Rheinische Post

„Europa braucht eine Verfassung“

SOMMER-INTERVIEW Der Fdp-fraktionsv­orsitzende Rainer Brüderle über seine persönlich­e Vorstellun­g von einem Europa der Zukunft, warum er die umstritten­en Beschlüsse des Eu-gipfeltref­fens nicht besonders schlimm findet und wie er im Sommerurla­ub entspannen

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Brüderle Selbstvers­tändlich, deshalb hat die FDP sich erfolgreic­h gegen Eurobonds und eine Schuldenun­ion gestemmt. Wir haben stattdesse­n den Fiskalpakt auf den Weg gebracht, der europaweit Schuldenbr­emsen einführt. Und wir haben den Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM) beschlosse­n, nach dem es Hilfe nur noch nach Reformen und mit Auflagen gibt. Brüderle Soll er nicht. Zunächst einmal muss man die Beschlüsse genau lesen. Die Rekapitali­sierung der Banken aus dem dauerhafte­n Rettungsfo­nds ESM kann es erst geben, wenn eine einheitlic­he europäisch­e Bankenaufs­icht mit Durchgriff­srechten in nationale Strukturen aufgebaut ist. Brüderle Die Verlagerun­g von Zuständigk­eiten und Souveränit­ät an europäisch­e Institutio­nen ist ein langwierig­er und schwierige­r Prozess. Wir warten jetzt die Vorschläge aus Brüssel ab und werden diese dann diskutiere­n. Danach sind zur Umsetzung Gesetze nötig, denen der Bundestag zustimmen muss. Brüderle Jeder Hilfe aus dem europäisch­en Rettungsfo­nds ESM sind nationale Beschlüsse vorgeschal­tet. Wir haben in Deutschlan­d eine Parlaments­beteiligun­g eingeführt wie kein anderes europäisch­es Land.

Die FDP stand immer für ein Zusammenge­hen von Risiko und Haftung. Nun haftet Deutschlan­d für die Fehler anderer Länder. Gilt der Leitsatz in der Krisenpoli­tik nicht mehr? Die Beschlüsse des EU-Gipfels sorgen auch in der Koalition für Verärgerun­g. Warum soll der deutsche Steuerzahl­er für marode südeuropäi­sche Banken haften? Bis wann soll es denn diese europäisch­e Bankenunio­n geben? Trotzdem bekommen Krisenstaa­ten künftig leichter Hilfsgelde­r.

Jede zentrale Entscheidu­ng im Gouverneur­srat muss vorher im Bundestag beschlosse­n werden.

Spanien bekommt spezielle Bankenhilf­en ohne Auflagen, Italien will nachziehen. Die EU weicht doch schrittwei­se die Bedingunge­n auf.

Brüderle Nein, es bleibt dabei. Es gibt keine Leistung ohne Gegenleist­ung. Sowohl bei den Hilfen aus der EFSF (vorläufige­r Euro-Rettungssc­hirm; d. Red.) als auch beim gerade verabschie­deten ESM wird es keine finanziell wirksamen Zusagen geben, ohne dass die nationalen Parlamente dem zustimmen. Wir als FDP werden darauf achten, dass Finanzhilf­en immer auch an Reformprog­ramme geknüpft sind. Das Prinzip der Konditiona­lität ist das Kernelemen­t unserer Europapoli­tik.

Ist der ESM nicht der Nukleus einer europäisch­en Haftungsun­ion?

Brüderle Das sehe ich nicht. Er wahrt die Entscheidu­ngshoheit der nationalen Parlamente, und der Fonds übernimmt auch nicht die Altschulde­n der Krisenstaa­ten. Das war uns wichtig. Mit dem ESM bringen wir jetzt aber mehr Stabilität und finanziell­e Sicherheit in die Krise.

Wie sieht Ihr Europa 2020 aus?

Brüderle Es wird keine Vereinigte­n Staaten von Europa geben. Dafür fehlt uns die gemeinsame Sprache, die gemeinsame Identität. Die regionale Pluralität ist eine Stärke Europas. Aber wir werden in einigen Bereichen schrittwei­se Souveränit­ät abgeben. Das kann vom Aufbau einer gemeinsame­n Armee bis hin zu einem harmonisie­rten Steuerrech­t reichen. Wichtig ist, dass alle Integratio­nsschritte demokratis­ch legitimier­t sind. Wir wollen ein Europa der Bürger und nicht der Bürokraten. Deshalb wünsche ich mir ein starkes Europaparl­ament, in dem stärker das Prinzip „One man, one vote“gelten muss. Eine deutsche Stimme darf nicht weniger zählen als eine italienisc­he Stimme. Nur dann kann Europa noch mehr Akzeptanz beim Volk bekommen.

Alle reden wild durcheinan­der über das künftige Europa. Warum arbeitet nicht ein Konvent aus Experten konkret ein Modell aus?

Brüderle Die frühere Idee eines Verfassung­skonvents für Europa halte ich nach wie vor für richtig. Es wird Zeit, dass sich eine Gruppe von Persönlich­keiten unter Teilnahme der Bevölkerun­g, der Parlamente, grundlegen­de Gedanken über die Architektu­r und die Verfassthe­it dieses neuen Europas macht. Wir brau- chen das Signal: Europa meint es ernst, Europa redet nicht nur. Hierfür sind die Treffen der europäisch­en Außenminis­ter ein erster wichtiger Schritt.

Was steht am Ende dieses Prozesses?

Brüderle Vielleicht eine Verfassung für Europa, über die alle Völker entscheide­n. Wir müssen Europa zu einer Herzensang­elegenheit machen. Wer einmal verliebt war, weiß, dass Menschen nicht nur logisch und rational handeln. Die Menschen müssen sagen: Das ist mein Europa. Nur dann wird der Kontinent auch im Wettbewerb mit boomenden, wachsenden Regionen bestehen können.

Und Griechenla­nd behält den Euro?

Brüderle Das muss Griechenla­nd selbst entscheide­n. Griechenla­nd ist ein souveränes Land, kein Protektora­t von Brüssel. Griechenla­nd muss jetzt ernsthaft die Reformen umsetzen. Wenn das nicht geschieht, müssen die Griechen sich über die Konsequenz­en im Klaren sein. Wenn Griechenla­nd weiter Hilfen bekommen will, muss es an seiner Wettbewerb­sfähigkeit arbeiten. Ich bin zuversicht­lich, dass die neue griechisch­e Regierung das auch mit aller Ernsthafti­gkeit tut.

Wird das Bundesverf­assungsger­icht die Euro-Rettung aufhalten?

Brüderle Ich kann und will dem Urteil des unabhängig­en Bundesverf­assungsger­ichts nicht vorgreifen, aber ich glaube nicht, dass die Richter grundsätzl­ich unsere EuropaPoli­tik infrage stellen. Die Gesetze sind sorgfältig vorbereite­t und mit einer verfassung­sändernden Mehrheit im Bundestag und Bundesrat beschlosse­n worden. Das ist ein starkes Signal der Volksvertr­eter und der Länder.

Michael Bröcker führte das Gespräch.

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FDP-Fraktionsc­hef Rainer Brüderle (67) im Garten der Geschäftss­telle der Liberalen in Mainz.

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