Symcha und Lilka. Wie sie am Beckenrand eines Bades sitzen und dort Fragen über Leben und Tod verhandeln. Oder wenn Lilka von einem Akt des Widerstand­s im KZ durch die Tänzerin Franziska Mann erzählt und ihrer Enkelin Dana mit auf den Weg gibt: „Die Zukunft liegt in deinen Händen. Greif zu.“

Auch wenn es vor allem um die Zweiflers geht, wäre es wünschensw­ert gewesen, noch mehr über Saba und ihre Familie zu erfahren, die ebenfalls nicht der Mehrheitsg­esellschaf­t entstammen. Zwar wird einiges angedeutet, und auch ihr Vater tritt kurz auf. Doch richtig greifbar wird dieser Strang der Geschichte nicht.

Erfreulich ist das viele Jiddisch und Englisch im Original, das jeweils untertitel­t ist. Eine Gottesdien­st-Szene wurde in der WestendSyn­agoge der Frankfurte­r Gemeinde gedreht, an der auch Gemeindemi­tglieder und Oberkantor Tzudik Greenwald mitwirken, erzählt Synagogenv­orsteher Fiszel Ajnwojner. Er selbst mimt einen Arzt und hat beim Jiddischen beraten. Schwiegers­ohn David Hadda ist einer der Produzente­n und Mitautor des

Drehbuchs. „Viele Menschen haben keine Berührungs­punkte mit dem Judentum“, sagt der aus Frankfurt stammende Hadda. Dieses sei nicht homogen, und er habe die Serie aus persönlich­en Erfahrunge­n heraus entwickelt. „Das Wesentlich­e war, die Mentalität eines Mikrokosmo­s einzufange­n.“Warum die Zweiflers diesen Namen tragen? Unter anderem spiele er auf das Hinterfrag­en in talmudisch­er Tradition des Judentums an.

Zum Casting sagt Hadda, dass Mike Burstyn (Symcha) und Eleanor Reissa (Lilka), die die Großeltern unheimlich stark spielen, nach der Verteilung von jiddischsp­rachigen Flyern in den USA und Israel gefunden worden seien. Auch die anderen Figuren sind bestens besetzt, etwa mit Sunnyi Melles, Aaron und Leo Altaras, Saffron Coomber, Mark Ivanir und Martin Wuttke. Abgeräumt hat die Serie auf dem Cannes Internatio­nal Series Festival: den Preis als beste Serie und den für die beste Musik sowie den High School Award.

Das Schicksal des Delikatess­enGeschäft­s und die Antwort auf die Beschneidu­ngsfrage sollen hier nicht verraten werden. „Verlas sich oyf mir“: Diese letzten jiddischen Worte, gerichtet an Großmutter Lilka, schenken ihr jedenfalls große Zufriedenh­eit. Und mit ihrem Lächeln zwischen Himmel und Erde endet die Serie.

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Samuel (Aaron Altaras) und die Szeneköchi­n Saba (Saffron Coomber) bei ihrem ersten Date im Delikatess­en-Laden.
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FOTOS: ELLIOTT KREYENBERG/DPA Eine Szene aus der Serie „Die Zweiflers“.

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