Rheinische Post

Rot-rot-grün spaltet SPD

Thüringen steht vor einer schweren Regierungs­bildung. Rot-schwarz oder Rot-rot-grün hätten jeweils nur eine Stimme Vorsprung. Frühere Ddr-bürgerrech­tler warnen vor einem Pakt mit der Linksparte­i.

- VON MICHAEL BRÖCKER, EVA QUADBECK UND THOMAS REISENER

BERLIN Thüringen steht vor einer historisch­en Entscheidu­ng. Die geschwächt­en Sozialdemo­kraten in dem ostdeutsch­en Bundesland müssen entscheide­n, ob sie das ungeliebte Bündnis mit der CDU fortsetzen oder als Juniorpart­ner in eine rot-rot-grüne Koalition gehen und damit einen Linken zum Ministerpr­äsidenten küren. Frühere DDR-Bürgerrech­tler warnen davor.

Bei den Landtagswa­hlen am Sonntag erhielten die Thüringer Sozialdemo­kraten mit nur 12,4 Prozent ein desaströse­s Ergebnis. Im Präsidium der Bundes-SPD gestern in Berlin wurde der Kurs der Thüringer Genossen kritisiert, die sich im Wahlkampf nicht festgelegt hatten, mit wem sie regieren wollen. Nach der Analyse einiger Teilnehmer hat die unentschlo­ssene Haltung der SPD die CDU und die Linken gestärkt. Nach Angaben von Teilnehmer­n verlief die Debatte aber äußerst kontrovers.

Für beide Machtoptio­nen, Schwarz-Rot oder Rot-Rot-Grün, gibt es im Landtag nur die hauch- dünne Mehrheit von je einer Stimme. Demnach bergen beide Bündnisse hohe politische Risiken. Eine rot-rot-grüne Koalition stößt zudem auf den entschiede­nen Widerstand ehemaliger DDR-Bürgerrech­tler, die sich schon vor den Wahlen zu Wort gemeldet hatten. „Ihr verwischt die grundlegen­den Unterschie­de zwischen den demokratis­chen Parteien dieser Bundesrepu­blik und der Partei Die Linke, die die Änderung des politische­n Systems der Bundesrepu­blik, wenn auch ominös formuliert, anstrebt“, heißt es in einer Resolution, die von zahlreiche­n SPD-Politikern aus der Bürgerrech­tsbewegung unterzeich­net wurde. Unter ihnen sind Gunter Weißgerber und der frühere Staatssekr­etär Stephan Hilsberg. SPDVize-Chef Ralf Stegner wischte die Argumente beiseite: „Koalitions­fragen werden mit Blick nach vorne entschiede­n und nicht historisch“, sagte er.

Bedenken dagegen äußerte auch der Theologe Richard Schröder, der ein führendes Mitglied der SDP war, der Vorgängerp­artei der SPD zur Wendezeit. „Die SPD als Steigbügel­halter und als Juniorpart­ner der Linken, das wird bei sehr vielen SPD-Wählern nicht gut ankommen und ihr auch keine neuen Wähler bringen“, sagte Schröder unserer Zeitung. Eine völlig neue und unerprobte Koalition mit nur einer Stimme Mehrheit sei nicht gerade stabil.

2008 machte die SPD schlechte Erfahrung mit dem Versuch, ein rotrot-grünes Bündnis zu schmieden. Zu den vier Abweichler­n, die damals in Hessen die Wahl von Andrea Ypsilanti (SPD) zur Ministerpr­äsidentin in einem rot-rot-grünen Bündnis verhindert­en, gehörte der damalige hessische SPD-Geschäftsf­ührer und Landtagsab­geordnete Jürgen Walter. Der Hesse hat sich aus der Politik zurückgezo­gen. Mit Blick auf ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis in Thüringen sagte er: „Ich habe noch keinen Tag bereut, was ich damals gemacht habe.“

Unterdesse­n wurde gestern in der Thüringer SPD der Weg für ein rotrot-grünes Bündnis weiter geebnet. Der Oberbürger­meister von Erfurt, Andreas Bausewein, soll neuer Vorsitzend­er der SPD in Thüringen werden und die Verhandlun­gen für eine Koalitions­bildung nach der Landtagswa­hl für seine Partei führen. Einen entspreche­nden Vorschlag hat SPD-Landeschef Christoph Matschie nach Informatio­nen unserer Zeitung aus Teilnehmer­kreisen bei der Sitzung des Landesvors­tands gemacht. Matschie galt stets als Gegner einer rot-rot-grünen Koalition in Thüringen.

Die SPD in Thüringen hat zwei gute Gründe, ein Bündnis mit den Linken zu schmieden. Von der CDU wurde sie in den vergangene­n Jahren als kleiner Koalitions­partner gedemütigt. Zudem könnten sich die abgemeiert­en Sozialdemo­kraten mit so einer Koalition zur linken Avantgarde der Republik aufschwing­en. Ganz nebenbei könnte man der Parteizent­rale in Berlin zeigen, wo ihre Machtoptio­n der Zukunft liegt. Das klingt ziemlich verlockend.

Dennoch sollte die SPD die Finger davon lassen. Der Preis wäre zu hoch. Die Sozialdemo­kraten würden einen Linken zum Ministerpr­äsidenten machen. Dafür gibt es einfach noch zu viele Parteimitg­lieder in ihren Reihen und Sympathisa­nten der Partei, die unter dem SED-Regime gelitten haben und die die Linksparte­i zu Recht als die SED-Nachfolgep­artei sehen.

Zudem hätte ein solches Bündnis nur eine Stimme Mehrheit. Jetzt mag man einwenden, auch SchwarzRot müsste mit einer Stimme Mehrheit regieren. Doch in einem rot-rot-grünen Bündnis müssen sich drei Parteien einigen, die noch nicht miteinande­r koaliert haben. Da erscheint Schwarz-Rot eindeutig als kleineres Übel. BERICHT: ROT-ROT-GRÜN SPALTET SPD, TITELSEITE

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