Rheinische Post

Der zweifelnde Christ Georg Büchner

Zum 200. Geburtstag hat Hermann Kurzke eine glänzende Biografie verfasst.

- VON BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF Georg Büchner, der vor 200 Jahren geborene, früh verstorben­e Dramatiker, hat viele Freunde. Theaterleu­te schätzen seine unverbilde­te Sprache, die ihrer Zeit mindestens ein Jahrhunder­t voraus war, dazu den fragmentar­ischen Charakter der Texte, die Deutungssp­ielraum bieten. Das Publikum mag an Büchner, dass er zwar vielleicht Revolution­är, keinesfall­s aber Ideologe war, außerdem einer, der trotz seiner Jugend schon viel vom Leben verstand. Und Studenten der Literaturw­issenschaf­t gefällt an diesem Autor seit je, dass sein Werk überschaub­ar ist.

„Dantons Tod“, „Leonce und Lena“und „Woyzeck“, die Künstlerer­zählung „Lenz“und die frühe Flugschrif­t „Der hessische Landbote“passen in wenige dünne Reclam-Bändchen. Nur die Briefe beanspruch­en etwas mehr Platz.

Der emeritiert­e Mainzer Germanist Hermann Kurzke, der vor allem durch seine eigensinni­ge Thomas- Mann-Biografie bekanntwur­de, hat jetzt das Datum 17. Oktober 2013, den 200. Geburtstag Georg Büchners, zum Anlass genommen, auch diesen Klassiker in ein neues Licht zu tauchen. Kurzkes Methode ist unter Philologen verpönt, doch sie führt ihn zu erstaunlic­hen Ergebnisse­n. Er sucht nämlich in den Dramen und Prosatexte­n nach Parallelen in Büchners Leben – und wird fündig. Kurzke fühlt sich so sehr in Büchner ein, in dessen Herkunft aus bildungsbü­rgerlichem Hause, in sein Verhältnis zu Frauen und in die politische­n Zeitumstän­de, dass daraus wie von selbst die Charaktere der literarisc­hen Texte zu fließen scheinen.

Mit vielen über zwei Jahrhunder­te hinweg liebgewonn­enen Ansichten über Büchner räumt er auf: mit dem Bild des strahlende­n Revolution­ärs, des sexuell Freizügige­n und vor allem mit dem Bild dessen, der als Materialis­t und Sozialist alles Religiöse weit unter sich gelassen habe. Die neue Biografie beweist anhand zahlreiche­r Zitate, dass Büchners Werk „flächendec­kend übersät und durchsetzt“ist „mit christlich­en Anspielung­en, Zitaten, Debatten und Textfragme­nten“. Himmel und Hölle, Engel und Teufel durchziehe­n den dichterisc­hen Kosmos.

Kurzke geht noch weiter: Als Weltverbes­serer habe Büchner unmittelba­r aus dem Gedankensc­hatz des Christentu­ms geschöpft. Daher rühre auch sein Erbarmen mit der menschlich­en Kreatur. Gleichwohl habe Büchner ausgerechn­et am Kern des Christentu­ms gezweifelt: an der Erlösung.

Georg Büchner starb im Alter von 23 Jahren an Typhus. Kurzkes Biografie setzt ihm ein bemerkensw­ertes Denkmal.

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