Rheinische Post - Xanten and Moers
Wo sich Musik und Literatur treffen
Verschiedene Auftritte in der Stadt gehören beim Moers Festival in die mobile Programmabteilung, sorgen für Unterhaltung in der City und machen neugierig. So auch in der Barbara-Buchhandlung.
Für die Moerser Buchhändlerin Kathrin Olzog ist das Moers Festival voller Überraschungen. Ihre Barbara-Buchhandlung war Teil des Programms, das in der Moerser City an verschiedenen Stellen zu erleben war. Draußen und umsonst, so das Motto der Auftritte, die die Menschen in ihren Bann zogen. „Wir sind von Anfang an dabei, aber wissen lange im Vorfeld nicht, was uns erwartet. Aber wir haben schon in der Vergangenheit immer das bekommen, was zu uns passt“, sagt Kathrin Olzog.
Über die Jahre ist bei diesen Auftritten ein hohes Maß an Flexibilität gefragt, nichts ist planbar, ein Kommen und Gehen bestimmt das Event. Doch diesmal war es anders. Der kleine Innenhof hinter dem historischen Bogen auf der Burgstraße bot Trompeter Wolfgang Suchner, Hans Werner Otto und Christina Rudersdorf die Bühne für eine außergewöhnliche Lesung, die nachklingt.
Auch diesmal gelang die Punktlandung, die das Festival-Team mit Tim Isfort für die Buchhandlung vorbereitet hatte. Es geht um den Musiker und Schauspieler Wolfgang Suchner, dessen Buch „Wolfgang fällt um – das Loch in der Zeit“gerade erschienen ist. Im Innenhof hat sich Suchner mit verschiedenen Blasinstrumenten wie auch dem Kistenbass, Marke Eigenbau von 1984, eingerichtet. Begleitet wird der Wuppertaler von Hans Werner Otto, der die Lebensgeschichte von Suchner mit 33 Jahren Epilepsie-Erfahrung zu Papier brachte. Suchners Buch bietet Momentaufnahmen, wenn ihn auf der Bühne während eines Auftritts ein Anfall außer Gefecht setzte, aber auch endlich das ersehnte Licht am Ende des langen Tunnels.
Dank ketogener Ernährung ist die neurologische Erkrankung beinahe völlig in den Hintergrund getreten. Suchner und Otto sind feuilletonistisch-unterhaltend diese Funktionsstörung des Gehirns angegangen, die auch tödlich enden kann. Beispielsweise dann, wenn durch das Trompetenspiel bei Suchner zu großer Druck im Kopf entsteht. Zwei Jahre Arbeit liegen hinter ihnen. Suchner hat erzählt, Otto aufgeschrieben und kapitelweise formuliert. „Epileptiker werden mit ihrem Anderssein von der Gesellschaft und der Öffentlichkeit stigmatisiert“, sagt Suchner, der diese Erfahrung beispielsweise auch bei seiner Berufswahl erfahren musste.
Rund 1,2 Prozent Menschen sind
von der Krankheit, auch als Fallsucht bezeichnet, betroffen. Aus vielen Gesprächen weiß er, was dieser Anfall, das Loch in der Zeit, mit diesen Menschen macht, weiß um Klischees, Ausgrenzung inklusive Behindertenstatus. Schon nach entsprechender Diagnose bei Kindern und Jugendlichen in der Schule beginnt ein Leidensweg. „Erzählen Sie es nicht weiter“, sei einer der häufigsten Sätze gewesen, die er nach manchem Gespräch gehört habe. „Epilepsie muss mehr in die Öffentlichkeit, damit Menschen
besser Bescheid wissen, um für sich einen Weg zu finden“, so Suchner.
Über Jahrzehnte nahm er Medikamente, weiß um ihre Nebenwirkungen wie Wortfindungsstörungen, geistige Abwesenheit und Abgeschlagenheit. 1991 erlebte er den ersten schweren Krampfanfall, ein so genannter Grand Mal, bei dem das Gehirn auf Null runterfährt. „Das ist wie ein PC-Absturz“, meint Suchner zum Gewitter im Kopf. Sechs dieser schweren Anfälle erlebte er in dieser Zeit sowie bis zu 60 kleinere Anfälle pro Jahr.
In der Fachklinik und dem Epilepsiezentrum Kleinwachau bei Dresden lernte er den Neurologen und Epilepsie-Experten Thomas Mayer, die ketogene Ernährungstherapie (KET) und damit auch Ernährungswissenschaftlerin Christina Rudersdorf kennen.
„Bei dieser Ernährungstherapie wird versucht, den Stoffwechsel umzuswitchen. Das heißt, Kohlenhydrate als Energielieferant runterfahren, pflanzliche Fette und den Eiweißanteil über Fisch und Fleisch erhöhen. Im Alltag wird weitgehend
auf Produkte wie Reis, Nudeln oder Brot verzichtet“, so Rudersdorf. So genanntes KET-Brot wird aus Nuss, Soja-, Lein- oder Kokosmehlen gebacken. Für Suchner war es der richtige Weg. „Seit drei Jahren bin ich anfallsfrei. Meine Medikamente wurden stark reduziert. Die ketogene Ernährungstherapie ist mein Weg und hat mich gerettet. Der Genuss und meine Lebensqualität sind gestiegen“, erzählte er seinen Zuhörern am Pfingstsamstag in der Barbara-Buchhandlung in der Moerser Innenstadt.