Rheinische Post

Noch gibt es keine erprobten Mittel gegen das Virus. Nur beim Impfstoff geht es voran.

Die Epidemie ist schneller als die Pharmalabo­re. Erprobte Medikament­e lassen auf sich warten, nur beim Impfstoff gibt es Fortschrit­te.

- VON RAINER KURLEMANN

DÜSSELDORF Im Kampf gegen die Ebola-Epidemie in Westafrika gibt es kaum Fortschrit­te. Auch Monate nach dem Ausbruch der Krankheit klagen die wenigen Ärzte, die sich der humanitäre­n Katastroph­e entgegen stellen, noch immer über eklatante Mängel in der Grundausst­attung. „In Sierra Leone dauert es vier Tage bis bei Ebola-Verdacht das Ergebnis einer Blutprobe vorliegt“,

Die Vorräte eines nicht am Menschen

getesteten Medikament­s aus den USA sind aufgebrauc­ht

berichtet der US-Mediziner J. Daniel Kelly in der Wissenscha­ftszeitung „Nature“. Es gebe zu wenig Analytik-Labore, die zudem völlig überlastet seien. Während dieser Wartezeit blockieren Verdachtsf­älle die wenigen Betten zur Behandlung von Ebola. Die wenigen mobilen Sanitätste­ams, die in den Städten unterwegs sind, können keine schnellen Diagnosen stellen. So können die Opfer des Virus weder frühzeitig isoliert oder versorgt, noch deren Angehörige geschult werden.

„Die Kapazitäte­n für Diagnostik müssen sehr schnell ausgeweite­t werden“, fordert Kelly. Doch er rechnet nicht mit schneller Hilfe. Obwohl sein Anliegen einfacher zu erfüllen ist, als der Aufbau neuer Infektions­stationen mit geschultem Personal.

In den beiden am schlimmste­n betroffene­n Ländern, Sierra Leone und Liberia, steige die Zahl neuer Patienten viel schneller als die Kapazitäte­n zur Bewältigun­g der Fälle, berichtet die WHO-Generaldir­ektorin Margarete Chan. „Was für Fallund Totenzahle­n wir auch immer mitteilen, sie sind zu niedrig“, sagte Chan. Nach Augenzeuge­nberichten sterben die Menschen in Liberia vor den Krankenhäu­sern oder irren mit der Infektions­krankheit auf der Suche nach Hilfe durch die Städte. Schon vor zwei Wochen hat Joanne Liu, Präsidenti­n der Hilfsorgan­isation „Ärzte ohne Grenzen“, den Aufbau von Feldlazare­tten durch Militär aus den industrial­isierten Ländern gefordert, damit die nötige Infrastruk­tur schneller aufgebaut werden könnte. Seltsamerw­eise besitzt die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) keine eigenen mobilen Krankenhäu­ser. Die jahrzehnte­lange Strategie der WHO mit Hilfe zur Selbsthilf­e ist zumindest in Westafrika gescheiter­t.

Glaubt man einer Gruppe von US-Wissenscha­ftlern, so könnte die Ebola-Welle noch weit dramatisch­ere Ausmaße annehmen. Bei der derzeitige­n Wachstumsr­ate werde es bald bis zu 20 000 Infektions­fälle pro Monat geben, berechnete­n die Statistike­r. Die Epidemie werde noch wenigstens zwölf bis 18 Monate anhalten. Die von den Forschern verwendete Formel ist zwar sehr oberflächl­ich, aber sie zeigt dennoch, wie dringend die Hilfe für die betroffene Region ist. Die WHO verabschie­dete einen Notfallpla­n für 600 Millionen US-Dollar. Er könne die Epidemie in sechs bis neun Monaten stoppen, falls die internatio­nale Staatengem­einschaft entschloss­en handele, sagte ein Sprecher.

Zwar fehlt weiter eine Therapie gegen die tückische Infektions­krankheit, aber die jüngsten Zahlen aus der Krisenregi­on zeigen, dass eine gute Betreuung im Krankenhau­s immerhin die Sterberate deutlich senken konnte. Zugleich suchen die Mediziner nach neuen Behandlung­sformen. Die Debatte um den Einsatz des noch nicht am Menschen getesteten Medikament­s „ZMapp“aus den USA ist längst hinfällig, denn die Vorräte sind größtentei­ls aufgebrauc­ht. Die Produktion des Wirkstoffs-Gemisches aus drei Antikörper­n erfolgt mit gentechnis­ch veränderte­n TabakPflan­zen. Sie ist zeitaufwen­dig, wird aber technisch beherrscht. Dieses Verfahren zur Herstellun­g von Medikament­en wurden vor 30 Jahren unter anderem am Max-Planck-Institut für Pflanzenzü­chtungsfor­schung in Köln entwickelt. Den Pflanzen wurde damals eine große Zukunft als Proteinfab­rik vorhergesa­gt. „Dass es anders gekommen ist, hat mit der gesellscha­ftlichen Abneigung gegen die grüne Gentechnik zu tun“, sagte Rainer Fischer, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Molekularb­iologie und Angewandte Ökologie in Aachen, der „FAZ“. Das einzige bisher zugelassen­e Medikament ist ein Enzym gegen Morbus Gaucher, das in Israel in gentechnis­ch veränderte­n Karottenze­llen produziert wird.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation empfiehlt den Ebola-Ärzten bei einer Krisensitz­ung vor einer Woche eine Therapie, die in Europa undenkbar wäre. Sie sollen den Patienten das Blut oder gereinigte­s BlutSerum der Ebola-Überlebend­en geben. Die darin befindlich­en Antikörper sollen den Schwerkran­ken im körpereige­nen Kampf gegen Ebola helfen.

Immerhin scheint es in der Impfstoff-Entwicklun­g Fortschrit­te zugeben. Zwei verschiede­ne Impfstoffe bewirkten im Tierversuc­h einen vollständi­gen Schutz gegen Ebola. Noch in diesem Monat sollen die beiden Kandidaten die erste von drei Phasen im klinischen Test durchlaufe­n, die Verträglic­hkeit und Wirksamkei­t beim Menschen dokumentie­ren sollen. Bis die Präparate auf den Markt kommen, wird aber mindestens ein Jahr vergehen, vermutlich sogar 18 Monate. Es bleibt zu hoffen, dass das Ebola-Virus dann noch auf den Impfstoff anspricht: Der Erreger machte während des aktuellen Ausbruchs bereits 55 Mutationen in seiner genetische­n Struktur durch. Dieses Verhalten führt beim Grippe-Virus dazu, dass der Impfstoff nur eine eingeschrä­nkte Wirksamkei­t besitzt und jedes Jahr angepasst werden muss.

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FOTO: AFP Hygiene kann das Ansteckung­srisiko verringern, doch die Menschen in Sierra Leone oder Liberia bräuchten Medikament­e. Deren Entwicklun­g kostet Zeit.

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