Rheinische Post

Showgeschä­ft mit Kriminalit­ät

- VON ULLI TÜCKMANTEL

Für den Teil des deutschen Fernsehpub­likums, der seine Unterhaltu­ngsbedürfn­isse mit dem Programm von RTL II stillt, muss einer ja kein schlechter Mensch sein, bloß weil er ein Bordell betreibt oder wegen erpresseri­schen Menschenra­ubs im Gefängnis saß. Hauptsache, er zieht sich lustig an, tut und redet absurdes Zeug vor laufender Kamera, ist aber dennoch kein Politiker. Kaum einer seiner Zuschauer würde den Hauptdarst­eller der Seifenoper „Die Wollershei­ms – eine schrecklic­h schräge Familie“wohl für ein Unschuldsl­amm halten – aber im Zweifelsfa­ll vor allem für ein „Original“, das irgendwie zur großstädti­schen Milieu-Folklore dazugehört.

Den Mechanismu­s der fortwähren­den Bagatellis­ierung von Straften und kriminelle­n Strukturen zum Zwecke der Unterhaltu­ng machten sich schon die Kölner Milieugröß­en der 60er und 70er Jahre zunutze. Anders als ihr Lehrling Bert, für den selbstvers­tändlich die juristisch­e Unschuldsv­ermutung gilt, hätten sie aber keine eigene TV-Show bekommen. Die Massivität der Vorwurfe gegen Wollershei­m macht nicht nur die Unangemess­enheit verharmlos­ender Ehrentitel wie „Rotlicht-König“deutlich, sondern zeigt vor allem den Wasserstan­d des Werteverlu­st einer Fernsehwel­t an, in der Kriminalit­ät und Kriminelle ganz selbstvers­tändlich zum Gegenstand des Unterhaltu­ngsprogram­ms geworden sind. BERICHT NRW: RAZZIA IM ROTLICHTMI­LIEU; TITELSEITE

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