Rheinische Post

Mozart erobert die Fantasy-welt

Zu seinem Abschied als Intendant der Bregenzer Festspiele inszeniert­e David Pountney auf der Seebühne die „Zauberflöt­e“. Ein überdimens­ionales und märchenhaf­tes Zirkusspek­takel trifft den originalen Geist des Werkes.

- VON WOLFRAM GOERTZ

BREGENZ Der Höllenhund ist keine Erfindung der Neuzeit. Die berühmtest­en Dichter der Antike haben den Zerberus, so sein mythischer Name, mit grellen Farben beschriebe­n, mit üblen Charaktere­igenschaft­en ausgestatt­et – und glaubt man dem großen Homer, war der dreiköpfig­e Hund „mit bissigen Zähnen und böse rollenden Augen bewaffnet“. Seine Aufgabe: die Bewachung des Hades.

An diesen tapferen Pförtner hinter der Rezeption des Todes erinnert jetzt überdimens­ional die „Zauberflöt­en“-Premiere der Bregenzer Festspiele. Drei überdimens­ionale Comic-Doggen mit erhebliche­m Zahnschief­stand, schlechtem Atem und wütendem Gekläff umstehen, im Seewasser verankert, den Weisheitst­empel des Sarastro, in dem schurkenha­fte Priester nicht das Humanitäre, sondern das Menschenve­rachtende predigen. Der arme Mohr Monostatos, diesmal eine Opferrolle, erleidet eine regelrecht­e Bastonade, wie man sie, was Mozart anlangt, nur aus der „Entführung aus dem Serail“kennt.

Anderersei­ts spielt die Oper hier gar nicht in einem richtigen Tempel, sondern auf dem Rücken einer riesigen Schildkröt­e. Dieser in sich verdrehbar­e, bemooste und mit Treppenstu­fen versehene Multifunkt­ions-Pilz birgt in seinem Inneren und auf seiner Außenhaut wahnsinnig viel High-Tech, beispielsw­eise einen Wald aus aufblasbar­em Schilfgras. Eine Meisterlei­stung des Bühnenbild­ners Johan Engels ist auch die Schlange vom Beginn, wegen der wir den Bodensee sekundenwe­ise für das Loch Ness halten. Es ist davon auszugehen, dass hier ortsansäss­ige Rettungssc­hwimmer ihre Flossen im Spiel haben. Sie ermögliche­n es am Ende sogar, dass Papagena einem aufrecht schwimmend­en Osterei entschlüpf­t.

Regisseur David Pountney, Intendant der Bregenzer Festspiele, greift zu seinem Ausstand vom See noch einmal tief in die Trickkiste des modernen Volltheate­rs. Auf der Bühne wimmelt es von exotischen Figuren und lustigen Tierchen, beispielsw­eise krabbelnde­n Käfern und Spinnen in Menschenge­stalt, die sich in Sekundensc­hnelle von den Hängebrück­en zwischen den Hundeleibe­rn so imposant abseilen, als sollen alle 7000 Besucher der Premiere auf einen Schlag von einer Arachnopho­bie geheilt werden.

Die Welt der Königin der Nacht ist dagegen, auf der anderen Seite der Pilzhalbku­gel, ein blau glänzender Ort der Einsamkeit. Die drei Damen reiten stets auf Fantasiepf­erdchen, wogegen die drei Knaben gern auf einer Gondel rund um den schwimmend­en Pilz verkehren. Die Sängerinne­n dieser sechs Paladine im Dienste fremder Mächte sitzen irgendwo unterirdis­ch, auf der Bühne sehen wir nur per Zauberhand animierte Puppen (Kostüme: MarieJeann­e Lecca).

Das Auge ist also fortwähren­d beschäftig­t, und da Pountney offenkundi­g an die historisch­e „Zauberflöt­e“denkt, die ja nichts anderes als eine einzige Volksbelus­tigung war, ist die Wirkung groß. Selbst strengste Musikkriti­ker sieht man vor Freude johlen und wiehern. Das Ganze wirkt, als habe Harry Potter gemeinsam mit Alice im Wunderland die Augsburger Puppenkist­e erobert, auf Fantasy umgestellt und als neuen Spielort das kalifornis­che Staatsgefä­ngnis Alcatraz erkoren. Oder eben das Loch Ness.

Schottisch­e Verhältnis­se auch am Ende: Es regnete, pünktlich zur Feuer- und Wasserprob­e. Wenn der sorgfältig­e Patrick Summers am Pult nur etwas zügiger dirigiert hätte, wäre uns allen der Schnürlreg­en vielleicht erspart geblieben. Trotzdem liegt eine überaus herzliche Atmosphäre über dem Abend, denn auch die Sänger sind, wie das Orchester von einer perfekten Soundregie akustisch sehr gut übertragen, rundum in Bestform: Ana Durlovski als pfeilschne­ll zwitschern­de und kolorieren­de Königin der Nacht, Alfred Reiter als sonorer Sarastro, Gisela Stille als lyrisch klagende Pamina, Daniel Schmutzhar­d als spring- lebendiger Papageno und Norman Reinhardt als heldischer Tamino. Die Wiener Symphonike­r spielen einen edlen, warmherzig­en Mozart, der nur gelegentli­ch ein paar Spikes unter den Schuhen vertrüge.

 ?? FOTOS: DPA ?? Blick auf die Seebühne im österreich­ischen Bregenz: Drei Höllenhund­e umstehen den Panzerrück­en einer riesigen Schildkröt­e, auf der gespielt wird.
FOTOS: DPA Blick auf die Seebühne im österreich­ischen Bregenz: Drei Höllenhund­e umstehen den Panzerrück­en einer riesigen Schildkröt­e, auf der gespielt wird.
 ??  ?? Ana Durlovski als „Königin der Nacht“und Rainer Trost (l.) als Tamino
Ana Durlovski als „Königin der Nacht“und Rainer Trost (l.) als Tamino

Newspapers in German

Newspapers from Germany