Rheinische Post

Griechenla­nd erzwingt weitere Not-Sitzung

Athen lehnt auch den jüngsten Kompromiss­vorschlag der Geldgeber ab und beharrt auf Schuldener­lass. Nun müssen die Euro-Finanzmini­ster am Wochenende erneut beraten. Denn am Dienstag droht die Pleite.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BRÜSSEL/BERLIN Im Brüsseler Verhandlun­gspoker zwischen der griechisch­en Regierung und ihren Geldgebern haben sich die Fronten wieder verhärtet. Athen lehnte auch einen neuen Kompromiss­vorschlag des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), der EU-Kommission und der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) ab. Nun muss die Euro-Gruppe der Finanzmini­ster morgen Vormittag erneut nach einer Lösung suchen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel mahnte eine Einigung bis spätestens zum frühen Montagmorg­en an: Wenn die Börsen öffnen, müsse die Lösung da sein.

Merkel zeigte sich zugleich besorgt über den Stand der Verhandlun­gen. Anscheinen­d seien die notwendige­n Fortschrit­te noch nicht gemacht worden. „An manchen Stellen hat man den Eindruck, dass wir sogar ein bisschen zurückfall­en“, sagte sie. Auch Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble sprach von einem Rückschrit­t.

Damit ist der Versuch des griechisch­en Ministerpr­äsidenten Alexis Tsipras vorerst gescheiter­t, die Verhandlun­gen auf die höchste politische Ebene zu ziehen. Dieses Anliegen haben die Regierungs­chefs gestern zum Auftakt des EU-Gipfels abgeblockt und auf die Zuständigk­eit der Euro-Gruppe verwiesen. Der Gipfel debattiert­e am Abend lediglich über den Bericht von EuroGruppe­n-Chef Jeroen Dijsselblo­em. Man habe klargemach­t, dass Athen absolut keinen Spielraum mehr habe, berichtete­n Diplomaten. Die Runde habe von Tsipras verlangt, das neue Angebot der Geldgeber zu akzeptiere­n. Sonst müsse über einen „Plan B“gesprochen werden – also eine Pleite oder einen EuroAustri­tt Griechenla­nds.

Tsipras hatte sich vom EU-Gipfel einen politische­n „Deal“erhofft, bei dem er weniger Spar- und Reformzuge­ständnisse hätte machen müssen als in den harten technische­n Verhandlun­gen mit den drei Institutio­nen und den Finanzmini­stern.

Käme es zu einer rein politisch motivierte­n Lösung ohne weitgehend­e Spar- und Reformzusa­gen Athens, wäre die Gefahr der Aufweichun­g von Regeln groß, an die sich andere Euro-Länder wie Irland, Portugal und Spanien gehalten haben. Vor einem solchen Szenario warnten gestern führende Ökonomen. „Die Euro-Länder sind auf die strikte Einhaltung der gemeinsame­n Regeln angewiesen, sie sind die Basis ihrer Gemeinscha­ft. Eine rein politische Lösung darf es deshalb nicht geben“, sagte Christoph Schmidt, Chef der Wirtschaft­sweisen. „Bei einem nur notdürftig zusammenge­häkelten Deal sehe ich die Gefahr, dass Griechenla­nd sehr bald mit aller Macht wieder den Schuldendi­enst infrage stellt“, sagte Dekabank-Chefvolksw­irt Ulrich Kater.

Griechenla­nd ist nur noch wenige Tage vom Staatsbank­rott entfernt. Bis zum 30. Juni muss das Land 1,6 Milliarden Euro an den IWF zurückzahl­en. Weitere Rückzahlun­gen stehen im Juli und bis Ende des Jahres an. Athen ist daher dringend auf die Auszahlung von bis zu 19 Milliarden Euro aus dem zweiten Hilfspaket angewiesen, das ebenfalls am 30. Juni ausläuft. Kommt es zuvor zu keiner Einigung, kann das Geld nicht mehr ausgezahlt werden.

Die Euro-Gruppe ging wegen der Spannungen gestern erneut ergebnislo­s auseinande­r. Den Ministern lagen zwei Papiere vor – das von der griechisch­en Regierung bereits am Montag präsentier­te Papier sowie das neue Papier der drei „Institutio­nen“. Darin kamen sie Athen etwas entgegen. So sollten umstritten­e Erhöhungen der Mehrwertst­euersätze Ende 2016 überprüft werden, wenn sich bis dahin andere Einnahmequ­ellen ergäben. Zudem sollte das Auslaufen von Sonderverg­ütungen für arme Rentner über zwei weitere Jahre bis 2019 gestreckt werden.

Die Bundeskanz­lerin will und darf sich von Athen nicht erpressen lassen. Deshalb muss Merkel die Verhandlun­gen auch unbedingt auf der Ebene der Finanzmini­ster halten – solange, bis diese endlich ein konkretes und detaillier­tes Spar- und Reformprog­ramm mit Athen ausgehande­lt haben. Einen politische­n „Deal“auf höchster Chefebene dagegen, wie ihn Griechenla­nds Premier Tsipras von Anfang an angestrebt hat, sollte Merkel bis zum bitteren Ende am Montag verhindern. Ob ihr das wirklich gelingt, ist noch offen.

Das, was Griechenla­nd wirklich aus der Krise helfen kann, gerät derweil gefährlich aus dem Blick. Viel zu sehr starren auch die Geldgeber auf Haushaltsz­ahlen, viel zu wenig auf Reformen. Dass die drastische Anhebung der Mehrwertst­euer für Gastronome­n und Hoteliers dazu beitragen wird, die Krise zu vertiefen, dürfte jedem VWL-Erstsemest­er klar sein.

Die geforderte Verdoppelu­ng von Steuervora­uszahlunge­n dürfte auch den letzten funktionie­renden Firmen den Garaus machen. Richtig sind dagegen schnellere Rentenrefo­rmen und deutlicher­e Kürzungen des Militäreta­ts. Traurig für alle, dass der überfällig­e Komplettum­bau des überdimens­ionierten und unfähigen Staatsappa­rats weiterhin ausbleibt.

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