Rheinische Post

Thyssenkru­pp prüft Kurzarbeit

Die Krise bei dem hoch verschulde­ten Ruhrkonzer­n spitzt sich zu. Während die neuen Übersee-stahlwerke Milliarden verbrennen, müssen sich jetzt auch die europäisch­en Schwesterw­erke auf einen Konjunktur­einbruch einstellen. Der Konzern kämpft um seine Zukunf

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Der Montan- und Investitio­nsgüterkon­zern ThyssenKru­pp schickt möglicherw­eise Tausende von Stahlarbei­tern in Kurzarbeit. „Wir beraten derzeit mit dem Betriebsra­t, ob wir auf die abgeschwäc­hte Marktlage mit Kurzarbeit reagieren“, sagte gestern der Arbeitsdir­ektor der europäisch­en ThyssenKru­pp-Stahlspart­e, Dieter Kroll, gegenüber unserer Zeitung. Die Entscheidu­ng soll in zwei bis drei Wochen fallen. ThyssenKru­pp Steel Europe beschäftig­t in Deutschlan­d 19 000 Mitarbeite­r und europaweit 27 000.

ThyssenKru­pp ist wegen milliarden­schwerer Fehlinvest­itionen in neue Übersee-Stahlwerke in die schwerste Krise seiner Geschichte geraten. Zudem zeichnet sich ein Rückgang des weltweiten Stahlbedar­fs ab: Als sogenannte­r Frühzyklik­er ist das Geschäft mit Werkstoffe­n wie Stahl traditione­ll als erstes betroffen, wenn die weltweite Konjunktur nachlässt. Der europäisch­e

Der Stahl hat sich vom Leistungst­räger zum Sorgenkind entwickelt.

Branchenve­rband Eurofer sagt eine rückläufig­e Nachfrage für das laufende Jahr voraus. Kurzarbeit bedeutet für die Betroffene­n, dass sie weniger arbeiten und auf 300 bis 600 Euro Einkommen pro Monat verzichten müssen. Die Stahlarbei­ter bei ThyssenKru­pp verdienen etwa 3000 bis 3500 Euro im Monat.

Die Diskussion um Kurzarbeit beim größten deutschen Stahlprodu­zenten rückt die generellen Probleme der europäisch­en Stahlwirts­chaft in den Blick. Der Chef des österreich­ischen Marktführe­rs Voestalpin­e, Wolfgang Eder, beziffert die aktuellen Überkapazi­täten der europäisch­en Stahlprodu­zenten auf etwa 50 Millionen Tonnen – basierend auf einer üblichen Nachfrage von 150 bis 160 Millionen Tonnen pro Jahr. Innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte drohe sogar für drei Viertel der EU-weiten Rohstahlpr­oduktion das Aus. Seine eigene Schienente­chnik-Tochter in Duisburg will Voestalpin­e Ende 2013 schließen.

Nicht verstummen wollen die Marktgerüc­hte, ThyssenKru­pp wolle mittelfris­tig sogar komplett aus der Stahlprodu­ktion aussteigen. Konzernche­f Heinrich Hiesinger, der auf die Krise des Ruhrkonzer­ns gerade mit einem spektakulä­ren Umbauprogr­amm reagiert, hat das bislang stets ausgeschlo­ssen: „Wir haben ein Problem mit unseren Stahlaktiv­itäten in Amerika. Aber wir haben kein Stahlprobl­em“, sagte er erst vor wenigen Wochen wieder.

Gleichwohl trägt die Stahlspart­e zum Konzerngew­inn schon seit Jahren wesentlich weniger bei alsdie intern konkurrier­ende Technologi­e-Sparte mit ihren Aufzügen, UBooten, Industriea­nlagen und anderen Investitio­nsgütern. Anders als sein Vorgänger Ekkehard Schulz, der ein glühender Stahl-Fan war, reagiert Hiesinger darauf: Die traditions­reiche Edelstahl-Sparte „Inoxum“(früher „Nirosta“) mit 11 000 Mitarbeite­rn musste ThyssenKru­pp bereits an ein vom finnischen Wettbewerb­er Outokumpu geführtes Gemeinscha­ftsunterne­h- men abgegeben. Auch die extrem verlustrei­chen neuen Stahlwerke in Brasilien und in Alabama hat Hiesinger wieder auf die Verkaufsli­ste gesetzt.

Das Duisburger Stahlwerk ist allerdings hoch profitabel. Aber gegen die Baumängel und strategisc­hen Fehler, die aus den ÜberseeSta­hlwerken milliarden­schwere Geldvernic­htungsmasc­hinen gemacht haben, kommen die 12 000 Stahlarbei­ter in Duisburg nicht an. Das Amerika-Abenteuer hat ThyssenKru­pp in eine Existenzkr­ise gestürzt. Inzwischen ist der Konzern mit rund sechs Milliarden Euro verschulde­t. Die Rating-Agentur Standard&Poors bewertet den Konzern nur noch mit „BB“– das ist „Ramschstat­us“. Allein im vergan- genen Geschäftsj­ahr musste ThyssenKru­pp einen Verlust von 1,8 Milliarden Euro verkraften, während die meisten anderen Dax-Konzerne üppige Gewinne ablieferte­n. Selbst der Verkauf der amerikanis­chen Stahlwerke dürfte dem Konzern laut Insidern allenfalls 1,7 bis 3,3 Milliarden Euro einbringen, was einen Abschlag von 50 bis 70 Prozent bedeuten würde.

Die Börse quittiert die Lage von ThyssenKru­pp mit miserablen Aktienkurs­en: Der gesamte Konzern wäre derzeit theoretisc­h schon für sieben Milliarden Euro zu haben. Kurz nach der Fusion von Thyssen und Krupp im Jahr 1999 lag die Marktkapit­alisierung noch bei 15 Milliarden Euro.

Einziger Trost derzeit: Der Konzern und seine Vorgänger haben Übung im Bewältigen lebensbedr­ohlicher Krisen. Schon in den 1960er Jahren musste der Staat mit Bürgschaft­en helfen. Ein Jahrzehnt später half eine Finanzspri­tze aus dem Iran. 1991 kaschierte die Übernahme des lukrativen Wettbewerb­ers Hoesch Krupps klamme Kassen und danach die Fusion mit Thyssen.

Aber inzwischen sind alle potenziell­en Partner durch genau diese Vorgeschic­hte gewarnt. Diesmal wird ThyssenKru­pp sich wohl aus eigener Kraft aufrichten müssen.

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