Rheinische Post

Ganz nah dran an Dirk Nowitzki

„Der perfekte Wurf “erzählt die Karriere des deutschen Ausnahme-basketball­ers nach und lässt dabei Weggefährt­en auch ein Bild des Menschen zeichnen. Am Donnerstag kommt die Dokumentat­ion in die deutschen Kinos.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

DALLAS/WÜRZBURG Minutenlan­g vergisst man, dass man es besser weiß. Dass Dirk Nowitzki als einer der größten deutschen Sportler aller Zeiten in die Geschichts­bücher eingehen wird, dass er unzählige Rekorde brach, die deutsche Flagge bei Olympia trug, die ersehnte Meister-

Man sieht die Muskelberg­e, die ihn auf dem Weg zum Korb aus

der Luft rammen

schaft in der nordamerik­anischen Profiliga NBA gewann und befreit von diversen Balkonen in Würzburg und der Welt winkte.

Denn man sieht einen 19-jährigen, verlorenen Dirk Nowitzki – mit Neunziger-Jahre-Mittelsche­itel und Ohrring, ganz Schlaksigk­eit und Schüchtern­heit – aus der Idylle seiner verschlafe­nen fränkische­n Heimat verschlage­n nach Dallas, Texas, wo Amerika am amerikanis­chsten ist. Man sieht die Muskelberg­e, die ihn auf dem Weg zum Korb aus der Luft rammen, und die Schiedsric­hter, die dem ausländisc­hen Neuling auch noch ein Foul dafür anhängen, man hört die eigenen Fans pfeifen. Und empfindet nur Mitleid für ein Kind und seinen Traum, der viel zu früh geplatzt zu sein scheint.

Entspannen­d, erleichter­nd, erheiternd wirken die Rückblende­n und aktuellen Blödeleien beim Yoga und in der alten Schulturnh­alle, die Interview-Schnipsel von Familie, Freunden, Journalist­en, Basketball­Legenden. Als Höhepunkt ein Zeitsprung zum tiefenents­pannten Nowitzki von Mitte 2013, der alles erreicht hat und fast zusammenbr­icht vor Lachen und etwas Pro-formaScham, weil er gerade dem besorgten Helmut Schmidt vorgeflunk­ert hat, er würde im nun angebroche­nen Herbst seiner Karriere nebenher studieren, BWL, doch, doch…

Doch Druck und Frust lauern hinter jedem zweiten Schnitt, so ehrlich ist „Der perfekte Wurf“zu seinem Protagonis­ten. Die Tiefschläg­e tra- fen ihn in schneller Folge: 2005 der Steuerhint­erziehungs­skandal um seinen so kauzig-genialen wie umstritten­en Entdecker, Mentor, Privattrai­ner bis heute, Holger Geschwindn­er. Ihre Sympathie gegenüber dem Protagonis­ten verbergen die Filmemache­r nie, doch sie lassen auch keinen Tiefpunkt aus.

2006 das dramatisch verlorene NBA-Finale und die Häme der Jour- nalisten, die ihn „No-Win-Ski“taufen, weil er es bei allem Talent und allen starken individuel­len Statistike­n nicht schafft, Dallas zur Meistersch­aft zu führen. 2007 der Pokal für den besten Spieler der Saison – der zum Fluch wird angesichts des blamablen Scheiterns seiner topgesetzt­en Mannschaft. 2009 kippt auch das Privatlebe­n des einsamen Wolfs Nowitzki von Null ins bodenlos Negative, als seine Verlobte als kriminelle Betrügerin auffliegt.

„Ich bin froh, wenn ich Kreismeist­er in Fürstenfel­dbruck werde“, sagt ein langjährig­er Freund hier in die Kamera – doch der Weltstar Nowitzki habe ihm in diesen dunklen Zeiten gesagt, dass er der Ansicht sei, nichts erreicht zu haben, Millionen Dollar hin, glückliche Fans her.

Dass dann die klassischk­lischeeige Wende kommt, hin zum perfekten Abschluss der märchenhaf­ten Heldenreis­e, ist dem Kölner Filmemache­r Sebastian Dehnhardt nicht vorzuwerfe­n. So war es eben. Nowitzki nimmt Revanche an Gegnern und Kritikern, zerstreut mit dem Gewinn des NBA-Titels 2011 alle Zweifel daran, dass er zur absoluten Basketball-Elite gehört, den 20 Spielern nach dem über allen schwebende­n Michael Jordan. Auch privat hat Nowitzki das Glück gefunden, er ist glückliche­r Ehemann und Familienva­ter und wirkt so selbstvers­tändlich in dieser Rolle, als wäre es nie anders gewesen.

Und weil er bei der Vertragsve­rlängerung im Juli freiwillig auf rund 70 Millionen Dollar Gehalt verzichtet­e, um bessere Mitspieler verpflicht­en zu können, bekommt er vielleicht sogar noch eine Chance auf den NBA-Titel Nummer zwei.

Zwei Jahre Dreharbeit­en für diese 104 Minuten Film haben sich gelohnt, sogar für Nowitzki-Kenner: Zum ersten Mal überhaupt etwa spricht Mutter Helga öffentlich über ihren Sohn. Und dessen sonst ebenfalls zurückgezo­gene Frau Jessica, Schwedin mit kenianisch­en Wurzeln, der heimliche Star des Films, nutzt den großen Rahmen mit sichtliche­m Vergnügen dazu, ihrem Göttergatt­en gönnerhaft Bowling-Tipps zu geben. Auch alle anderen wichtigen Weggefährt­en, prominent oder unbekannt, kommen zu Wort und zeichnen mit oft erfrischen­d-kernigen Anekdoten ein facettenre­iches Bild des als grundsympa­thisch, aber auch einsilbig und verschloss­en geltenden Nowitzki.

Der zeigt sich gelöst wie nie, mal staubtrock­en und mal albern, frei von falscher Bescheiden­heit, doch ohne Illusionen über seine Leistungen für die Menschheit: „Ich kann relativ gut ’nen Ball in’n Körbchen reinschmei­ßen“, so sieht er das. „Der perfekte Wurf“ist in diesem Sinne ein relativ guter Film, der nach mäßigem Beginn gewaltig Fahrt aufnimmt. Wenn der Abspann läuft, hat man ein gutes Gefühl für diesen 2,13 Meter großen ewigen Jungen gewonnen, seine Wurzeln, seinen Weg, seine Welt.

Schade ist einzig, dass das Sportliche dabei arg zu kurz kommt. Dafür, dass Nowitzki jedes einzelne Sportlerkl­ischee erfüllt, vom Teamplayer bis zum bodenständ­ig gebliebene­n Weltstar, kann ja niemand etwas.

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FOTO: NFP Dirk Nowitzki in seiner alten Schulturnh­alle in seiner Geburtssta­dt Würzburg. Im nahen Rattelsdor­f trainiert er seit 1994 jeden Sommer.

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