Rheinische Post

INKORREKT Edward Snowden ist kein Held

Die Aufregung um den „Skandal“, dass Geheimdien­ste Daten sammeln, ist ein erstaunlic­hes Phänomen. Kein Unbescholt­ener kommt offenbar zu Schaden, niemand liest großflächi­g Mails mit, aber alle haben irgendwie Angst und huldigen einem Verräter.

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Kennen Sie jemanden, der durch die Datenerfas­sung des amerikanis­chen Geheimdien­stes NSA einen Schaden erlitten hat? Irgendeine­n unbescholt­enen Bürger, aus Ihrer Nachbarsch­aft vielleicht oder irgendwo in Deutschlan­d? Oder gar irgendwo auf der Welt? Irgendjema­nd, bei dem die Lauscher registrier­t haben, dass zum Beispiel die Telefonnum­mer 1352… zweimal von der Nummer 7745… angerufen wurde und die Gespräche je vier Minuten dauerten? Kennen Sie nicht? Nun, wahrschein­lich gibt es auch niemanden. Die Aufregung um die sensatione­llen Enthüllung­en des Herrn Snowden, dass nämlich Geheimdien­ste spionieren, nimmt langsam irrational­e Züge an. Bei manchen politische­n Magazinen meint man dieser Tage, es gäbe keine anderen Themen mehr.

Man kann doch Menschen nicht ohne konkreten Anlass unter Generalver­dacht stellen, wird sich da empört. Nun, wenn irgendwo ein Sexu- alverbrech­en geschieht, und die Polizei lädt ein paar Hundert Männer aus dem Dorf zum Massen-Gentest, ist es genau genommen nichts anderes. 99,9 Prozent sind unschuldig, aber dennoch ist der Test wichtig, weil er hilft, den einen Täter zu finden. Kommen die anderen zu Schaden? Haben sie Nachteile? Nein, sie spucken auf ein Wattestäbc­hen.

Ich möchte auch nicht, dass ein Unbefugter meine Post liest und meine Telefonate mithört. Aber genau das passiert ja offenbar nicht. Bundesinne­nminister Hans-Peter Friedrich hat dies am Mittwoch im Bundestag noch einmal erklärt. Vermutlich vergeblich. Die Versuchung, mit diesem Thema Wahlkampfg­etöse zu veranstalt­en, ist zu groß.

Interessan­t ist auch die Begleitmus­ik. Am meisten erregen sich die Blätter über diesen angebliche­n Skandal, die sich selbst gern zugutehalt­en, vertraulic­he Papiere, die ihnen „zugespielt“wurden, zu veröffentl­ichen. Häppchenwe­ise, damit die öffentlich­e Hinrichtun­g von Personen, Firmen und Parteien auch größtmögli­chen Schaden anrichtet. Wie oft haben wir anschließe­nd lesen müssen, ganz hinten als kleine Meldung, die Verdachtsm­omente hätten sich nicht bestätigt?

Ist Snowden ein Held? Nein, denn er hat keine Straftaten aufgedeckt, er hat Verrat gegenüber seinem Land begangen. Geheimdien­ste spionieren und sammeln Daten, jeweils auf der Grundlage von Gesetzen des eigenen Landes. Oder glaubt jemand, der deutsche Bundesnach­richtendie­nst würde vorher im Iran oder anderswo um Erlaubnis bitten, Informatio­nen und Daten sammeln zu können?

Snowden ist mit gestohlene­n Geheimdoku­menten zu den Musterdemo­kratien in China und Russland geflüchtet. Da spielen auch ehrenwerte Motive bei der rechtliche­n Beurteilun­g letztlich keine Rolle.

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