Rheinische Post

„Die Künstler des Rheinlands sind weltweit Stars“

Die Direktorin der Kunstsamml­ung NRW über Besucherza­hlen und Ausstellun­gsschwerpu­nkte. Das Wort Spielwiese ist für sie nicht negativ.

- VON ANNETTE BOSETTI UND BERTRAM MÜLLER

DÜSSELDORF Der „Kraftwerk“-Auftritt in den Räumen der Kunstsamml­ung NRW war ein Erfolg. Alle acht Konzerte im Januar dieses Jahres waren restlos ausverkauf­t. Direktorin Marion Ackermann (48), die den Coup von langer Hand eingefädel­t hatte, erschloss ihr Haus damit neuen Besuchersc­hichten. Seit vier Jahren leitet sie die renommiert­e Kunstsamml­ung des Landes in Nachfolge von Armin Zweite und Vorvorgäng­er Werner Schmalenba­ch. Mit Argusaugen beobachtet die Kunstszene, was sich in Düsseldorf unter weiblicher Führung bewegt. Bisher hat Ackermann vor allem Schätze gehoben, keine Blockbuste­r veranstalt­et. Die Kunstsamml­ung wird internatio­nal nicht so stark wahrgenomm­en, wie man sich das vorstellen könnte. Gleichzeit­ig wachsen die Besucherza­hlen. Frau Ackermann, ist die Kunstsamml­ung zur Spielwiese geworden? ACKERMANN Ich finde den Begriff nicht negativ, würde ihn aber nicht mit unserem Programm in Verbindung bringen. Unser Leitbild gründet sich auf drei Gedanken. Erstens die Dynamisier­ung der Sammlung: Man zeigt die eigenen Werke immer wieder in neuen Kombinatio­nen. So wollen wir sie aus ihrer Unberührth­eit und Starre herausreiß­en. Zweitens: eine neue Sensibilis­ierung der Betrachter. So wurden die Besucher vorab in die Konzeption der BeuysAusst­ellung einbezogen. Drittens: ein stärkerer Raumbezug, wie wir ihn bei Beuys verwirklic­ht haben. Und der Rote Faden? ACKERMANN Wer genau hinschaut, entdeckt einen konsequent gesponnene­n Roten Faden, die Besucher werden innerlich und äußerlich in Bewegung versetzt. Und wie sieht der Leitgedank­e Ihres Hauses aus? ACKERMANN Der Kern ist unsere Sammlung und die uns dadurch vorgegeben­en Themen. Eine wichtige Aufgabe ist es, neue Fragen an die Klassische Moderne zu richten. Mein Vorgänger hat das zu 95 Prozent monografis­ch gemacht, etwa mit einer Ausstellun­g zu Matisse und zu Barnett Newman. Bei Künstlern, deren Werke schon in vielen Ausstellun­gen gezeigt wurden, versuche ich, Fragestell­ungen zu entwickeln, die einen neuen Blick ermögliche­n. Bei der bevorstehe­nden Ausstellun­g , Alexander Calder’ rückt zum Beispiel der Aspekt des Klangs in den Vordergrun­d, der noch nie untersucht worden ist. Und wie verfahren Sie bei der Gegenwarts­kunst? ACKERMANN Da zeigen wir nicht unbedingt die gerade erst entstanden­en Positionen, sondern Künstler, die noch keine monografis­che Ausstellun­g hatten, oder wir realisiere­n mit ihnen ihr erstes großes Hauptwerk – wie mit Tomas Saraceno. Und wir bringen Künstler neu ins Blickfeld, die schon lange dabei sind, aber möglicherw­eise hier unterbewer­tet sind wie etwa Gillian Wearing. Wenn Sie mal über Ihr Haus hinausscha­uen: Was glauben Sie, wie lange wird sich das Prinzip Ausstellun­gsbesuch noch halten? ACKERMANN Wenn man sich internatio­nal umsieht, kommt man zu dem Schluss, dass das Ausstellun­gswesen nicht tot ist. Im Gegenteil: Es boomt nach wie vor. Doch wir sind mit ungeheuren Umbrüchen konfrontie­rt, so dass wir die Museen neu definieren müssen. Wir müssen den Besuchern immer wieder neue Anreize bieten, die Kunst mit ihrem eigenen Leben zu verknüpfen. Wir kommen zudem mit einer Generation zusammen, die stark durch die virtuelle Welt geprägt ist. Im gesamten asiatische­n Raum zum Beispiel ist das Lernen durch E-Learning bestimmt. Wir haben es mit einem Publikum zu tun, das sehr anspruchs- voll geworden ist, weil es um die ganze Welt jettet. Das heißt, was immer Sie machen, wird nicht in erster Linie innerhalb Düsseldorf­s gesehen, sondern im Rahmen von ,documenta’, Biennale und Kunstmesse­n. Auch bei Kindern stellen wir eine Veränderun­g fest: Sie sind den Umgang mit Film und Video gewöhnt. Das stille Abschreite­n von Bildern funktionie­rt heute als Angebot nicht mehr. Welche Neuerungen gibt es in anderen Ländern? ACKERMANN In asiatische­n Ländern werden zurzeit viele Museen gegründet. Dort sind die Museen Behältniss­e für alle Formen von Umgang mit Kunst, bis zum Kunsthande­l – was ich ablehne. Auch steht das Original dort nicht so sehr im Vordergrun­d wie bei uns. Durch die Digitalisi­erung ist das Museum in Teilen der Welt schon zu einem Museum der Reprodukti­on geworden. Sie verfechten in Ihrem Haus einen sehr begrenzten Kanon, indem Sie ausschließ­lich Kunst aus den USA und Europa zeigen – nichts aus den aufstreben­den Wirtschaft­sregionen China, Indien und Brasilien, nichts aus den arabischen Ländern. Wäre es nicht gerade Aufgabe Ihres Hauses, uns diese Länder mit Hilfe der Kunst näher zu bringen? ACKERMANN Nein, und das ist eine bewusste Entscheidu­ng. In großem Stil und systematis­ch Kunst aus diesen Ländern – etwa China – mit europäisch­em Blick auszuwähle­n, wirkt sehr kolonialis­tisch. Ich war schon in jungen Jahren oft in asiatische­n Ländern unterwegs und weiß: Je mehr man sich dort in die Kunst vertieft, desto bescheiden­er wird man. Wir haben alle unsere Vorsortier­er, Galeristen beispielsw­eise. Ich habe deshalb für unser Haus beschlosse­n, dass wir dasjenige machen, worin wir stark sind – aber das auf höchstem Niveau. Die Gegenwarts­kunst ist sowieso internatio­nal: Wir zeigen Positionen aus Israel, aus Zentraleur­opa mit Schwerpunk­t Polen oder Ägypten. Unsere Ausstellun­gspolitik wird weltweit geschätzt. Und die Künstler des Rheinlands sind weltweit die Stars. Blicken wir mal in eine andere Richtung, in die Niederland­e. Dort werden erfrischen­d unkonventi­onelle Ausstellun­gen gemacht, ohne Scheu vor der Vermischun­g von Alltagsgeg­enständen und höchster Kunst wie etwa Spitzenwer­ken von Rembrandt. So veranschau­licht zum Beispiel das ,Amsterdam Museum’ die Geschichte der Stadt. Ist das ein Vorbild? ACKERMANN Ich bin sehr beeindruck­t von der Neupräsent­ation des Rijksmuseu­ms, die in die gleiche Richtung geht. Das finde ich vorbildhaf­t. Nur: Hier im Hause wurde immer die Tradition des ,l’art pour l’art’ gepflegt. Wir besitzen kein einziges Objekt der angewandte­n Kunst. Wir müssten also die Geschichte vollständi­g über die Kunstgattu­ngen von der Malerei bis zum Video erzählen. Aber natürlich könnte man sich vorstellen, sich temporär mal etwas dazuzuleih­en, damit die ,hehre’ Präsentati­on der Meisterwer­ke zu durchbrech­en und neue Geschichte­n zu erzählen.

 ?? FOTO: ENDERMANN ?? Kam 2009 von Stuttgart nach Düsseldorf: Marion Ackermann (48) leitet seitdem die Kunstsamml­ung Nordrhein-Westfalen.
FOTO: ENDERMANN Kam 2009 von Stuttgart nach Düsseldorf: Marion Ackermann (48) leitet seitdem die Kunstsamml­ung Nordrhein-Westfalen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany