Rheinische Post

„Wimbledon war für mich schrecklic­h“

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DÜSSELDORF Ivan Lendl hat in seinem Leben als Profi viel erreicht. Er war der beste Tennisspie­ler in den 1980er-Jahren, war 270 Wochen die Nummer eins, hat drei Mal die French Open, drei Mal die US Open und zwei Mal die Australian Open gewonnen – nur in Wimbledon gelang ihm nie der Triumph. Ein Gespräch über seine Beziehung zum wichtigste­n Rasenturni­er der Welt, seine Jobsuche als Trainer und seine Leidenscha­ft für den tschechisc­hen Künstler Alfons Mucha. Herr Lendl, am Montag beginnt das Grand-Slam-Turnier in Wimbledon. Wie viele Portionen Erdbeeren mit Sahne haben Sie in Ihrem Leben schon gegessen? LENDL (lacht) Sie werden mir das jetzt bestimmt nicht glauben, aber noch überhaupt keine einzige! Ich mag das nämlich nicht besonders. Fasziniere­nder an Ihrer Antwort ist eigentlich, dass Sie so herzhaft lachen. LENDL Was haben Sie erwartet? In meinen Erinnerung­en habe ich nicht viele Bilder vor Augen, auf denen Sie lächeln. Und dann heißen Sie ja auch noch Ivan. Als Kind hatte ich Angst vor Ihnen. LENDL Das tut mir leid. Sie haben Recht. Ich habe mir Fotos von früher angesehen – auf den meisten blicke ich tatsächlic­h grimmig drein. Ich war einfach konzentrie­rt. Wie Sie hoffentlic­h merken, bin ich mittlerwei­le deutlich entspannte­r. Mit dem Namen ist das so eine Sache. Irgendwann hat mir einer den Spitznamen „Ivan, der Schrecklic­he“verpasst. Ich fand das nicht lustig. Viele haben sich nicht die Mühe gemacht, mich kennen lernen zu wollen. Sie sind 14 Mal in Wimbledon angetreten. Wie sehr schmerzt es noch heute, dass Sie dieses Turnier nie gewinnen konnten? LENDL Ich bin in allererste­r Linie stolz darauf, was ich dort erreicht habe. Denn die Platzverhä­ltnisse entsprache­n so gar nicht meinem Spielstil. Wimbledon war für mich schrecklic­h. Das Gras war höher. Du musstest ständig in die Offensive gehen, heute kann man das Spiel auch von der Grundlinie bestimmen. Das wäre besser für mich gewesen. Werden Sie als Zuschauer das Turnier in London verfolgen? LENDL Nein. Ich bin am Samstag in der Stadt für einen privaten Termin. Danach reise ich zurück nach Florida. Aber ich werde mir die Spiele natürlich im Fernsehen alle ansehen. Was soll ich bei einem Turnier, bei dem ich selbst nicht involviert bin? 1986 haben Sie im Finale gegen Boris Becker verloren. Haben Sie noch zu Ihm Kontakt? LENDL Keinen intensiven. Wir sehen uns bei zwei, drei Terminen im Jahr. Aber wir sind keine engen Freunde. Ich habe Boris als Sportsmann immer sehr respektier­t, er war ein großer Gegner. Das war aber ein anderer Lebensabsc­hnitt. In Deutschlan­d lechzt man nach einem neuen Tennisstar. Gibt es Grund zur Hoffnung? LENDL Zunächst einmal sollte man in Deutschlan­d nicht immer zurückblic­ken. Natürlich gibt es ein paar vielverspr­echende Talente. Aber es muss so viel zusammenko­mmen, damit daraus eine Weltkarrie­re wird. Bei den Herren ist es derzeit düster, bei den Damen gibt es viele starke Spielerinn­en. Ich habe 2013 Sabine Lisicki vor ihrer Finalniede­rlage in Wimbledon in der Umkleideka­bine gesehen. Sie weinte so sehr. Der Druck war einfach zu groß. Würde sie es nochmal bis ins Endspiel schaffen, wird ihr diese Erfahrung sicher helfen. Sie hat auf jeden Fall das Zeug dazu. Was machen Sie derzeit beruflich? LENDL Gute Frage. Aktuell versuche ich, wieder richtig fit zu werden. Ich hatte ein paar gesundheit­liche Probleme, bin am Rücken operiert worden. Ich versuche jetzt aber wieder, mehr Tennis zu spielen. Sie haben 1994 mit 34 Jahren Ihre Karriere beendet und danach fast vollständi­g mit Tennis abgeschlos­sen. Nun sind Sie 55, arbeiten wieder als Trainer und spielen bei Schaukämpf­en mit. Warum? LENDL Weil ich jetzt endlich wieder den Kopf für das Spiel frei habe. Schon in den letzten Jahren auf der Tour hatte ich enorme Schmerzen im Rücken. Ich konnte nicht mehr klar denken. Das war brutal. Danach habe ich einfach andere Prioritäte­n gesetzt. Ich habe eine große Familie. Eine Frau, fünf Töchter. Der Rücken hat sich erholt, die Kinder sind aus dem Haus. Ich habe wieder Zeit und Lust auf Tennis. Ich mache es, weil es mir Spaß macht, nicht, weil ich es müsste. Das ist ein unglaublic­h gutes Gefühl. Sie haben von 2012 bis 2014 den Schotten Andy Murray trainiert – und ihn unter anderem zum Triumph in Wimbledon geführt. Warum haben Sie das Engagement beendet? LENDL Weil ich ihm nicht geben konnte, was er von mir wirklich gebraucht hätte: mehr Zeit. Wir waren wirklich sehr erfolgreic­h zusammen, aber um sich weiterzuen­twickeln, muss man nicht zurückbli- cken, sondern nur nach vorne. Ich wollte meine Familie nicht zu sehr vernachläs­sigen. War es für Sie ein komisches Gefühl, dass er sich in der Französin Amélie Mauresmo für eine Frau als Nachfolger­in entschiede­n hat? LENDL Überhaupt nicht. Wichtig ist nicht das Geschlecht, sondern die Frage, ob man Ahnung hat von dem, was man tut. Und ob es ein Vertrauens­verhältnis zwischen Spieler und Trainer gibt. Andy ist ja vorher von seiner Mutter Judy betreut worden. Ich war mir ziemlich sicher, dass es funktionie­ren wird. Können Sie sich eine Rückkehr als Trainer vorstellen? LENDL Auf jeden Fall. Es gab ja auch schon einige konkrete Anfragen. Tomas Berdych zum Beispiel wollte mich engagieren. Es hat aber am Ende nicht gepasst. Es geht für mich nicht darum, irgendeine­n TrainerJob zu bekommen. Der Spieler muss zu mir passen, er muss mit meiner Art zu trainieren, einverstan­den sein. Wir müssen einander vertrauen. Es gibt bei mir keine halben Sachen. Ist es für manche Spieler vielleicht ein Problem, dass Sie, Herr Lendl, noch immer größer sind als sie selbst? LENDL Keine Ahnung, was anderen durch den Kopf geht. Es geht nur darum, dem Spieler zu helfen und nicht mein Ego zu befriedige­n. Gibt es denn in der aktuellen Spielergen­eration Profis, die Sie gerne trainieren würden? LENDL Immer, wenn ich im Fernsehen eine Partie sehe, gibt es Typen, bei denen ich mir eine Zusammenar­beit anhand ihres Spielstils vorstellen kann. Aber ich bin nicht aktiv auf der Suche. Das Interesse sollte zunächst vom Spieler ausgehen. Sind die Spieler überhaupt hart genug für einen Ivan Lendl? LENDL Sicher. Die meisten Spieler arbeiten hart. Wer sich nur auf sein Talent verlässt, wird sich in der Weltspitze nicht lange halten können. Können Sie die großen Veränderun­gen im Tennis von den 1980er-Jahren bis heute erklären? LENDL Es ist wie in fast jedem anderen Sport physisch anspruchsv­oller geworden. Heute stehen da perfekt ausgebilde­te Athleten auf dem Platz. Sie sind schneller und stärker. Das Training ist komplett anders, viel intensiver als zu meiner Zeit. Ich bekomme sehr oft die Frage gestellt, ob ich gegen einen Spieler aus den Top5 eine Chance hätte. Natürlich nicht! Ich würde gnadenlos abgeschoss­en. Das Spiel vor 30 Jahren kann man mit dem heutigen nicht vergleiche­n. Es wird immer wieder darüber geklagt, dem Tennis würden heutzutage die großen Charaktere fehlen. Sehen Sie das auch so? LENDL Die Typen sind da. Doch es gibt ein Regelwerk, das ihnen jegliche Bewegungsf­reiheiten nimmt. Das ist schade. Es wird zu viel kaputt reguliert. Im Umkleidera­um sieht es aber ganz anders aus. Würde es nicht Sinn machen, den Umkleidera­um wie in anderen Sportarten für Kameras zu öffnen? LENDL Nach dem Spiel fände ich das eine gute Idee. Es sollte nur niemand auf den Gedanken kommen, einen Spieler in seiner Vorbereitu­ng vor einem Spiel zu stören. Reden wir über Politik. LENDL Ein schwierige­s Thema. Da rede ich nicht so gerne drüber. Sie sind 1960 in der Tschechosl­owakei geboren, seit 1992 haben Sie einen amerikanis­chen Pass. Wie blicken Sie heute auf Europa? LENDL Sehr entspannt. Es gibt keinen perfekten Ort auf dieser Welt. Nicht in den USA, nicht in Europa. Es gibt auf der Welt zurzeit sehr viel Unruhe. Das ist eine beängstige­nde Entwicklun­g. Sie gelten als leidenscha­ftlicher Kunstsamml­er. Wie viele Originale hängen bei Ihnen in Ihrem Anwesen in Florida an den Wänden? LENDL Wer hat Ihnen denn das erzählt? In Wahrheit verstehe ich überhaupt nichts von Kunst. Wirklich gar nichts. Nur mit dem Werk von Alfons Mucha kenne ich mich ein wenig aus. Ich sammle seine Poster. Vor ein paar Jahren habe ich seinen Sohn getroffen, er hat mir viel über die Arbeit seines Vaters erzählt. Wer gewinnt Wimbledon? Was wird aus Rafael Nadal? Antworten von Ivan Lendl im Video unter

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Nur auf Rasen in Wimbledon nicht gekrönt: Ivan Lendl, geboren am 7. März 1960 in Ostrava, belegt mit insgesamt 94 Turniererf­olgen im Einzel den zweiten Platz in der ewigen Bestenlist­e hinter Jimmy Connors (109).
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FOTO: REICHWEIN Termin in Düsseldorf: Sportredak­teur Gianni Costa mit Lendl.

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