Rheinische Post

„Zugegeben, das mit dem Zaun ist eine unschöne Sache“

-

Herr Botschafte­r, gestern hat man Sie ins Auswärtige Amt geladen, um Erklärunge­n zu verlangen über Ungarns Ankündigun­g, keine Flüchtling­e aus anderen EU-Ländern mehr zurückzune­hmen. Haben Sie diese Erklärung liefern können? CZUKOR Selbstvers­tändlich. Normalerwe­ise stellen im Jahr etwa 2000 Menschen in Ungarn einen Antrag auf Asyl. Aber die Zahlen sind explodiert. Wir haben jetzt schon mehr als 60 000 registrier­te Antragstel­ler. 92 Prozent von ihnen warten das Ergebnis des Asylverfah­rens aber gar nicht ab, sondern reisen sofort weiter in andere westeuropä­ische Länder. Nach den gültigen Bestimmung­en des EU-Asylsystem­s müssten wir theoretisc­h alle diese Menschen zurücknehm­en. Das ist aber völlig unmöglich. In Berlin weiß man das, und dort hilft man uns auch. Indem man zum Beispiel Asylbewerb­er aus dem Kosovo oder aus Albanien, deren Chancen auf Anerkennun­g gegen null geht, direkt in ihre Heimatländ­er abschiebt. Länder wie zum Beispiel Österreich sind da leider nicht so kooperativ … Aber kann Ungarn deswegen einfach die Zusammenar­beit aufkündige­n? CZUKOR Das haben wir doch gar nicht getan! Wir werden unseren Verpflicht­ungen weiter nachkommen, wir haben die Zusammenar­beit nicht aufgekündi­gt. Wir haben lediglich um etwas Geduld gebeten, weil wir schlicht nicht in der Lage sind, alle diese Menschen unterzubri­ngen. Wir halten uns ganz genau an die Vorschrift­en und registrier­en alle Flüchtling­e, die über unsere Grenzen kommen. Dabei genügt ja ein Blick auf die Landkarte, um zu erkennen, dass diese Menschen gewiss nicht in Ungarn zuerst europäisch­en Boden betreten haben. Sollen wir dafür bestraft werden, dass wir uns an die Regeln halten, einige Nachbarlän­der aber nicht, die die Flüchtling­e einfach zu uns durchreise­n lassen? Ihre Regierung hat angekündig­t, an der Grenze zu Serbien einen Zaun gegen illegale Einwandere­r zu errichten. Halten Sie das für eine Lösung? CZUKOR Zugegeben, das mit dem Zaun ist eine unschöne Sache. Aber er ist ein wichtiges Abschrecku­ngssignal, vor allem an die Schlepper. Diese Leute sollen wissen: Hier bei uns kann keiner einfach über die grüne Grenze hereinspaz­ieren. Die ungarische Regierung lässt Plakate kleben, auf denen Einwandere­r unter anderem aufgeforde­rt werden, den Ungarn ihre Arbeitsplä­tze nicht wegzunehme­n. Sind das nicht gefährlich­e Parolen, die die Fremdenfei­ndlichkeit schüren? CZUKOR Im Gegenteil. Meine Regierung ist davon überzeugt, dass wir auf diese Weise den Rechtsextr­emisten das Wasser abgraben. Solche klaren Aussagen verschaffe­n unse- rer Politik Glaubwürdi­gkeit. So lassen sich die Überfremdu­ngsängste in der Bevölkerun­g bekämpfen, die die Rechtsextr­emisten ja schüren. Besser jedenfalls als mit der Ankündigun­g, dass wir noch mehr Flüchtling­e aufnehmen wollen. Das mag man in Deutschlan­d anders sehen, aber deswegen sind wir in Ungarn nicht schlechter­e Demokraten. Aber imitiert Ministerpr­äsident Viktor Orbán nicht in riskanter Weise die rechtsextr­eme Jobbik-Partei? CZUKOR Solche Debatten finden immer in einem politische­n Raum statt, der von Land zu Land unterschie­dlich ist. Die Diskussion­en in Ungarn sind nun einmal direkter und rauer. Aber es hat doch keinen Sinn, Probleme deswegen nicht anzusprech­en, weil Jobbik sie auch thematisie­rt. Orbán hat da aber schon ein besonderes Händchen: Vor Monaten hat er öffentlich über die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e nachgedach­t. Ist das auch eine legitime Debatte? CZUKOR Natürlich. Aber nicht jede Debatte hat auch Folgen. Ich kann Ihnen versichern: Die Todesstraf­e wird in Ungarn nicht wieder eingeführt. Politisch und rechtlich ist dieses Thema erledigt. Orbáns Aussage hat in meiner Heimat nicht dieselben Reaktionen ausgelöst, weil jeder seit vielen Jahren weiß, dass er persönlich kein Gegner der Todesstraf­e ist. Orbán hat mit seiner Äußerung eine Stimmung im Volk angesproch­en. Er hat ein Gespür für solche Themen, er nimmt sie auf, meist sogar als Erster.

 ?? FOTO: ENDERMANN ?? József Czukor (57),Ungarns Botschafte­r in Deutschlan­d.
FOTO: ENDERMANN József Czukor (57),Ungarns Botschafte­r in Deutschlan­d.

Newspapers in German

Newspapers from Germany