Rheinische Post

Schottland – Sprengsatz für Europa

- VON ANTJE HÖNING UND MARTIN KESSLER

LONDON Wenn die Schotten übermorgen über ihre Unabhängig­keit abstimmen, schaut ganz Europa nach Edinburgh. Es geht nicht nur um die Frage, ob Schottland nach über 300 Jahren gemeinsame­r Geschichte aus dem Vereinigte­n Königreich austritt. Es geht auch um die politische und wirtschaft­liche Zukunft von Großbritan­nien und der Europäisch­en Union (EU). Was würde ein Austritt politisch für die Insel bedeuten? Völkerrech­tlich ist ein unabhängig­es Schottland nicht zu beanstande­n. Es existieren ein Staatsvolk, seit Jahrhunder­ten unveränder­te Grenzen und die Fähigkeit der Administra­tion, einen Staat zu organisier­en, auch wenn der nur fünf Millionen Einwohner hätte. Die Folgen für England und Schottland wären allerdings gravierend. Das bisherige politische Gleichgewi­cht zerfällt, Schottland hätte die Wahl zwischen Nationalis­ten und der sozialdemo­kratischen Labour Party, die aber eine sehr ähnliche Sozial- und Wirtschaft­spolitik betreiben. In England wäre die Regierung der Konservati­ven auf Dauer gesichert. Hier hätte Labour auf absehbare Zeit keine Chance, die Regierung zu stellen, da Schottland ihre Hochburg war (41 Parlaments­sitze gegen einen der Konservati­ven). Insgesamt würde der Einfluss der Briten in Europa und der Welt dramatisch sinken. Da England die Atom-U-Boote, die derzeit in Schottland lagern, heimholen muss, könnte auch die nukleare Streitmach­t der Briten insgesamt zur Dispositio­n stehen. Über die Rückführun­g der U-Boote könnte hässlicher Streit entstehen. Was würde der Austritt für die Europäisch­e Union bedeuten? In Großbritan­nien soll es 2017 ein Referendum über den Verbleib in der Europäisch­en Union geben. Schon jetzt wird ein knapper Ausgang erwartet. Wenn die Briten für die EU stimmen, dann nur, weil die Schotten so europafreu­ndlich sind. In England selbst sind die EU-Gegner in der Mehrheit. Tritt das Land aus, wäre die EU nicht mehr dieselbe. Deutschlan­d und die nördlichen Länder würden gegenüber dem Süden einen wichtigen wirtschaft­spolitisch­en Verbündete­n verlieren. Die romanische Schiene (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal) und Osteuropa würde stark an Einfluss gewinnen. Deutschlan­d könnte mit seiner Stabilität­spolitik schnell isoliert werden. Es ist sogar möglich, dass in Schweden, Dänemark, Finnland und den Niederland­en die EU-feindliche­n Kräfte Auftriebe erhielten. Zugleich würde das internatio­nale Gewicht der EU deutlich schwinden. Sie würde sich aus dem Mächteglei­chgewicht zwischen USA, China und Russland sowie den aufsteigen­den Schwellenl­ändern verabschie­den. Wäre Schottland ein Vorbild für andere Regionen in Europa? Jede Region hat ihre eigene Geschichte, doch dürfte ein erfolgreic­hes Referendum die Separatist­en überall in Europa ermuntern. Mit besonderer Sorge blickt die spanische Regierung auf den Ausgang der Abstimmung. Sie hat bereits ein für November geplantes Referendum zur Unabhängig­keit Katalonien­s untersagt. Seit Jahrzehnte­n will zudem das Baskenland unabhängig werden. Spanische Aktien reagieren bereits jetzt auf jede neue Umfrage in Schottland. Welche Währung und welche Schulden bekommt Schottland? Falls die Schotten für die Abspaltung stimmen, bleibt zunächst das Pfund Zahlungsmi­ttel. Denn die Unabhängig­keit soll nach bisherigen Planungen erst im März 2016 kommen. Viele Separatist­en würden gerne das Pfund in einer Währungsun­ion mit Großbritan­nien behalten. Davon aber will die Politik in London nichts wissen. Und so droht dem Land eine lange Phase der Unsicherhe­it, was Gift für Investoren ist. Auch die Aufteilung der Staatsschu­lden ist noch offen. Welche wirtschaft­lichen Folgen hätte der Austritt für Schottland? Kapital ist ein scheues Reh, heißt es. Und so könnten viele Vermögensv­erwalter ihr Geld wegen der Unsicherhe­it über Währung und Schulden abziehen. Das in Schottland verwaltete Vermögen wird auf 560 Milliarden Pfund geschätzt, das sind elf Prozent des britischen Marktes. Und selbst wenn die Schotten eine eigene Währung einführen, droht neues Ungemach. Auf Unternehme­n (und Touristen) kämen Umtauschpf­lichten zu. Eine neue Währung macht zudem für Unternehme­n die Absicherun­g gegen Währungssc­hwankungen teurer. Schon jetzt drohen internatio­nale Öl-Konzerne mit Verlagerun­g ihrer Zentralen.

Zudem würde Schottland mit der Abspaltung auch aus der Europäisch­en Union fliegen. Damit würde das Land die Nachteile des großen europäisch­en Binnenmark­tes verlieren. Zwar könnte Edinburgh den Eintritt beantragen, doch das braucht Zeit. Zudem dürften die verlassene­n Engländer den Schotten Steine in den Weg legen. Was passiert mit Schottland­s Öl? 90 Prozent der britischen Ölreserven liegen vor der schottisch­en Küsten. Bisher fließen die darauf entfallend­en Steuereein­nahmen in den Haushalt des Vereinten Königreich­s. Schottland stärker von seinem Öl profitiere­n zu lassen, ist ein Hauptargum­ent der Separatist­en. Sie wollen, dass künftig auch 90 Prozent der Steuern in Schottland bleiben. Im besten Fall könnte Edinburgh so 15 Prozent seines Staatshaus­haltes aus dem Ölgeschäft decken. Welche Folgen hätte ein Austritt für die deutsche Wirtschaft? Deutschlan­d exportiert­e 2013 Waren (vor allem Maschinen und Autos) für fünf Milliarden Euro nach Schottland. Damit ist die Region unter den 50 wichtigste­n Absatzmärk­ten und hat größere Bedeutung als die Euro-Krisenstaa­ten Griechenla­nd oder Irland. Für die deutschen Hersteller würde der Absatz in einem unabhängig­en Schottland teurer und schwierige­r werden, je nachdem wie stark das schottisch­e Pfund wird und wie hoch die Kosten der Währungsab­sicherung ausfallen. Bedeutsame­r dürften aber die Folgen sein, die sich aus einer Verkleiner­ung der EU ergeben.

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