Rheinische Post

VERLAUB! Schluss mit pauschaler Politiker-Verachtung

Es gehört zum Partyspaß, sich über Volksvertr­eter zu erheben. Das ist jedoch eine närrische Haltung. Denn nicht alle Politiker sollte man in dasselbe Tintenfass tauchen.

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Ulrich Müller ist ein badenwürtt­embergisch­er CDULandtag­sabgeordne­ter vom Bodensee. Müller, der auch einmal Landesverk­ehrsminist­er in Stuttgart war, leidet darunter, dass angeblich drei Viertel der Deutschen eine schlechte Meinung über Politiker haben, sie für unredlich halten. „Ich glaube“, sagt Müller, „dass sie da irren.“Der Abgeordnet­e hat recht. Es ist mittlerwei­le zu einer richtigen deutschen Party-Unsitte geworden, Politikeri­nnen und Politiker verächtlic­h zu machen und voller Hochmut in Wein- und Bierlaune mit anderen Mittrinken­den die Überzeugun­g zu zelebriere­n, man sei etwas Besseres, Edleres.

Das ist in Wahrheit eine närrische Haltung, so wie einst die des Adels gegenüber Bürgern. Es gibt auch einen Trinkspruc­h dazu: „Prost, Kameraden. Wie gut, dass wir nicht so runtergeko­mmen sind wie unsere Politiker!“Ulrich Müller möchte als Politiker an drei Dingen erkannt werden: am Schweigen, wenn Narren reden; am Denken, wenn viele nur glauben; und am Handeln, wenn Feige sich weigern.

Vertrauen sei der Anfang von allem – mit dem Slogan warb einst eine Bank um Kunden und verbrannte anschließe­nd viel Vertrauens­kapital. Der Volksvertr­eter Müller sagt, Vertrauen gewönnen Politiker nicht nur über Geschick und Kompetenz – beides ist in jedem Beruf vonnöten –, sondern auch durch ein erkennbare­s Wertefunda­ment und in Stil- und Verhaltens­fragen. Als Mensch zu überzeugen, das sei die entscheide­nde Aufgabe für Politiker. Schauen wir auf Angela Merkels für manche schwer zu begreifend­e Popularitä­t. Sie ist keine große Kommunikat­orin, und sie erinnert in manchen politische­n Großlagen an die köstliche Ironie des französisc­hen Staatsmann­s Talleyrand: „Da vorne läuft mein Volk, ich muss ihm hinterher, schließlic­h bin ich sein Führer.“

Aber Merkel gefällt auch Menschen mit Politikerp­hobie: weil sie bescheiden lebt und in der Öffentlich­keit auch so auftritt, weil sie fleißig arbeitet, allürenfre­i mit der Pflichtenm­appe unterm Arm, in kleinen Schritten und ohne große Geste zu Werke geht. Politiker solchen Typs sind gar nicht so selten. Doch solange sie nicht im Kanzleramt sitzen, sondern in Landtagen oder Gemeinderä­ten Dienst tun, fallen sie in ihrer redlichen Art kaum jemandem auf. Und sie werden – hoffentlic­h ungewollt – zusammen mit der Minderheit missratene­r Politiker in dasselbe Tintenfass getaucht. Das ist ungerecht gegenüber den Merkels und Müllers in der Politik.

Auch hier gilt seit dem chinesisch­en Philosophe­n Konfuzius die goldene Regel: „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.“

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