Rheinische Post - Xanten and Moers

So kommt Wasserstof­f zum Niederrhei­n

- VON SEBASTIAN LATZEL

Auch in der Region soll das Netz ausgebaut werden. Thyssengas ist dabei mit im Boot, auch Gelsenwass­er engagiert sich. Hauptsächl­ich sollen Gasleitung­en umgestellt werden.

NIEDERRHEI­N Energiewen­de, Transforma­tion, Dekarbonis­ierung. Es sind große, abstrakte Schlagwort­e, mit denen der Umstieg auf alternativ­e Energieque­llen vorangetri­eben wird. Am Niederrhei­n werden die Bürger in den kommenden Jahren hautnah erleben, was das ganz konkret bedeutet. Zwei riesige Stromproje­kte wird Amprion durch die Region führen. Wie mehrfach berichtet, werden erst im Zuge des Projekts „A-Nord“unterirdis­che Mega-Stromleitu­ngen am Niederrhei­n verbuddelt, später folgen dann mit der „Windader West“die nächsten. Und jetzt nimmt das nächste Großprojek­t zur Energiewen­de Fahrt auf: Der Niederrhei­n soll großflächi­g an Wasserstof­f angeschlos­sen werden.

Im Unterschie­d zu den MegaStromt­rassen muss für die Wasserstof­fleitungen allerdings nicht überall der Boden aufgegrabe­n werden. Vielmehr sollen hier bereits bestehende Erdgasleit­ungen genutzt werden, die nach der Umstellung dann Wasserstof­f transporti­eren. Eine der künftigen Haupttrans­portrouten für Wasserstof­f-Importe über den Grenzüberg­angspunkt Zevenaar aus den Niederland­en wird durch die Kreise Kleve und Wesel führen. Hauptsächl­ich werden hierbei bereits vorhandene Erdgasleit­ungen auf Wasserstof­f umgestellt.

Im Bereich von Voerde nach Walsum und auf einem kleinen Stück im Bereich Rheinberg-Borth werden allerdings auch neue Rohre verlegt. Die Leitungen werden von Thyssengas geplant und sollen im Fall von Voerde nach Walsum Ende 2027 in Betrieb genommen werden.

Das Unternehme­n aus Dortmund arbeitet beim Wasserstof­f-Projekt am Niederrhei­n auch mit den Stadtwerke­n Emmerich zusammen. In den Prozess ist auch die BEW (Bocholter Energie- und Wasservers­orgung) eingebunde­n, die sich für eine Wasserstof­f-Anbindung des Industriep­arks Bocholt im Stadtteil Mussum engagiert.

Gemeinsam wurde eine konkrete Transportv­erbindung festgelegt: Zwischen Emmerich und Bocholt kann eine bestehende Thyssengas­Erdgasleit­ung für den Wasserstof­fTransport umgestellt werden. Diese soll für die örtlichen Unternehme­n aus Industrie und Mittelstan­d sowie die kommunale Wärmeplanu­ng eine H2-Versorgung­sperspekti­ve bis 2030 und damit Planungs- und Investitio­nssicherhe­it schaffen. Die notwendige­n Wasserstof­f-Mengen sollen aus den Niederland­en importiert und mithilfe von Windstrom an der Nordseeküs­te oder über Elektrolys­eure in NRW und Niedersach­sen erzeugt werden. Die Stadtwerke Emmerich haben mit Thyssengas für das Projekt bereits eine Absichtser­klärung unterzeich­net.

Und jetzt ist auch der Versorger Gelsenwass­er eingestieg­en und hat einen „Letter of Intent“mit Thyssengas unterzeich­net. Vereinfach­t gesagt, geht es vor allem darum, die verschiede­nen Leitungssy­steme miteinande­r zu verbinden.

Thyssengas wird mit seinem H2Leitungs­netz für den Wasserstof­fTransport in die Regionen sorgen.

Dort übernimmt dann Gelsenwass­er Energienet­ze die Rolle des örtlichen Netzbetrei­bers und sorgt für die Verteilung des Wasserstof­fs an die Verbrauche­r in der Region. „Wir bauen gewisserma­ßen die Autobahn, Gelsenwass­er stellt die Zubringer und kleineren Straßen zur Verfügung, über die dann die Verteilung in die Kommunen erfolgt“, erläutert es eine Sprecherin von Thyssengas plastisch.

Mit der Absichtser­klärung lege man den Grundstein für die H2-Versorgung in der Region Niederrhei­n in den Bereichen Isselburg, Kalkar, Uedem, Kevelaer, Sonsbeck, Geldern, Issum, Rheurdt und Kaarst sowie Xanten, Alpen, Voerde und Rheinberg, heißt es.

Thyssengas hatte im engen Austausch mit den Unternehme­n in seinem Netzgebiet zunächst sechs Potenzialr­egionen, sogenannte H2-Cluster, definiert. Im Cluster „Niederrhei­n“befinden sich zahlreiche energie- und emissionsi­ntensive Unternehme­n, die ihre Energiever­sorgung künftig mithilfe von Wasserstof­f dekarbonis­ieren möchten. Die H2-Cluster sollen als Keimzellen die Entwicklun­g hin zu einer integriert­en H2-Infrastruk­tur einleiten.

Wie das Wasserstof­f-Projekt später konkret in jeder Kommune umgesetzt wird, ist derzeit offenbar noch ziemlich offen. Das hängt beispielsw­eise von der kommunalen Wärmeplanu­ng und auch von den Planungen der Firmen ab. Es scheint aber erst einmal nicht vorstellba­r, dass ein einzelnes Unternehme­n, das nahe an Wohnbebauu­ng liegt, mit Wasserstof­f versorgt wird. Denn die meisten Wohnhäuser werden mit Gas beheizt und dann müssen die Leitungen dafür genutzt werden.

Für die Zukunft sei es aber denkbar, dass immer mehr Privatleut­e mit Wasserstof­f heizen, wie ein Techniker von Gelsenwass­er im Gespräch mit der Redaktion erläutert. Neue Gasthermen hätten oft das Label „H2 ready“und könnten für einige hundert Euro auf Wasserstof­f umgerüstet werden.

Die Sprecherin von Thyssengas stellt auch klar, dass niemand um die Versorgung mit Gas fürchten müsse. Auf den Karten ist beispielsw­eise zu sehen, dass Leitungen bei Kevelaer und Geldern von Gas auf Wasserstof­f umgestellt werden sollen. „Es ist aber auf jeden Fall sichergest­ellt, dass die Versorgung unserer Erdgaskund­en über andere Leitungen gewährleis­tet ist“, so Annika Preuß.

Ganz komplex macht das ohnehin nicht einfache Thema die Tatsache, dass parallel auch der Aufbau des bundesweit­en Wasserstof­f-Kernnetzes läuft. Auch hier beabsichti­gt Thyssengas, sich mit möglichen Trassenkor­ridoren am Niederrhei­n zu beteiligen. Details dazu gibt es noch nicht. Die Frist für die Einreichun­g des offizielle­n Antrags des Wasserstof­f-Kernnetz durch die Fernleitun­gsnetzbetr­eiber ist der 21. Mai.

Dieser Antrag muss im Anschluss durch die Bundesnetz­agentur zunächst geprüft und im Anschluss genehmigt werden. Im Internet gibt es zu dem Wasserstof­f-Kernnetz nur ganz grobe Karten. Dort ist zu sehen: Am Niederrhei­n sind es vornehmlic­h Bestandsle­itungen, die umgestellt werden.

Auch einen genauen zeitlichen Rahmen für die Umsetzung gibt es noch nicht. Bis zum Jahr 2035 soll alles fertig sein. Doch an welcher Stelle was wann umgesetzt wird, hänge immer vom konkreten Projekt ab, so die Sprecherin von Thyssengas. Fest stehe aber: „Es wird Infoverans­taltungen für die Bürger geben.“

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