Wie Kennedy in Köln den Bundeskanzler ärgerte
Wäre es nach Adenauer gegangen, hätte Us-präsident John F. Kennedy bei seinem Deutschland-besuch 1963 den Satz „Ich bin ein Berliner“nie gesagt. Doch vor dem Kölner Rathaus machte Kennedy deutlich, was er von dem „Alten“dachte.
KÖLN Schon bei seiner Ankunft am 23. Juni 1963 auf dem Flughafen Köln-Wahn macht der US-Präsident seinem Gastgeber deutlich, für was er ihn hält. Um 9.50 Uhr landet John F. Kennedy, kaum 15 Minuten später bescheinigt er dem deutschen Bundeskanzler, ein Auslaufmodell zu sein. In seiner ersten Rede auf deutschem Boden verkündet Kennedy nicht weniger als das Ende der Ära Adenauer – und lobt den 87-Jährigen mit Worten eines Nachrufs. Ein großer europäischer Staatsmann sei Adenauer, ein Architekt der europäischen Einigung, ein Verfechter der Freiheit und ein Freund des amerikanischen Volkes. „Er lebt bereits in der Geschichte, die er geholfen hat zu gestalten“, sagt Kennedy.
Dass „der Alte aus Rhöndorf“auf der folgenden Triumphfahrt im offenen Mercedes 300 fröhlich weiterlächelt, liegt an einem Übersetzungsfehler: Adenauer hat verstanden, er rage empor in der Geschichte. Aber eigentlich hat Kennedy dem Bundeskanzler den Tag schon Monate vorher verdorben, als er am 20. März bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus ankündigt, er hoffe im Rahmen seiner DeutschlandReise auch Berlin zu besuchen. Dabei hat Adenauer genau diesen Berlin-Besuch verhindern wollen. Dass Kennedy nicht viel von ihm hält, weiß der Bundeskanzler bereits seit 1957. Schon damals hat ihm der junge US-Politiker in einem Zeitschriften-Aufsatz bescheinigt, dass seine Zeit abgelaufen sei.
Adenauer spricht die Einladung an Kennedy erst aus, als er im Januar 1963 von einer geplanten EuropaReise des Präsidenten erfährt und prompt Gefahr wittert. Denn der Regierende Bürgermeister von Berlin und SPD-Kanzlerkandidat, Willy Brandt, hat schon lange zuvor eine Einladung an Kennedy ausgesprochen. Diese Publicity gönnt Adenauer dem Rivalen nicht. Bei der Bundestagswahl 1961 hat Brandt ihn die absolute Mehrheit gekostet, und 1965 wird er wieder antreten. Diesem Ex-Kommunisten wird er Adenauers zweitältester Sohn Max ist im Kölner Rathaus, in dem sein Vater einst Oberbürgermeister war, seit 1953 Oberstadtdirektor und steht ganz in der Nähe. Seine Rede schließt Kennedy mit dem Ruf „Köln Alaaf“– und löst einen weiteren Begeisterungssturm aus. Adenauer, der nach Kennedy spricht, schließt sich an: „Alaaf!“.
Danach fährt die Wagenkolonne die wenigen Hundert Meter weiter zum Kölner Dom. Auch dort haben sich mehr als 50 000 Schaulustige versammelt, um Kennedy zuzujubeln. Weil der 23. Juni 1963 ein Sonntag ist, besichtigt Kennedy den Dom jedoch nicht nur als Tourist. Der Katholik Kennedy und der Katholik Adenauer besuchen im Dom die Heilige Messe. Fotos hat Kennedy sich verbeten.
Reporter des „Spiegel“schreiben, Kennedy und Adenauer hätten im Kölner Dom wie Urenkel und Urgroßvater nebeneinander die Messe gehört: „Flink und exakt wie ein geübter Ministrant schlug Kennedy das Kreuz, faltete die Hände und ließ seine Blicke im Kirchenschiff umherwandern, indes Adenauer sich in ein Gebetbuch mit Goldschnitt vertiefte und immer wieder wie in unendlicher Müdigkeit das Gesicht mit den Händen bedeckte.“
Als Dolmetscher für Kennedy fungiert Robert Hoyer Lochner, Direktor des „Rundfunks im Amerikanischen Sektor“. Während der Messe im Dom sitzt er in der zweiten Kirchenbank gleich hinter Kennedy. Lochner wird drei Tage später mit Kennedy den Satz „Ich bin ein Berliner“üben. Lochner bemerkt, wie schmerzhaft Kennedy unter seiner Rückenerkrankung leidet, wenn er sich kniet und wieder auf die Bank setzt. Dieses Rückenleiden beschert Willy Brandt drei Tage später die besten Fotos seiner BürgermeisterAmtszeit. Aufgrund seiner Schmerzen will Kennedy auf der Fahrt durch Berlin im offenen LincolnContinental so stehen, dass er sich mit dem rechten Arm aufstützen kann – Brandt darf in die Mitte zwischen Kennedy und Adenauer.
Die Messe im Kölner Dom dauert von 11.30 bis 12 Uhr. Anschließend bekommt der Präsident noch eine kurze Führung durch die Hohe Kirche. Dann tritt er mit Adenauer, über dessen Alter er gleich in Bonn Witze reißen wird, auf die große Treppe vor dem Südportal. Die Menschenmenge ist noch einmal deutlich angewachsen, jubelt ihm frenetisch zu und skandiert seinen Namen. Kennedy ist in Gedanken bei seinem Wahlkampf 1964, den er nicht mehr erleben wird. „Schade“, sagt Kennedy zu US-Botschafter George McGhee, „dass es keine amerikanischen Wähler sind.“
Nächste Folge am Mittwoch, 24. Juli: Der Schah in Brühl