Das schleichende Ende der E-mail
Täglich bis zu drei Stunden bearbeiten viele Mitarbeiter elektronische Post und verplempern oft Zeit. Evonik, Vodafone, Ergo oder Bayer gehen neue Wege der Kommunikation — auf denen das Management aber auch Kritik kassiert.
DÜSSELDORF Es geht ein Gespenst um in Europa – es ist das Ende der EMail. Angeführt vom französischen Konzern Atos versuchen die Konzerne, ihre Mitarbeiter von der immer extremeren Beschäftigung mit E-Mails zu befreien. Von den rund 200 E-Mails, die jeder Mitarbeiter täglich erhalte, seien nur zehn Prozent nützlich, polterte bereits vor zwei Jahren Atos-Chef Thierry Breton. Konsequenz: In sechs Monaten sollen alle 74 000 Mitarbeiter kein Mail-Konto mehr haben – 6000 Mitarbeiter schaffen das angeblich schon länger. Stattdessen kommunizieren sie über eine Software namens Blue Kiwi (blaue Kiwi) – eine Art Facebook für Unternehmen.
Ähnlich wie die Computerexperten von Atos versuchen immer mehr Unternehmen, ihre Mitarbeiter von zu starkem Mail-Stress zu entlasten. Beim Essener Spezielchemiekonzern Evonik testen 4000 Mitarbeiter ein auf der IBM-Software „Connections“basierendes neues Kommunikationssystem für die interne Vernetzung. „Wir wollen den einfachen, unbürokatischen Gedankenaustausch fördern“, sagt Jochen Gintzel, Leiter der IT-Technik von Evonik. Beim Düsseldorfer Mobilfunker Vodafone wurde mit dem Umzug in die neue Konzernzentrale Der Mitarbeiter schreibt eine E-Mail mit Kopien an alle Betreffenden (Chef, Kollegen, Assistenten, ...) , diese antworten jeweils. Dadurch kommt es zu einem Geflecht aus Antworten und Erläuterungen. Fällen offenkundig – zu kompliziert, zu langsam.
Wie neue Wege gegangen werden können, zeigen Bayer, Telekom, Evonik oder Ergo.
Bei Bayer nutzen 47 000 Mitarbeiter das interne Social-Media-Netz, knapp 10 000 tun es jeden Tag. Es gibt 23 000 Microblogs, vier der neun Vorstände von Bayer Material Sciences bloggen regelmäßig, jeden Tag gibt es 130 neue Einträge, langsam wird das Netzwerk für den gesamten Bayer-Konzern geöffnet. „Our New Way of Working“lautet das Motto, also: „Unsere neue Art der Zusammenarbeit“.
Bei der Deutschen Telekom nutzt Vorstandschef René Obermann sowieso gerne SMS. Im Intranet tauschen sich Mitarbeiter rege über neue Projekte aus – immerhin ist die Telekom in mehr als zehn Ländern mit eigenen Netzen aktiv. Und kritische Mails an Obermann veröffentlicht der Vorstand für die Mitarbeiter intern – eine wurde dann ärgerlicherweise in der „Wirtschaftswoche“zitiert: „Wenn es nicht recht läuft im Unternehmen und sich der Chef trotzdem einen Millionenbonus zahlen lässt . . . dann charakterisiert das Maßlosigkeit.“
1000 Mitarbeiter stimmten vor anderthalb Jahren dafür, dass Obermann auf die Frage antwortete – er hatte damit keine Probleme, der Chef über 250 000 Mitarbeiter bevorzugt sowieso das offene Wort.
Bei Ergo führten die immer neuen Enthüllungen über Skandale des Unternehmens zu einer harten Diskussion innerhalb der Belegschaft. „Es besteht die Gefahr, dass Ergo noch langfristig mit Lustreisen verbunden ist“, schrieb ein Mitarbeiter. „Die Mitarbeiter sollen ihre Meinung sagen“, erklärt das Düsseldorfer Unternehmen, der Blog solle weiterhin ohne Zensur existieren.
Bei Evonik können sich Mitarbeiter auf der Plattform „Connections“von IBM in Dutzende Nutzergruppen einwählen, um den Fortschritt bestimmter Projekte zu verfolgen - eine neue Gruppe kann jeder selbst vorschlagen. Die Beschäftigten können sich so mit Kollegen auch zu Themen austauschen, von denen sie bisher nur wenig wissen.
Ein klares Wort zum Betriebsklima ist im Prinzip möglich. „Natürlich kann jemand schreiben, was ihm an seiner Abteilung nicht gefällt“, sagt IT-Chef Jochen Gintzel, „aber da nichts anonym ist, erwarte ich bei solchen Themen auch künftig eher das persönliche Gespräch.“
Und natürlich ist denkbar, dass auch private Probleme über das interne Netzwerk gelöst werden – so könnte man Fahrgemeinschaften organisieren. Großen Erfolg brachte auch eine Ideensammlung zum Thema „Lärmbekämpfung“. 300 ausgewählte Experten in dem Spezialchemiekonzern wurden gebeten, Ideen einzubringen,wie Evonik Produkte gegen zu hohe Lärmbelästigung entwickeln kann. Dann konnten die Experten bewerten, welche Ideen sie am besten finden - ähnlich zu den „Gefällt mir“-Abstimmungen bei Facebook.
Und als indirektes Ergebnis wächst die Evonik-Firma auch menschlich zusammen. „Man sieht die Kommentare der anderen Nut- zer ja mit deren Foto“, sagt EvonikManager Rainer Gimbel, „dadurch lernen sich Interessenten an einem Thema indirekt auch persönlich kennen und können sich auch inder Kantine mal begrüßen.“
Klar, dass durch die neuen Kommunikationswege die Menge der versandten Mails im Trend schwindet - ganz verschwinden werden sie aber nie. „Wir brauchen weiterhin die ganz normale Mail für die Kommunikation zwischen zwei verschiedenen Kollegen und auch zu Geschäftspartnern“, heißt es bei Evonik. Selbst Anti-Mail-Vorreiter Atos macht hier ein Zugeständnis: „Für den Kontakt zu Kunden behält natürlich jeder Mitarbeiter eine Mail-Adresse“, sagt Atos-Pressechef Stefan Pieper, „aber für die interne Kommunikation bevorzugen wir künftig Blogs, Kurznachrichten und persönliche Treffen.“
Zumindest die Führung eines NRW-Vorzeigekonzerns sieht das ebenso. Als Henkel-Chef Kasper Rorsted im November eine neue Strategie entwickelt hatte, stellte sich die Frage, wie die Mitarbeiter dafür gewonnen werden sollen. Am Ende gab es mehr als 25 „TownhallMeetings“in 20 Tagen in 22 Ländern. An sieben nahm Rorsted persönlich teil – E-Mails und Intranet waren ihm zu wenig. Der Kurs der Aktie ist gestern um 1,6 Prozent gestiegen und lag zum Börsenschluss bei 85,50 Euro, 1,35 Euro höher als am Vortag. Damit lag das Papier des Leverkusener Konzerns über dem DaxDurchschnitt. Der Grund dafür ist das Medikament Xofigo. Kurz nach der Zulassung in den USA präsentierte der Konzern eine neue Studie, nach der das Mittel die Lebenszeit von Krebskranken verlängert. Xofigo erhöhe die Überlebensdauer von Prostatakrebspatienten im Schnitt um 14 Monate, hieß es.