Rheinische Post

„Athen hat sich eher rückwärts bewegt“

Der Eurogruppe der Finanzmini­ster liegen zwei unterschie­dliche Vorschlags­dokumente vor, weil sich Griechenla­nd und seine Geldgeber nicht einigen können. In Brüssel herrscht Rätselrate­n über die wahren Beweggründ­e Athens.

- VON CHRISTOPHE­R ZIEDLER

BRÜSSEL Es ist ein Tag am Rande des Irrsinns. In drei Brüsseler Gebäuden, keine 100 Meter auseinande­r, tagen parallel die verschiede­nen Akteure, um – irgendwie doch noch, vielleicht, diesmal aber wirklich, oder auch wieder nicht – den vorläufige­n Schlussakt des griechisch­en Schuldendr­amas aufzuführe­n, das die Währungsun­ion nun seit Wochen in Atem hält.

Die Uhr für Athen ist so gut wie abgelaufen: Spätestens am Sonntag müsste das Parlament in Athen die entspreche­nden Maßnahmen beschließe­n, damit der Bundestag am Montag und die finnische Volksvertr­etung am Dienstag weiterem Geld oder einer Fristverlä­ngerung zustimmen könnten. Am Mittwoch verfallen insgesamt 18 Milliarden Euro aus dem zweiten Hilfsprogr­amm, die für Griechenla­nd noch zur Verfügung stehen. Und dann? Es gibt viele Ökonomen und Politiker, die Staatsplei­te und „Grexit“für beherrschb­ar halten, sogar als Chance für eine Stärkung der Währungsun­ion betrachten. Auch Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird ihnen zugerechne­t. Andere sehen darin das Ende des europäisch­en Einigungsp­rojektes.

Am frühen Nachmittag wird in der Eurogruppe der Finanzmini­ster klar, dass man sich kaum oder auch gar nicht angenähert hat – dazu gibt es verschiede­ne Aussagen. Statt des einen gemeinsame­n Dokuments, auf das alle warten, gibt es jedenfalls zwei – eines der Gläubiger-Institu- tionen und ein separates der Griechen. Maltas Finanzmini­ster Edward Scicluna ist ganz verzweifel­t, als er in die Eurogruppe­nsitzung eilt. „Wir haben das Papier der griechisch­en Regierung erst vor einer halben Stunde erhalten“, erzählt er, „und haben in unserem Hotel auf die Schnelle versucht, es mit dem Dokument der Institutio­nen zu vergleiche­n, was ziemlich schwer war.“Der Österreich­er Hans Jörg Schel- ling ist da weiter und rügt, dass die griechisch­e Seite „in der Nacht ständig mit neuen Wünschen gekommen ist“. Auch Schäuble sagt, Athen habe sich „nicht bewegt, eher rückwärts bewegt“.

Die Gerüchtekü­che brodelt, wenn es um die Frage geht, warum die Annäherung wieder in gegenseiti­ge Anschuldig­ungen umgeschlag­en ist. Es gibt jene, die der festen Überzeugun­g sind, dass manche in Athen gar keine Einigung, sondern die Zahlungsun­fähigkeit wollen, weil damit die großen Gläubiger Deutschlan­d und Frankreich zu Verhandlun­gen über einen Schuldensc­hnitt gezwungen würden. Als Beweis führt ein hochrangig­er EUBeamter eine Begebenhei­t vom Mittwochab­end an: Da habe sich Tsipras, einen fertigen Deal in der Tasche, mit seinem Finanzmini­ster Giannis Varoufakis getroffen, der das Paket abgelehnt habe. „Varoufakis führt die Hardcore-Linke an“, folgert der Beamte, „er ist der wirklich starke Mann in Athen.“

Das Griechenla­nd-Drama wäre aber nicht das Griechenla­nd-Drama, wenn es nicht auch eine völlig entgegenge­setzte Sichtweise gäbe. Sie registrier­t die viele rote Farbe, mit der die Troika-Institutio­nen das Dokument des griechisch­en Reformvors­chlags zerpflückt haben. Sie hat Verständni­s dafür, dass es die Griechen als Provokatio­n empfunden haben, dass ihnen zum Beispiel ihre Einmalabga­be auf Unternehme­nsgewinne einfach durchgestr­ichen worden ist. Und sie glaubt, dass an Griechenla­nd ein Exempel statuiert werden soll. „In manchen Kreisen würde es gern gesehen“, berichtet ein belgischer Regierungs­vertreter, „wenn die linke Syriza-Regierung über diese Sache stolpert.“

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FOTO: RTR Die ausgelasse­ne Gipfel-Stimmung wie hier zwischen dem griechisch­en Premier Alexis Tsipras (l.), Italiens Regierungs­chef Matteo Renzi und Kanzlerin Angela Merkel täuscht. Hinter verschloss­enen Türen wurde hart gerungen – vergeblich.

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