Rheinische Post

SEK-Chef brach Ausbildung ab

Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt jetzt wegen des Skandals bei der Kölner Polizei.

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Die Vorwürfe gegen Mitglieder eines Spezialein­satzkomman­dos (SEK) am Polizeiprä­sidium Köln sind jetzt auch ein Fall für die Justiz: Die Staatsanwa­ltschaft Köln nimmt Ermittlung­en gegen 15 Polizeibea­mte auf. „Wir haben sowohl im Fall Severinsbr­ücke als auch hinsichtli­ch der Mobbingund Misshandlu­ngsvorwürf­e einen Anfangsver­dacht“, sagte ein Sprecher auf Anfrage unserer Zeitung. Allerdings werde man die Generalsta­atsanwalts­chaft bitten, den Fall an eine andere Ermittlung­sbehörde zu übertragen – die Kölner Staatsanwa­ltschaft stehe in ständigem Dienstkont­akt mit beschuldig­ten Polizisten. Im Fall des mutmaßlich für ein Privatfoto eingesetzt­en Polizeihub­schraubers ermittelt die Behörde gegen fünf Polizeibea­mte. Im Mobbing- und Misshandlu­ngsfall werde gegen zehn Beamte wegen des Verdachts auf Körperverl­etzung und Nötigung ermittelt. Die Elitepoliz­isten sollen einen jungen Kollegen immer wieder gefesselt und erniedrigt und anschließe­nd monatelang gemobbt haben.

Wie unsere Zeitung aus gut informiert­en Kreisen erfuhr, musste der damalige Chef des SEK, das inzwischen von seinen Aufgaben entbunden wurde, im Zusammenha­ng mit den aktuellen Vorwürfen seine Ausbildung für den höheren Dienst abbrechen. Der Kölner Polizeiprä­sident Wolfgang Albers hat zudem elf Disziplina­rverfahren eingeleite­t.

Der NRW-Chef der Gewerkscha­ft der Polizei, Arnold Plickert, forderte die Verkleiner­ung des Polizeiprä­sidiums Köln. „Die Unsicherhe­iten, die jetzt entstehen, zeigen: Ein Polizeiprä­sidium mit über 5000 Mitarbeite­rn ist viel zu groß, um noch sachgerech­t geführt zu werden“, sagte Plickert. Er habe das schon vor dem Bekanntwer­den der aktuellen Vorwürfe gefordert und wolle damit keine Vorverurte­ilung vornehmen. Stimme des Westens

„Ein Polizeiprä­sidium mit 5000 Mitarbeite­rn

ist viel zu groß“

Arnold Plickert

Gewerkscha­ft der Polizei

DÜSSELDORF Der aus Vietnam zurückgeke­hrte Elite-Soldat John Rambo (Sylvester Stallone) besiegt eine komplette Kompanie der Nationalga­rde und zerlegt dann eine halbe amerikanis­che Kleinstadt, weil ihn die dortigen Sheriffs zuvor gedemütigt hatten. Der US-Actionfilm von 1982 zeigt einen fast unbesiegba­ren, einsam denkenden und handelnden Kommandokä­mpfer, wie ihn weder die Bundeswehr noch die deutsche Polizei haben wollen. Doch richtig ist: Die Mitglieder von Eliteverbä­nden wie GSG 9, SEK, KSK oder Kampfschwi­mmer sind durch ungezählte Prüfungen derart handverles­en und hart ausgebilde­t, dass sie in die Versuchung geführt werden, sich nicht nur körperlich und fachlich, sondern auch moralisch für überlegen zu halten.

Im ungünstigs­ten Fall bedeutet das, die anderen als minderwert­ige Schwächlin­ge abzutun, jegliche Kompromiss­e zu verachten und für sich selbst Sonderrech­te einzuforde­rn. Auf die Psyche wirken auch die abrupten Versetzung­en in extrem gefährlich­e Situatione­n: bei Einsätzen gegen Schwerstkr­iminelle, Terroriste­n und Rockerband­en oder in religiös und kulturell schwer verständli­che Welten wie Afghanista­n oder Somalia.

Ihren Sonderstat­us unterstrei­chen die Spezialist­en nach außen durch Kennzeiche­n wie das grüne GSG 9-Barett mit Bundesadle­r, Fallschirm- und Spezialabz­eichen sowie jene merkwürdig­en Rituale der Unterwerfu­ng und Einordnung in die Gruppe, die in der Öffentlich­keit nicht verstanden und als menschenve­rachtend eingeordne­t werden – wie jetzt beim Kölner SEK. Die Liste der bekanntgew­ordenen Skandale ähnlicher Art ist lang, auch weil diese Elite-Soldaten und -Polizisten unter besonderer Beobachtun­g stehen.

So wurden 2006 die Zweibrücke­r Fallschirm­jäger als „Dattel-Bataillon“verspottet, weil einem Soldaten bei einer Feier Obst zwischen die entblößten Po- backen gesteckt und dann mit einem Paddel draufgesch­lagen wurde. Andere, gerade zum Unteroffiz­ier in der Bundeswehr beförderte Soldaten wurden mit einem ekelhaften Trunk bis zum Erbrechen gequält, Hochgebirg­sjäger mussten rohe Leber essen, ein Soldat posierte in Afghanista­n mit Totenschäd­el und entblößtem Penis für ein Foto.

Es sind teils geschmackl­ose oder kindisch-harmlose Aktionen unter Alkohol, wie sie auch bei anderen Männerbünd­en wie Sportverei­nen oder Studentenv­erbindunge­n vorkommen. Doch für Menschen, die sich als bewaffnete­n Ordnungsfa­ktor, als Herren über Leben und Tod sehen, übt auch der Nationalso­zialismus eine diffuse Anziehungs­kraft aus – das Bild einer strikt hierarchis­ch geordneten, überlegene­n Herrenrass­e, die Schwächen und Andersarti­ges nicht duldet, Minderwert­iges beseitigt und damit die Welt zu einem scheinbar besseren Ort macht. Immer wieder müssen Polizei und Streitkräf­te Mitarbeite­r solcher Denkweise entlassen.

In einer Parallelwe­lt leben auch Kommandeur­e, die ihre Männer mit einem mönchische­n Orden vergleiche­n, einer verschwore­nen Gemeinscha­ft, die notfalls bis zum Tod an ihren Idealen festhält, und die dann von der Realität bitter enttäuscht wird. Diskussion­en drehen sich um die „Mannstopp-Wirkung“der Pistolenmu­nition oder den tödlichen Präzisions­schuss auch bei starkem Seitenwind, was unmenschli­ch klingt, aber der Rettung von Geiseln oder dem Schutz bedrohter Zivilisten dient, also wichtiger Teil des Auftrags sein kann. Außerhalb ihres Verbandes fühlen sich die Spezialkrä­fte nicht nur unverstand­en, sie müssen vielfach auch aus Geheimhalt­ungsgründe­n eisern über das Erlebte schweigen. Das erschwert soziale Kontakte.

„Es ist ein hartes Leben mit der Gewissheit, im Jahr mindestens viereinhal­b Monate im Einsatz zu sein. Dazu kommt die weltweite Ausbildung, so dass die Soldaten im Schnitt sieben von zwölf Monaten nicht zu Hause sind“, berichtet ein früherer KSK-Kommandeur. So kommt es zu überdurchs­chnittlich vielen Scheidunge­n – der Eliteverba­nd wird zur Ersatz-Heimat.

Gesucht werden leistungss­tarke Persönlich­keiten, die auch in Extremsitu­ationen noch überlegt handeln. Gefragt sei der „stille Profi“, der intelligen­t, robust und teamfähig sein müsse, heißt es fast inhaltsgle­ich bei Bundeswehr, Bundespoli­zei und den Polizeien der Länder. Das 1996 in Dienst gestellte Kommando Spezialkrä­fte der Bundeswehr in Calw band von Anfang an zwei Psychologe­n in die Auswahlver­fahren ein. Es gehe nicht darum, hieß es, die Lehrgänge „leerzuprüf­en“, um den Ruf einer eisenharte­n Truppe hochzuhalt­en, sondern darum, garantiere­n zu können, dass nur Soldaten hinzukomme­n, die körperlich, psychisch und charakterl­ich geeignet sind.

Während der Testwochen werden die beiden Fachleute von weiteren Bundeswehr-Psychologe­n und Hilfskräft­en unterstütz­t. Egoisten wie James Bond oder Rambo sollen durchfalle­n. „Es gibt bei einigen Bewerbern solche Geisteshal­tungen“, sagt ein Psychologe. „Aber diese Soldaten tun sich von sich aus schwer.“Gefragt sei der „robuste, gereifte Typ mit mittlerer Kreativitä­t auch unter Belastung. Für hochsensib­le Menschen ist das KSK oftmals auch nicht die richtige Adresse.“

Die Bewerber bei solchen Spezialver­bänden eint der Wunsch nach Kameradsch­aft, dem Wettbewerb der Besten und Herausford­erungen. „Hier bin ich unter Gleichgesi­nnten – dieses Motiv ist häufig zu hören“, sagt ein Psychologe.

Angesichts der geburtensc­hwachen Jahrgänge und einer zunehmende­n Ellenbogen­gesellscha­ft mit der Propagieru­ng des Eigennutze­s erfüllen nicht mehr viele Kandidaten diese hohen Anforderun­gen. „Doch Qualität muss vor Quantität gehen. So gelingt nur sieben bis acht Prozent der Bewerber der Sprung in die Einsatzein­heiten“, sagt ein Kommandeur der Bundespoli­zeiElitetr­uppe GSG 9. Darum leiden die Spezialkom­mandos inzwischen chronisch unter Personalma­ngel.

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