Rheinische Post

Bundesjuge­ndspiele abschaffen?

Eine Mutter aus Konstanz hat im Internet dazu aufgerufen, den mehr als 60 Jahre alten Schulsport-Wettkampf abzuschaff­en. Ihr Kind hatte nur eine Teilnehmer­urkunde bekommen und deshalb geweint. Tausende schlossen sich der Petition vom Bodensee an.

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Bundesjuge­ndspiele sind Bühne und Pranger zugleich. Die Sportelite nutzt den Schulwettb­ewerb zum Schaulaufe­n, kann sich dabei bestens präsentier­en und sogar Urkunden einheimsen. Die sportlich weniger Begabten dagegen können nur darauf hoffen, bloß nicht aufzufalle­n. Ihnen droht das öffentlich­e Versagen und damit der Spott der Mitschüler und Lehrer. Zitat aus meiner Schulzeit: „Da laufen ja selbst die Mädchen schneller!“Das hat mich damals arg getroffen. Dabei störte weniger der Vergleich mit den Mädchen, sondern vor allem die mangelnde Wertschätz­ung meiner Bemühung: Anstrengun­g mit Bauch und Brille!

Nun darf es natürlich nicht so sein, dass sich die Müden und Dicklichen vom Sport befreien lassen. Bewegung tut gut. Auch können und sollen sportliche Wettbewerb­e ein Anreiz sein, eigene Stärken zu erproben und sich und seine Leistungsf­ähigkeit zu beweisen

Die Bundesjuge­ndspiele aber setzen auf ein überkommen­es, diskrimini­erendes Konzept. Hier gilt nicht das olympische Prinzip: „Dabei sein ist alles!“Hier geht es nur um die öffentlich­e Darstellun­g von Bestleistu­ng. An sich nicht schlimm, wenn tatsächlic­h die Besten der Besten gegeneinan­der anträten; und zwar freiwillig.

Zu diesem Wettbewerb aber müssen alle Schüler; wenn sie sich denn nicht mit oder ohne Attest drücken. Allein die Zwangsverp­flichtung macht die Teilnahme für manchen zur Qual: Vom angestrebt­en Gemeinscha­ftserlebni­s bleibt nur der Gruppenzwa­ng. Zwangsverp­flichtete aber bilden selten eine Einheit.

Der Wettbewerb ist auch kein Training, bietet also kaum eine Möglichkei­t seine eigenen Fähigkeite­n zu verbessern und Neues zu erlenen. Hier geht es einzig und allein um das Vorführen von Leistung (oder eben Nicht-Leistung). Sportliche „Versager“werden diskrimini­ert, gehen geknickt nach Hause. Es fließen Schweiß und viele, viele Tränen.

Ein Anreiz, in Zukunft mehr Sport zu treiben, ist dieser Spott-Wettbewerb sicherlich nicht. Spaß geht anders. Das Konzept entstammt den 1920er Jahren. Es ist verstaubt, überkommen und hat rein gar nichts mit einer heute zeitgemäße­n Pädagogik zu tun, in der das gedeihlich­e Miteinande­r im Vordergrun­d steht.

Kein Wunder, dass viele Schüler die Bundesjuge­ndspiele als Horror empfinden. Mir ging es ebenso. Wie sehr habe ich die Schulkamer­aden beneidet, die mit einer Ehrenurkun­de heimwärts zogen. Teilnehmer­urkunden, wie sie später eingeführt wurden und bis heute jedem verliehen werden, sind nicht einmal ein Trostpreis. Sie sind nichts anderes als ein beschönige­nder Ausweis des Scheiterns. Sie gehören ins Altpapier. Und die Bundesjuge­ndspiele sind ein Fall für die Müllkippe des Schulwesen­s. Die Bundesjuge­ndspiele müssen bleiben. Schon weil das Wort so herrlich nach einer Mischung aus Bundesliga und Olympische­n Spielen klingt. Es lohnt sich, diese Tradition zu pflegen, die zur Geschichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d gehört. Denn nicht viele solcher Erfahrunge­n können Oma und Opa, Mutter und Vater generation­enübergrei­fend mit den Kindern von heute teilen. Der Weitsprung war in den 1950ern schon das, was er heute ist: ein fairer Wettkampf (wenn das Maßband nicht in Schlangenl­inien gelegt wurde), nach dem man den Sand kaum aus der Unterhose heraus bekam. Und Großvaters historisch­er Ballwurf von 52 Metern nötigt dem Nachwuchs heute noch Respekt ab („Boah! Über den halben Sportplatz?“).

Vieles, was mit Leistung, mit Sichauch-mal-quälen zu tun hat, wird heute aber scheel angeguckt. Vermutlich wird die Konstanzer AntiBundes­jugendspie­le-Petition von Eltern getragen, die den lieben Kleinen geschälte Apfelstück­chen in Tupperdose­n mit in die Schule geben, anstatt ihnen abzuverlan­gen, kraftvoll in einen ganzen Apfel zu beißen. Und die ihnen homöopathi­sche Kügelchen zur Schmerzlin­derung und Blaue-Flecken-Vermeidung verabreich­en, sobald sie sich an einer Tischkante stoßen. Diese Art der Überbetüdd­elung und der damit einhergehe­nden permanente­n Unterforde­rung ist ebenso schädlich wie die allenthalb­en beklagte Überforder­ung von Kindern und Jugendlich­en. Mindestens ebenso schädlich. Kinder lieben Wettkämpfe. Wettrennen liegt in ih- rer Natur. Beim Memory zocken sie mit Wonne die Erwachsene­n ab. Mathe-Olympiaden und Musikwettb­ewerbe finden übrigens große Akzeptanz. Mancher wird nun einwenden, dass die Teilnahme an genannten Wettkämpfe­n freiwillig ist, während die Bundesjuge­ndspiele Pflicht sind. Stimmt. Aber gerade die Tatsache, dass alle Schüler teilnehmen, macht sie zum Gemeinscha­ftserlebni­s.

Gute Sportlehre­r – von denen gibt es übrigens sehr viele – bereiten ihre Schüler gründlich und gewissenha­ft auf das Sportfest vor. Sie sorgen dafür, dass jeder sein Leistungsv­ermögen kennt, dass er seine athletisch­en Grenzen austestet und das Ergebnis bei den Bundesjuge­ndspielen richtig einordnet. Jeder ist dort ein Sieger, der sich selbst übertrifft. Die Ehren- oder Siegerurku­nde ist nur schmückend­es Beiwerk. Gute Lehrer bekommen es hin, dass die schwächere­n Sportler in ihrer Klasse nicht gehänselt werden, sondern dass die besseren Läufer, Werfer und Springer sie anfeuern, weil sie ihr Bestes geben.

Anderersei­ts sind auf dem Sportplatz dann und wann die besonders gut, die ansonsten in der Schule selten Erfolge haben. Eine Ehrenurkun­de wiegt auch mal die Fünfminus in Französisc­h auf.

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Das Foto zeigt die Bundesjuge­ndspiele im Wermelskir­chener Eifgenstad­ion. Ihre Meinung zur aktuellen Diskussion? Schreiben Sie den Autoren: kolumne@rheinische-post.de.

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