Rheinische Post - Xanten and Moers
So kommt Wasserstoff zum Niederrhein
Auch in der Region soll das Netz ausgebaut werden. Thyssengas ist dabei mit im Boot, auch Gelsenwasser engagiert sich. Hauptsächlich sollen Gasleitungen umgestellt werden.
NIEDERRHEIN Energiewende, Transformation, Dekarbonisierung. Es sind große, abstrakte Schlagworte, mit denen der Umstieg auf alternative Energiequellen vorangetrieben wird. Am Niederrhein werden die Bürger in den kommenden Jahren hautnah erleben, was das ganz konkret bedeutet. Zwei riesige Stromprojekte wird Amprion durch die Region führen. Wie mehrfach berichtet, werden erst im Zuge des Projekts „A-Nord“unterirdische Mega-Stromleitungen am Niederrhein verbuddelt, später folgen dann mit der „Windader West“die nächsten. Und jetzt nimmt das nächste Großprojekt zur Energiewende Fahrt auf: Der Niederrhein soll großflächig an Wasserstoff angeschlossen werden.
Im Unterschied zu den MegaStromtrassen muss für die Wasserstoffleitungen allerdings nicht überall der Boden aufgegraben werden. Vielmehr sollen hier bereits bestehende Erdgasleitungen genutzt werden, die nach der Umstellung dann Wasserstoff transportieren. Eine der künftigen Haupttransportrouten für Wasserstoff-Importe über den Grenzübergangspunkt Zevenaar aus den Niederlanden wird durch die Kreise Kleve und Wesel führen. Hauptsächlich werden hierbei bereits vorhandene Erdgasleitungen auf Wasserstoff umgestellt.
Im Bereich von Voerde nach Walsum und auf einem kleinen Stück im Bereich Rheinberg-Borth werden allerdings auch neue Rohre verlegt. Die Leitungen werden von Thyssengas geplant und sollen im Fall von Voerde nach Walsum Ende 2027 in Betrieb genommen werden.
Das Unternehmen aus Dortmund arbeitet beim Wasserstoff-Projekt am Niederrhein auch mit den Stadtwerken Emmerich zusammen. In den Prozess ist auch die BEW (Bocholter Energie- und Wasserversorgung) eingebunden, die sich für eine Wasserstoff-Anbindung des Industrieparks Bocholt im Stadtteil Mussum engagiert.
Gemeinsam wurde eine konkrete Transportverbindung festgelegt: Zwischen Emmerich und Bocholt kann eine bestehende ThyssengasErdgasleitung für den WasserstoffTransport umgestellt werden. Diese soll für die örtlichen Unternehmen aus Industrie und Mittelstand sowie die kommunale Wärmeplanung eine H2-Versorgungsperspektive bis 2030 und damit Planungs- und Investitionssicherheit schaffen. Die notwendigen Wasserstoff-Mengen sollen aus den Niederlanden importiert und mithilfe von Windstrom an der Nordseeküste oder über Elektrolyseure in NRW und Niedersachsen erzeugt werden. Die Stadtwerke Emmerich haben mit Thyssengas für das Projekt bereits eine Absichtserklärung unterzeichnet.
Und jetzt ist auch der Versorger Gelsenwasser eingestiegen und hat einen „Letter of Intent“mit Thyssengas unterzeichnet. Vereinfacht gesagt, geht es vor allem darum, die verschiedenen Leitungssysteme miteinander zu verbinden.
Thyssengas wird mit seinem H2Leitungsnetz für den WasserstoffTransport in die Regionen sorgen.
Dort übernimmt dann Gelsenwasser Energienetze die Rolle des örtlichen Netzbetreibers und sorgt für die Verteilung des Wasserstoffs an die Verbraucher in der Region. „Wir bauen gewissermaßen die Autobahn, Gelsenwasser stellt die Zubringer und kleineren Straßen zur Verfügung, über die dann die Verteilung in die Kommunen erfolgt“, erläutert es eine Sprecherin von Thyssengas plastisch.
Mit der Absichtserklärung lege man den Grundstein für die H2-Versorgung in der Region Niederrhein in den Bereichen Isselburg, Kalkar, Uedem, Kevelaer, Sonsbeck, Geldern, Issum, Rheurdt und Kaarst sowie Xanten, Alpen, Voerde und Rheinberg, heißt es.
Thyssengas hatte im engen Austausch mit den Unternehmen in seinem Netzgebiet zunächst sechs Potenzialregionen, sogenannte H2-Cluster, definiert. Im Cluster „Niederrhein“befinden sich zahlreiche energie- und emissionsintensive Unternehmen, die ihre Energieversorgung künftig mithilfe von Wasserstoff dekarbonisieren möchten. Die H2-Cluster sollen als Keimzellen die Entwicklung hin zu einer integrierten H2-Infrastruktur einleiten.
Wie das Wasserstoff-Projekt später konkret in jeder Kommune umgesetzt wird, ist derzeit offenbar noch ziemlich offen. Das hängt beispielsweise von der kommunalen Wärmeplanung und auch von den Planungen der Firmen ab. Es scheint aber erst einmal nicht vorstellbar, dass ein einzelnes Unternehmen, das nahe an Wohnbebauung liegt, mit Wasserstoff versorgt wird. Denn die meisten Wohnhäuser werden mit Gas beheizt und dann müssen die Leitungen dafür genutzt werden.
Für die Zukunft sei es aber denkbar, dass immer mehr Privatleute mit Wasserstoff heizen, wie ein Techniker von Gelsenwasser im Gespräch mit der Redaktion erläutert. Neue Gasthermen hätten oft das Label „H2 ready“und könnten für einige hundert Euro auf Wasserstoff umgerüstet werden.
Die Sprecherin von Thyssengas stellt auch klar, dass niemand um die Versorgung mit Gas fürchten müsse. Auf den Karten ist beispielsweise zu sehen, dass Leitungen bei Kevelaer und Geldern von Gas auf Wasserstoff umgestellt werden sollen. „Es ist aber auf jeden Fall sichergestellt, dass die Versorgung unserer Erdgaskunden über andere Leitungen gewährleistet ist“, so Annika Preuß.
Ganz komplex macht das ohnehin nicht einfache Thema die Tatsache, dass parallel auch der Aufbau des bundesweiten Wasserstoff-Kernnetzes läuft. Auch hier beabsichtigt Thyssengas, sich mit möglichen Trassenkorridoren am Niederrhein zu beteiligen. Details dazu gibt es noch nicht. Die Frist für die Einreichung des offiziellen Antrags des Wasserstoff-Kernnetz durch die Fernleitungsnetzbetreiber ist der 21. Mai.
Dieser Antrag muss im Anschluss durch die Bundesnetzagentur zunächst geprüft und im Anschluss genehmigt werden. Im Internet gibt es zu dem Wasserstoff-Kernnetz nur ganz grobe Karten. Dort ist zu sehen: Am Niederrhein sind es vornehmlich Bestandsleitungen, die umgestellt werden.
Auch einen genauen zeitlichen Rahmen für die Umsetzung gibt es noch nicht. Bis zum Jahr 2035 soll alles fertig sein. Doch an welcher Stelle was wann umgesetzt wird, hänge immer vom konkreten Projekt ab, so die Sprecherin von Thyssengas. Fest stehe aber: „Es wird Infoveranstaltungen für die Bürger geben.“