Rheinische Post - Xanten and Moers
Freiheit braucht Zeit
Der Alltag vieler Studierenden ist heute durchgetaktet bis ins Detail. Dabei ist es wichtig, auch mal frei zu denken, sich auszuprobieren und Fehler zu machen.
Immatrikulieren, aber an der richtigen Uni. Was ist die effizienteste Reihenfolge für meine Module? In einer Woche die Hausarbeit schreiben, anschließend die mündliche Prüfung absolvieren, danach sofort ins Pflichtpraktikum, Zwischenprüfung, Examen. Bloß keine Fehler machen, oder gar durchfallen – dafür ist keine Zeit!
Und all das in der vorgegebenen Regelstudienzeit, am besten schneller. Ein Auslandssemester müsste für den Lebenslauf auch noch drin sein. Bachelor, Master, Promotion, selbstverständlich mit Bestnoten, damit man einen lukrativen Job findet und sich als „Highperformer“behaupten kann. Doch was bleibt am Ende solch einer Uni-Karriere?
Die Hochschulreform der letzten 20 Jahre, der sogenannte BolognaProzess, hatte die Absicht, die unterschiedlichen Studienabschlüsse zu vereinheitlichen, die Qualität der Studieninhalte zu sichern und die internationale Vergleichbarkeit von Hochschul- und Berufsabschlüssen zu gewährleisten. Man kann zu diesen Reformprozessen stehen, wie man möchte, eines ist dabei offenkundig: Bologna hat das Hochschulstudium, zumindest in Deutschland, stark verschult und ökonomisiert.
Dabei ist jedoch ein ganz wichtiger Faktor guten Studierens vergessen worden: die Zeit. Die Studierenden sollen möglichst effizient ihr Studium beenden, damit sie dem Arbeitsmarkt zügig zur Verfügung stehen. Doch für ein ordentliches künstlerisches oder geisteswissenschaftliches Studium sind Zeitverknappung und Regelstudienzeit pures Gift. Sich selbst und sein Denken zu entwickeln, braucht Zeit. Verstehen und Verstehen lernen braucht Zeit. Kunst, Musik oder eine Geisteswissenschaft
zu studieren ist ja nicht das bloße Auswendiglernen von Fakten. Man muss viel lesen, Kunst und Musik erfahren und dabei neue Impulse bekommen, bevor am Ende vielleicht ein eigenes Kunstwerk, ein eigenes Stück Musik oder ein eigener Text entsteht.
Dazu braucht es Freiheit im Denken, Freiheit in der eigenen geistigen und persönlichen Entwicklung. Aber vor allem Freiheit, mir genau dafür Zeit zu nehmen und Zeit zu lassen. Obendrein gehört die Freiheit dazu, Fehler zu machen, das falsche Studium gewählt oder eine Prüfung nicht bestanden zu haben. Denn nur so können Menschen wachsen, nur so können Forschung und Wissenschaft sich weiterentwickeln.
Ich wünsche mir dies oft für meine Studierenden: Lasst euch Zeit! Macht Fehler, eine ganze Menge. Nur einen nicht: euch keine Zeit zu lassen!