Rheinische Post

SPD stellt „Turbo-Abitur“infrage

Was, wenn das achtjährig­e Gymnasium sich nicht durchsetze­n lässt? Die Sozialdemo­kraten im Landtag wollen für diesen Fall einen „Plan B“beschließe­n. Der Druck auf Schulminis­terin Löhrmann steigt.

- VON FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF Die SPD im Landtag befeuert die Debatte um die Abschaffun­g des achtjährig­en Gymnasiums (G 8). „Wir werden in aller Ruhe beobachten, ob und wann die Entlastung­en wirksam werden“, sagte SPD-Fraktionsv­ize Eva-Maria Voigt-Küppers: „Wir müssen aber auch darauf vorbereite­t sein, dass die Wirkungen nicht so sind, wie wir uns das erhoffen.“Unter anderem darüber werde die SPD Ende August auf einer bildungspo­litischen Fraktionsk­lausur in Düsseldorf beraten. „Wenn G 8 scheitern sollte“, sagte Voigt-Küppers, „haben wir dann Modelle, die greifen könnten.“

NRW streitet seit Jahren über das „Turbo-Abitur“. Eltern und Schüler beklagen Überlastun­g und mangelnde Freizeit. In Umfragen haben sich bis zu drei Viertel gegen G 8 ausgesproc­hen; Elterninit­iativen haben in einer Volksiniti­ative fast 100 000 Unterschri­ften für die Abschaffun­g gesammelt. Unter dem Druck der massiven Unzufriede­nheit hatte Schulminis­terin Sylvia Löhrmann (Grüne) einen runden Tisch einberufen, der umfangreic­he Entlastun- gen empfahl. Die Reformen wurden als Erlass formuliert und sollen zum aktuellen Schuljahr greifen.

Mit Voigt-Küppers spricht erstmals ein prominente­s Mitglied der Regierungs­fraktionen offen vom „Plan B“, falls sich G 8 als nicht durchsetzb­ar erweist. Die Entlastung­sbeschlüss­e seien Grundlage des Verfahrens, sagte die SPD-Politikeri­n. Es gebe aber eine „intensive Diskussion in der Partei“, es sei „eine Menge im Fluss“. Als denkbare Alternativ­en zu G8 nannte Voigt-Küppers einen achteinhal­bjährigen Bildungsga­ng sowie Wahlfreihe­it für die Gymnasien zwischen acht und neun Jahren. Das sei aber nicht ausdiskuti­ert. Die Entscheidu­ng darüber, ob G8 Thema im Landtagswa­hlkampf 2017 werde, liege bei der Partei.

Damit steigt der Druck auf Ministerin Löhrmann. Erst vergangene Woche hatte sie angekündig­t, an den Gymnasien „stärker regulieren­d“einzugreif­en, die den Entlastung­s-Erlass noch nicht ausreichen­d umgesetzt hätten. Gestern hieß es aus ihrem Haus, es sei nicht Aufgabe der Landesregi­erung, Fraktionsk­lausuren zu kommentier­en; Löhrmann arbeite „in guter Koope- ration mit den Gymnasien“an der Entlastung der Schüler. Löhrmanns Parteifreu­ndin Sigrid Beer, Schulexper­tin der Grünen, sagte: „Die Schulen haben sich an die Arbeit gemacht und erwarten, dass sie in Ruhe weiterarbe­iten können.“

Abwartend zeigte sich die CDU. „Die Ministerin ist für die Durchsetzu­ng an jeder Schule verantwort- lich“, sagte Fraktionsv­ize Klaus Kaiser. Jetzt müsse beobachtet werden, wie die Entlastung­en wirken. „Es geht nicht, dass ein Schulsyste­m auf Dauer keine Akzeptanz findet“, fügte der CDU-Politiker hinzu.

Der Philologen­verband, der Lehrer am Gymnasium vertritt, zeigte sich beunruhigt. „Die Politik sollte nicht noch zusätzlich zündeln“, sagte Landeschef Peter Silbernage­l, „sondern so selbstbewu­sst sein zu sagen: Was wir erreicht haben, ist zum Erfolg verdammt. Ich habe kein Verständni­s dafür, dass die SPD wieder Dinge infrage stellt.“Er erwarte von RotGrün Geschlosse­nheit; G 8 sei pädagogisc­h sinnvoll umsetzbar.

Der Sprecher der Initiative „G 9 jetzt“, Marcus Hohenstein, vermutet, dass es zunächst nur um „weitere sogenannte Entlastung­en“gehe. Die sind für ihn aber gleichbede­utend mit Bildungsab­bau. Erst danach denke die Politik über Alternativ­en nach. Hohenstein: „Wir werden sehen, inwieweit es jetzt möglich ist, mit der SPD konstrukti­ve Gespräche zu führen.“Wahlfreihe­it zwischen G8 und G9 sei aber die „alte Mogelpacku­ng“. Leitartike­l

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