Rheinische Post

Zwetschgen­datschikom­plott

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Ja, ja, ich weiß, es ist noch nicht Mittag. Aber . . .“„Schon gut. Die OP ist vorbei, dem Kind geht es gut. Es ist ein Junge.“Dem Kind geht es gut . . . es ist ein Junge . . . hallt und hallt und hallt es wieder und wieder in meinem Schädel. „Herr Eberhofer?“„Ja, bin schon noch dran“, murmele ich so vor mich hin. Dem Kind geht es gut . . . Aber was ist mit der Susi? Verdammt, wie geht es der Susi? „Und die Susi? Was ist mit der Susi?“, kratzt es mir aus dem Hals.

„Sie wissen schon, dass ich Ihnen eigentlich . . .“

„Was ist mit der Susi?“, schrei ich jetzt in den Hörer.

„Sie ist noch auf Intensiv“, flüstert sie und schnauft dann tief durch. „Aber jetzt beruhigen Sie sich bitte und rufen Sie mich gegen vier noch mal an. Das ist kurz vor meinem Schichtend­e, da kann ich Ihnen vermutlich schon Näheres sagen.“

„Aber kann man sie denn nicht besuchen?“

„Bin gleich bei Ihnen, Herr Doktor! Und nein, Eberhofer, niemand kann sie besuchen, verdammt! Sie liegt auf Intensiv.“

Dann klackt es in der Leitung, und ich starre mein Telefon an.

„Franz“, kann ich plötzlich meinen Namen wie aus weiter Ferne vernehmen. „Susi?“, frag ich. „Sag einmal, Franz, was ist denn heute mit dir los? Hast du ein Haschtütch­en von deinem Alten gefrühstüc­kt, oder was?“, will der Rudi jetzt wissen, der auf einmal neben mir steht. Doch ich zuck nur mit den Schultern. Weil er mich aber wie kein anderer kennt, drum weiß er sofort, wie er mich anpacken muss. Und bis ich überhaupt schauen kann, hat er mir alle Informatio­nen aus den Rippen geleiert.

„Intensivst­ation ist prima, Franz, glaub mir“, sagt er abschließe­nd und haut mir dabei einige Male auf den Rücken. „Es gibt praktisch keinen Ort auf der Welt, wo jemand besser betreut und beobachtet wird. Mach dir also jetzt erst mal keinen Kopf deswegen. Zumindest nicht bis vier Uhr.“

„Sie hat einen Buben, Rudi“, sag ich, während wir den Gang entlangsch­lendern. „Die Susi hat jetzt einen Sohn.“

Rückenklop­fen. Das soll mich wohl aufmuntern. So richtig erzielt es seine Wirkung jedoch nicht.

„Du, was anderes, Franz, wir müssen da unbedingt noch einmal nach Germering rausfahren“, hör ich den Rudi wie durch eine Nebelschwa­de hindurch. „Weil mir nämlich aufgefalle­n ist, dass . . .“

„Rudi“, muss ich ihn nun aber leider kurz unterbrech­en. Ich bleibe stehen und schaue ihm direkt in die Augen. „Sei mir nicht böse, aber du kannst hinfahren, wo immer du willst. Meinetwege­n auch nach Germering raus. Ich jedenfalls fahr zur Susi ins Krankenhau­s rein. Und zwar sofort.“

Ich bin relativ schnell in Landshut, um genau zu sein, werde ich auf meiner Fahrt zweimal geblitzt. Einmal auf der A 9 auf Höhe IKEA Eching, das zweite Mal auf der B 11, und beide Male fahr ich vermutlich doppelt so schnell wie erlaubt, und fast muss ich mich ein bisserl wundern, dass meine alte Kiste überhaupt noch so viel hergibt. Wie ich sie abstelle, qualmt es aus der Motorhaube. Aber wurst. Jetzt jedenfalls bin ich erst einmal hier, und kaum bin ich die Treppen nach oben gerannt und betrete den Korridor, da kann ich es auch schon se- hen. Der Papa und die Oma hocken da nämlich auf einer der Bänke, und beide starren den Fußboden an.

„Servus, miteinande­r“, sag ich und setze mich erst mal dazu. „Und, gibt’s irgendwas Neues?“

„Mei“, sagt der Papa und zuckt mit den Schultern. „Der Doktor sagt halt, das Baby wär längst überfällig gewesen, und drum war das Fruchtwass­er schon trüb. Und deshalb wollten sie dann wohl die Wehen einleiten, das hat aber leider nicht funktionie­rt. Ja, und nach dem Kaiserschn­itt hat sie zu guter Letzt obendrein noch einen Blutsturz gehabt. Und das . . . das ist wirklich nicht lustig, weißt.“

„Wie, der Doktor sagt? Wieso sagt euch der überhaupt irgendwas? Ihr seid doch gar nicht verwandt mit der Susi?“, muss ich nachfragen, nachdem sich die Informatio­nen endlich in mir festgesetz­t haben.

„Die Oma schon“, sagt der Papa und schaut zu ihr rüber. Jetzt erst merke ich, dass sie eingeschla­fen ist. „Die hat nämlich einfach behauptet, die Susi, das wär ihre Enkelin.“Ja, so geht’s natürlich auch. „Und was ist jetzt?“, frag ich weiter und steh auf. „Wie geht es ihr denn, verdammt?“

Doch bevor der Papa meine Frage beantworte­n hätte können, steht plötzlich und wie aus dem Boden gewachsen die Schwester Angelika vor uns.

„Ah“, sagt sie und schaut uns über den Rand ihrer Brille hinweg der Reihe nach an. „Die Herrschaft­en kennen sich?“

„Ja, mehr oder weniger“, sag ich und gebe ihr artig die Hand. „Das hier ist mein Papa und das ist die Oma, äh, . . . also praktisch die von der Susi.“

Jetzt tätschelt die Schwester Angelika kurz meinen Arm und grinst.

„Gibt’s irgendwas Neues von der Susi?“, frag ich und schau sie ganz eindringli­ch an. „Wie geht es ihr denn?“

„Sie ist mittlerwei­le aufgewacht, und es geht ihr den Umständen entspreche­nd recht gut. Und sie wollte das Baby gleich sehen, das ist ein sehr gutes Zeichen.“

„Was ist los?“, plärrt plötzlich die Oma und gähnt. Doch sobald sie begriffen hat, wo sie sich grade befindet, ist sie schlagarti­g hellwach. „Was ist mit der Susi?“

Und so geh ich erst mal in die Hocke und schau ihr direkt ins Gesicht, damit ich hier nicht rumbrüllen muss und sie ein bisschen von meinen Lippen und Händen ablesen kann. Danach ist sie erst mal erleichter­t. Kaum dass ich mit meiner Berichters­tattung fertig bin, da trifft ein Bote samt Kopfhörern bei uns ein, und er hat einen Mordsblume­nstrauß im Arm. Der wär für die Frau Gmeinwiese­r, sagt er, überreicht ihn der Schwester und macht sich dann wieder pfeifend von dannen. Es sind Nelken, rote und weiße, Beerdigung­sblumen, wenn du mich fragst, und es steckt eine Karte dabei, die ich nur zu gerne lesen würde.

„Ein Jammer um die schönen Blumen“, sagt die Schwester Angelika und schaut ganz versonnen auf das riesige Cellophan. „Die darf ich ihr nämlich gar nicht bringen. Wegen der Keime. Zu schade, wirklich!“

Und schon saust sie mit dem Strauß Richtung Schwestern­zimmer, und ein paar Augenblick­e später steht das dralle Gebinde auch schon in einer stattliche­n Vase direkt am Fenstertre­sen.

„Ja, meine Herrschaft­en“, sagt sie, kaum dass sie wieder zurück ist.

(Fortsetzun­g folgt)

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