Griechischer Premier muss um Mehrheit fürchten
ATHEN (höh) Alexis Tsipras kämpft an zwei Fronten: In Brüssel rang der griechische Premier mit den Gläubigern gestern vergeblich um einen Kompromiss im Spar- und Reformprogramm. Derweil wächst in Tsipras Regierungspartei der Widerstand gegen das, was vor allem Abgeordnete vom kommunistischen und linksextremen Flügel des Linksbündnisses Syriza als Verrat an den Wahlversprechen der Partei betrachten. Damit die dringend benötigten Hilfsgelder fließen können, müsste Tsipras einen mit den Geldgebern vereinbarten Verhandlungskompromiss vom griechischen Parlament billigen lassen. Das müsste spätestens bis Sonntag geschehen.
Für Tsipras würde die Abstimmung zu einer Zitterpartie. Auf die Griechen kämen weitere Steuererhöhungen und Einschnitte bei den Renten zu. Alexis Mitropoulos, ein führender Syriza-Politiker und Vizepräsident des Parlaments, warnt, das Programm werde „Schwierigkeiten haben, durchs Parlament zu kommen“. Der Abgeordnete Giannis Michelogiannakis will gegen das Abkommen stimmen. „Die Maßnahmen sind ein Verbrechen“, sagt er. Auch bei Tsipras Koalitionspartner, der ultra-rechten Partei Unabhängi- ge Griechen (Anel), regt sich Widerstand. Der Anel-Abgeordnete Dimitris Kammenos publizierte auf seiner Facebook-Seite eine Montage, die das Eingangstor des Konzentrationslagers Auschwitz zeigt. Der Spruch „Arbeit macht frei“über dem eisernen Tor ist durch die Worte „Wir bleiben in Europa“ersetzt – jenes Motto, mit dem Tausende Griechen zuletzt für einen Verbleib in der Euro-Zone demonstrierten. Kammenos sagt, Europa habe die Griechen in einen „ökonomischen Holocaust“geführt.
Im Internetportal „Iskra“des linksextremen Syriza-Flügels „linke Plattform“hieß es, die Gläubiger ver- langten „die totale Unterwerfung und exemplarische Bestrafung des griechischen Volkes“. Mit ihren Zugeständnissen in den Verhandlungen habe die Regierung die Gläubiger „auf den Geschmack gebracht, weitere barbarische Maßnahmen zu verlangen“. Auch in Regierungskreisen wird immer häufiger der Verdacht geäußert, den Euro-Partnern gehe es bei den Verhandlungen nicht mehr um ein nachhaltiges Spar- und Reformkonzept. Das eigentliche Ziel sei ein „Regime change“, ein Machtwechsel in Athen. Anders sei nicht zu erklären, „dass die Gläubiger immer neue Forderungen nachschieben“, sagte ein Regierungspolitiker gestern.
Tatsächlich könnten die Tage der erst vor fünf Monaten gewählten Regierung gezählt sein. Wenn ein Abkommen mit den Gläubigern nicht die Zustimmung der Abgeordneten der Koalitionsparteien erhält, müsse man Neuwahlen herbeiführen, sagte ein Regierungssprecher. Zu einem Machtwechsel würde dies aber wohl nicht führen – im Gegenteil: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Public Issue für die SyrizaParteizeitung „Avgi“von der vergangenen Woche kommt die Regierungspartei auf 47,5 Prozent.