Auf Winnetous Spuren in Kroatien
Vor 50 Jahren begannen in der Paklenica-schlucht in Kroatien die Dreharbeiten zum ersten Winnetou-film, „Der Schatz im Silbersee“. Heute reisen viele Karl-may-fans in die bleichen Berge, um dem legendären Apachen-häuptling und seinem Erfinder an den Dreho
ZADAR Jeden Tag hat Marin Marasovic auf die Pferde und Indianer gewartet. Immer vormittags ritten sie an seiner Straße vorbei und steuerten auf die Paklenica-Schlucht zu. Marin war damals noch ein Kind und wusste nicht, was dort vor sich ging. Heute, 50 Jahre später, kann er alles im Detail erklären. „Mein ganzes Leben habe ich mit Winnetou verbracht, alle Filme gesehen, alle Bücher gelesen.“
Im Sommer 1962 begannen die Aufnahmen für „Der Schatz im Silbersee“. Es war der erste Film, noch im selben Jahr kam er in die Kinos
Statt der Filmemacher
kommen heute Karl-May-Fans hierher
und faszinierte die Zuschauer mit seinen Aufnahmen der schroffen Schluchten und seiner rauen Natur, die die unendlichen Weiten Amerikas vorgaukelten. Tatsächlich liegen einige Winnetou-Drehplätze aber wenige Meter hinter Marins Elternhaus im kroatischen Starigrad.
In der Bergregion rund um den Nationalpark Paklenica wurde in den 1960er-Jahren ein Dutzend Streifen gedreht. Statt Filmemachern kommen heute Karl-MayFans und erinnern sich an den Autor, der vor 100 Jahren gestorben ist – und an seine berühmteste Figur.
Die Paklenica-Schlucht bietet immer noch ein eindrucksvolles Naturschauspiel, aber von den hohen Granitwänden baumeln Seile, an denen Kletterer hängen, und der einst wilde Fluss wurde gebändigt.
Sobald man aber ein Stück in die Schlucht gewandert ist, erblickt man die ursprüngliche, wilde Natur. Die bleichen Berge lugen durch das Dach des Waldes. Sie sind kaum bewachsen. Über die Plateaus weht ein strammer Wind, der dürre Äste vor sich hertreibt. Eine Szene wie gemacht für Westernfilmer.
Nach zwei, drei Stunden fühlt man sich Winnetou und seinen Apachen nahe, summt leise die Filmmelodie des Komponisten Martin Böttcher und würde auf der Stelle eine Verbrüderung eingehen. Wandern ist eine Möglichkeit, um das kroatische Hinterland kennenzulernen, ein Gespür für die Natur und einen Einblick in die Winnetou-Szenerie zu bekommen.
Um die wichtigsten Schauplätze der Region zu besuchen, braucht es aber einen Jeep. Und einen Winnetou-Guide wie Zvonimir Cubelic. Als er zur Welt kam, waren die Filme längst abgedreht. Aber die Indianer haben ihn schon in seiner Kindheit gefesselt und nicht mehr losgelassen. Seine Begeisterung geht so weit, dass er sogar waghalsige Klettereinlagen hinlegt, um für die Touristen Motiv zu stehen.
In der ebenen Landschaft nahe der Küste reißt für den Besucher unvermittelt die Erde auf. Die „Zrmanja“bahnt sich ihren Weg durch die Schlucht, hoch droben turnt Zvonimir über die Felsen, macht Indianer-Geräusche und wartet, bis die Kameras klicken. Bei Winnetou hat der Fluss als Rio Pecos und als Colorado Karriere gemacht. „Sieht aus wie der Grand Canyon, ist aber in Kroatien“, sagt Zvonimir und nickt stolz.
Wenig später blicken WinnetouTouristen auf das markante Bergmassiv des Tulove Grede – im Winnetou-Universum der Nugget tsil – unter dessen Felsnadeln sich einige der actionreichsten und emotionalsten Momente der Filme abspielten. In einer halbstündigen Fahrt gelangt man auf Schotterwegen hinauf. Am Wegrand warnen Schilder vor Landminen, ein gefährliches Erbe für das kriegsgeplagte Ex-Jugoslawien.
Das Grab von Intschu tschuna und Nscho tschi ist Pflicht für alle Besucher. Zumal dafür nur ein kleiner Abstieg nötig ist. Schon von weitem sind die beiden Felspyramiden zu sehen, unter denen Winne- tous Vater und seine Schwester ihre letzte Ruhe gefunden haben. Für manche Fans ist der Ort so überwältigend, dass sie gar weinen müssen. Zum Glück gibt es in der Nähe die Karl-May-Fanbox. Dort haben die Fans ihre Gefühle niedergeschrieben. Die Seiten lassen sich so zusammenfassen: überwältigt, wunderschön, Tränen in den Augen. Grüße aus Bayern, Österreich und der Schweiz. Dann schildert Zvonimir, wie Mario Adorf als Bandenchef Santer sein Ende fand, als er in eine Schlucht stürzte. „Das spiele ich jetzt aber nicht nach“, sagt er und lächelt verschmitzt. „Es gab keine Stuntmänner, die Schauspieler mussten alle Stunts selbst machen.“
Marin Marasovic, der vor 50 Jahren immer auf die Indianer wartete, hat später seine Chance gesucht, um der Legende näher zu kommen. Er lud Pierre Brice in sein Hotel in Starigrad ein, grillte und lachte mit ihm und fragte nach. Aber Winnetou konnte sich nicht an einen kleinen Jungen erinnern, der jeden Tag mit großen Augen am Straßenrand stand.