SEK-Chef brach Ausbildung ab
Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt wegen des Skandals bei der Kölner Polizei.
DÜSSELDORF Die Vorwürfe gegen Mitglieder eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) am Polizeipräsidium Köln sind jetzt auch ein Fall für die Justiz: Die Staatsanwaltschaft Köln nimmt Ermittlungen gegen 15 Polizeibeamte auf. „Wir haben sowohl im Fall Severinsbrücke als auch hinsichtlich der Mobbingund Misshandlungsvorwürfe einen Anfangsverdacht“, sagte ein Sprecher auf Anfrage unserer Zeitung. Allerdings werde man die Generalstaatsanwaltschaft bitten, den Fall an eine andere Ermittlungsbehörde zu übertragen – die Kölner Staatsanwaltschaft stehe in ständigem Dienstkontakt mit beschuldigten Polizisten. Im Fall des mutmaßlich für ein Privatfoto eingesetzten Polizeihubschraubers ermittelt die Behörde gegen fünf Polizeibeamte. Im Mobbing- und Misshandlungsfall werde gegen zehn Beamte wegen des Verdachts auf Körperverletzung und Nötigung ermittelt. Die Elitepolizisten sollen einen jungen Kollegen immer wieder gefesselt und erniedrigt und anschließend monatelang gemobbt haben.
Wie unsere Zeitung aus gut informierten Kreisen erfuhr, musste der damalige Chef des SEK, das inzwischen von seinen Aufgaben entbunden wurde, im Zusammenhang mit den aktuellen Vorwürfen seine Ausbildung für den höheren Dienst abbrechen. Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers hat zudem elf Disziplinarverfahren eingeleitet.
Der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei, Arnold Plickert, forderte die Verkleinerung des Polizeipräsidiums Köln. „Die Unsicherheiten, die jetzt entstehen, zeigen: Ein Polizeipräsidium mit über 5000 Mitarbeitern ist viel zu groß, um noch sachgerecht geführt zu werden“, sagte Plickert. Er habe das schon vor dem Bekanntwerden der aktuellen Vorwürfe gefordert und wolle damit keine Vorverurteilung vornehmen. Stimme des Westens
„Ein Polizeipräsidium mit 5000 Mitarbeitern
ist viel zu groß“
Arnold Plickert
Gewerkschaft der Polizei
DÜSSELDORF Der aus Vietnam zurückgekehrte Elite-Soldat John Rambo (Sylvester Stallone) besiegt eine komplette Kompanie der Nationalgarde und zerlegt dann eine halbe amerikanische Kleinstadt, weil ihn die dortigen Sheriffs zuvor gedemütigt hatten. Der US-Actionfilm von 1982 zeigt einen fast unbesiegbaren, einsam denkenden und handelnden Kommandokämpfer, wie ihn weder die Bundeswehr noch die deutsche Polizei haben wollen. Doch richtig ist: Die Mitglieder von Eliteverbänden wie GSG 9, SEK, KSK oder Kampfschwimmer sind durch ungezählte Prüfungen derart handverlesen und hart ausgebildet, dass sie in die Versuchung geführt werden, sich nicht nur körperlich und fachlich, sondern auch moralisch für überlegen zu halten.
Im ungünstigsten Fall bedeutet das, die anderen als minderwertige Schwächlinge abzutun, jegliche Kompromisse zu verachten und für sich selbst Sonderrechte einzufordern. Auf die Psyche wirken auch die abrupten Versetzungen in extrem gefährliche Situationen: bei Einsätzen gegen Schwerstkriminelle, Terroristen und Rockerbanden oder in religiös und kulturell schwer verständliche Welten wie Afghanistan oder Somalia.
Ihren Sonderstatus unterstreichen die Spezialisten nach außen durch Kennzeichen wie das grüne GSG 9-Barett mit Bundesadler, Fallschirm- und Spezialabzeichen sowie jene merkwürdigen Rituale der Unterwerfung und Einordnung in die Gruppe, die in der Öffentlichkeit nicht verstanden und als menschenverachtend eingeordnet werden – wie jetzt beim Kölner SEK. Die Liste der bekanntgewordenen Skandale ähnlicher Art ist lang, auch weil diese Elite-Soldaten und -Polizisten unter besonderer Beobachtung stehen.
So wurden 2006 die Zweibrücker Fallschirmjäger als „Dattel-Bataillon“verspottet, weil einem Soldaten bei einer Feier Obst zwischen die entblößten Po- backen gesteckt und dann mit einem Paddel draufgeschlagen wurde. Andere, gerade zum Unteroffizier in der Bundeswehr beförderte Soldaten wurden mit einem ekelhaften Trunk bis zum Erbrechen gequält, Hochgebirgsjäger mussten rohe Leber essen, ein Soldat posierte in Afghanistan mit Totenschädel und entblößtem Penis für ein Foto.
Es sind teils geschmacklose oder kindisch-harmlose Aktionen unter Alkohol, wie sie auch bei anderen Männerbünden wie Sportvereinen oder Studentenverbindungen vorkommen. Doch für Menschen, die sich als bewaffneten Ordnungsfaktor, als Herren über Leben und Tod sehen, übt auch der Nationalsozialismus eine diffuse Anziehungskraft aus – das Bild einer strikt hierarchisch geordneten, überlegenen Herrenrasse, die Schwächen und Andersartiges nicht duldet, Minderwertiges beseitigt und damit die Welt zu einem scheinbar besseren Ort macht. Immer wieder müssen Polizei und Streitkräfte Mitarbeiter solcher Denkweise entlassen.
In einer Parallelwelt leben auch Kommandeure, die ihre Männer mit einem mönchischen Orden vergleichen, einer verschworenen Gemeinschaft, die notfalls bis zum Tod an ihren Idealen festhält, und die dann von der Realität bitter enttäuscht wird. Diskussionen drehen sich um die „Mannstopp-Wirkung“der Pistolenmunition oder den tödlichen Präzisionsschuss auch bei starkem Seitenwind, was unmenschlich klingt, aber der Rettung von Geiseln oder dem Schutz bedrohter Zivilisten dient, also wichtiger Teil des Auftrags sein kann. Außerhalb ihres Verbandes fühlen sich die Spezialkräfte nicht nur unverstanden, sie müssen vielfach auch aus Geheimhaltungsgründen eisern über das Erlebte schweigen. Das erschwert soziale Kontakte.
„Es ist ein hartes Leben mit der Gewissheit, im Jahr mindestens viereinhalb Monate im Einsatz zu sein. Dazu kommt die weltweite Ausbildung, so dass die Soldaten im Schnitt sieben von zwölf Monaten nicht zu Hause sind“, berichtet ein früherer KSK-Kommandeur. So kommt es zu überdurchschnittlich vielen Scheidungen – der Eliteverband wird zur Ersatz-Heimat.
Gesucht werden leistungsstarke Persönlichkeiten, die auch in Extremsituationen noch überlegt handeln. Gefragt sei der „stille Profi“, der intelligent, robust und teamfähig sein müsse, heißt es fast inhaltsgleich bei Bundeswehr, Bundespolizei und den Polizeien der Länder. Das 1996 in Dienst gestellte Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr in Calw band von Anfang an zwei Psychologen in die Auswahlverfahren ein. Es gehe nicht darum, hieß es, die Lehrgänge „leerzuprüfen“, um den Ruf einer eisenharten Truppe hochzuhalten, sondern darum, garantieren zu können, dass nur Soldaten hinzukommen, die körperlich, psychisch und charakterlich geeignet sind.
Während der Testwochen werden die beiden Fachleute von weiteren Bundeswehr-Psychologen und Hilfskräften unterstützt. Egoisten wie James Bond oder Rambo sollen durchfallen. „Es gibt bei einigen Bewerbern solche Geisteshaltungen“, sagt ein Psychologe. „Aber diese Soldaten tun sich von sich aus schwer.“Gefragt sei der „robuste, gereifte Typ mit mittlerer Kreativität auch unter Belastung. Für hochsensible Menschen ist das KSK oftmals auch nicht die richtige Adresse.“
Die Bewerber bei solchen Spezialverbänden eint der Wunsch nach Kameradschaft, dem Wettbewerb der Besten und Herausforderungen. „Hier bin ich unter Gleichgesinnten – dieses Motiv ist häufig zu hören“, sagt ein Psychologe.
Angesichts der geburtenschwachen Jahrgänge und einer zunehmenden Ellenbogengesellschaft mit der Propagierung des Eigennutzes erfüllen nicht mehr viele Kandidaten diese hohen Anforderungen. „Doch Qualität muss vor Quantität gehen. So gelingt nur sieben bis acht Prozent der Bewerber der Sprung in die Einsatzeinheiten“, sagt ein Kommandeur der BundespolizeiElitetruppe GSG 9. Darum leiden die Spezialkommandos inzwischen chronisch unter Personalmangel.