„Prism“– ein Minister im Daten-wirrwarr
Er war der Antreiber für mehr Datenspeicherung. Innenminister Hans-peter Friedrich (CSU) hatte die Aufgabe, die liberale Justizministerin in die Enge zu treiben. Nun soll er Botschafter für mehr Datenschutz sein – und findet seine Rolle nicht.
BERLIN Die Arbeitsteilung war klar: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist für die Sicherheit durch Daten zuständig, Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) für die Sicherheit der Daten. Je länger die verfassungsgerichtlich nötige Novelle der Vorratsdatenspeicherung auf sich warten ließ, desto mehr verschanzten sich die beiden in ihren Kampfstellungen. Doch im Erschrecken über die angebliche Vorratshaltung sämtlicher Daten durch den US-Geheimdienst hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Friedrich in die Pflicht genommen, auch die andere Position überzeugend mitzuvertreten. Und das überfordert den wackeren Christsozialen sichtlich.
Wie groß die innere Not ist, war Friedrichs Rückgriff auf einen sozialdemokratischen Amtsvorgänger abzulesen: Er zitierte Otto Schilys Überzeugung vom Recht auf Sicherheit als „Supergrundrecht“. Will sagen: Es gibt nicht nur das Grundrecht auf Selbstbestimmung seiner Daten, sondern auch ein offensichtlich noch wichtigeres Grundrecht auf Schutz vor Angriffen.
Damit versuchte der Innenminister, die Dinge wieder so zurechtzurücken, wie es seinem Empfinden entsprach: Von seiner Kanzlerin in die USA geschickt, um bei den Gastgebern auf die Einhaltung der Ver- fassung in Deutschland zu pochen, kehrte er mit der Botschaft zurück, dass durch das Abfangen vieler Millionen Daten Anschläge in Deutschland hätten verhindert werden können. Das wusste die geneigte Öffentlichkeit bereits. Und es bediente nicht die Erwartungshaltung, die Amerikaner zu mehr Datenschutz anzuhalten.
Ganz im Gegenteil, Friedrich musste sich in die Rüstung des Ritters von der traurigen Gestalt pressen, weil er auch nicht die gewünschten Details über den Umfang des Spähprogramms liefern konnte. Das unterliege der US-Geheimhaltung. Sein „Erfolg“: Die USA sagten zu, Teile zu „deklassifizieren“, damit die Bundesregierung dann mehr Einzelheiten erfahren kann. Das war die Taube auf dem Dach, und für Friedrich gab es konkret nur einen unansehnlichen Spatz in der Hand in Form der verhinderten Anschläge.
Dabei kam es in der Folge ebenfalls zu Irritationen. Fünf Anschläge, sagte er, seien verhindert worden, sein Ministerium streute, es könnten auch weniger gewesen sein. Nun hieß es aus dem Innenausschuss, der Verfassungsschutz wisse von sieben. Die Wahrheit liegt daneben und hat mit der Zahl der von den durch „Prism“enttarnten Anschlagsplänen zu tun, die je nach Einschätzung zwischen eins und drei pro entdeckter Terrorzelle betragen, aber auch jeweils mehr oder weniger konkret zu nennen sind.
Nato-Kreise wollen die Aufregung in Deutschland um das „Prism“Spähprogramm für Afghanistan nicht nachvollziehen. Für die IsafSoldaten sei diese ab 2011 auch von der Bundeswehr genutzte Datensammlung häufig sogar lebensret- tend gewesen. Bevor zum Beispiel eine Patrouille die Route Kundus - Masar-i-Sharif befahre, werde routinemäßig „Prism“abgefragt, ob eventuell Erkenntnisse über geplante Bombenanschläge oder Hinterhalte vorlägen. Hinter dem „Prism“System für Afghanistan, mit dem gezielt der Internetdaten-, Telefonund Funkverkehr in dieser Region ausgewertet wird, stehen demnach ebenfalls amerikanische Stellen. Der ständig aktualisierten Datensammlung lieferten auch die Geheimdienste anderer Nationen Informationen zu. Offenbar fließen außerdem Erkenntnisse aus der Überwachung Verdächtiger ein, beispielsweise Taliban-Führer oder Drogenschmuggler.
Unklar bleibt offenbar für die Beteiligten, ob oder wie die beiden „Prism“-Datensammlungen – die weltweite und die auf Afghanistan konzentrierte – untereinander verbunden sind und ob die am Hindukusch auch durch deutsche Kräfte gewonnenen Informationen in den USA in einen Gesamtkomplex einfließen. Möglicherweise handele es sich nur um eine eher zufällige Namensgleichheit, weil die genutzte Software identisch sei, hieß es. Andere Nato-Kreise gehen indes von einem Gesamtsystem aus.
Wie der CSU-Innenminister, so hat auch die SPD ihre Rolle noch nicht gefunden. Die Kritik schwankt zwischen beißend und zahm. So sprach etwa SPD-Verteidigungsexperte Lars Klingbeil gestern von einem „erbärmlichen Bild“, das die schwarz-gelbe Regierung bei ihren Aufklärungsbemühungen in Sachen „Prism“abgebe. Die Sozialdemokraten haben dennoch Beißhemmungen: Schließlich waren sie für die Geheimdienste zuständig, als die Eingriffe in DatenschutzRechte nach dem 11. September 2011 so richtig in Fahrt kamen – in Person des jetzigen SPD-Fraktionschefs Frank-Walter Steinmeier.