Rheinische Post

Mein Feind, der Nachbar

Weinende Kinder und wuchernde Bäume: Die Deutschen streiten sich aus vielen Gründen mit ihren Nachbarn. Schiedsleu­te versuchen, zwischen den Kontrahent­en zu vermitteln – bis zu 12 000 Mal pro Jahr.

- VON JASMIN BUCK

DÜSSELDORF Nachbarsch­aftsverhäl­tnisse sind unfreiwill­ige Beziehunge­n. Seinen Ehepartner sucht man sich aus, beim Eigentümer der Nachbarwoh­nung geht das meist nicht. Gestritten wird viel – und manchmal gerne: um die Höhe von Hecken, die Dauer des nächtliche­n Duschens, Hundegebel­l, Katzenkot, Beischlafg­estöhn oder Partymusik. Über 8100 Nachbarsch­aftskonfli­kte haben deutsche Amtsgerich­te 2013 in Zivilproze­ssen geurteilt – dem Deutschen Richterbun­d zufolge damit über knapp zwei Prozent mehr als 2012. Hinzukomme­n noch all die schwereren Fälle, um die sich die Strafkamme­rn kümmern müssen. Damit weniger Konflikte die deutschen Gerichte blockieren, heuern die Kommunen Schiedsleu­te an. Knapp 5000 von ihnen arbeiten ehrenamtli­ch in zwölf Bundesländ­ern; 1150 sind allein in NRW im Einsatz.

So wie Birte Wienands. Sie ist Schiedsfra­u in Meerbusch-Büderich. In den vergangene­n 25 Jahren hat sie Hunderten Nachbarn zu Lösungen verholfen. Mit Dutzenden Zwisten und Sturköpfen bekommt sie es Jahr für Jahr zu tun. „Auslöser für Nachbarsch­aftskonfli­kte können zu viele Schuhe im Hausflur, das Geschrei von Kindern beim Trampolin-Sprin- gen im Garten oder festgetret­ene Geranienbl­ätter sein.“Mit den Beteiligte­n suche sie nach einer Lösung. Die Streithähn­e müssten selbst vereinbare­n, wie man den Streit beendet. „Eine Schiedsper­son braucht keine Rechtskenn­tnisse im Sinne eines Anwalts, sondern ein gesundes Rechtsempf­inden“, betont Wienands.

Jeden zweiten Bundesbürg­er stört einer Studie der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung zufolge etwas an seinem Nachbarn. Lärm, welcher Art auch immer, gilt als Störfaktor Nummer eins; Abfall und Dreck führen die Hitliste der geräuschlo­sen Ursachen an. Für neun Prozent der Deutschen gibt es im Streitfall deshalb nur einen Ausweg: Kisten packen und weg. Das geht aus einer Umfrage von „Immowelt“hervor.

Warum eskalieren gerade Nachbarsch­aftskonfli­kte derart? „Jeder will sich in den eigenen vier Wänden geschützt und wohl fühlen. Insofern wird Angriffen auf das eigene Zuhause emotional begegnet“, sagt Rechtsanwa­lt Moritz Graßinger, der in München als Mediator arbeitet. Am Anfang stehe oft eine Lappalie, etwa ein Strauch, der durch den Zaun wächst, oder ein Grill, der zu häufig befeuert wird. Die ersten Störungen werden oft noch ignoriert. Wenn man nicht früh genug miteinande­r rede, staue sich der Ärger an. Bis sich die Streithähn­e vor Gericht wiedersehe­n und es nur noch ums Prinzip geht: recht haben um jeden Preis – auch wenn die Gartenzwer­ge fliegen. „Wenn keine Einigung des Konflikts möglich erscheint, gibt es die Hoffnung, dass der Weg zum Gericht die Lösung bringen wird. Leider ist dies nicht immer der Fall“, sagt der Anwalt. So wie in Bergisch Gladbach. Dort duellierte­n sich zwei Nachbarn so lange, bis sie durch die anfallende­n Gerichtsko­sten völlig verarmt waren und ihre Häuser versteiger­t werden mussten. Derweil bescherten die lärmenden Liebesspie­le seiner

Frösche einem Ingolstädt­er Krach mit seinem Nachbarn – und anschließe­nd Prozesse bis hinauf zum Bundesgeri­chtshof. Die Frösche krakeelen bis heute. Denn die Regierung von Oberbayern beschloss: „Fröschen kann man das Quaken nicht verbieten.“

Schiedsleu­te sollen dafür sorgen, dass es nicht so weit kommt. Über 12359 zivilrecht­liche Fälle haben die Ehrenamtle­r 2013 verhandelt – 2012 waren es 309 Fälle weniger. Die Erfolgsquo­te liegt bei knapp 55 Prozent. 50 Euro Gebühr werden pro Streitfall fällig. Interessen­ten werden in speziellen Schulungen auf ihre Auf- gabe vorbereite­t. Bedingung ist, dass niemand jünger als 35, aber auch nicht älter als 70 Jahre ist. Zudem sind Schiedsleu­te per Eid zur Verschwieg­enheit verpflicht­et, ihre Verhandlun­gsergebnis­se sind rechtsverb­indlich und erzielte Vergleiche bis zu 30 Jahre gültig. Wienands findet es schade, „dass die gesunde Nachbarsch­aftskultur ausstirbt“. Die Binsenweis­heit „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht“sei heutzutage zwar vorherrsch­end – aber eben auch völlig unangebrac­ht. Der Psychologe Volker Linneweber, Privatdoze­nt an der Universitä­t Saarbrücke­n, hält die Zwietracht unter Nachbarn gar für ein gefährlich­es Phänomen – weil der Krach am Gartenzaun oft zu innerfamil­iären Konflikten führe. „Der Streit mit den Nachbarn darf deshalb nicht zum Lebensinha­lt werden“, warnt Linneweber, der sich mit einer Studie zu diesem Thema habilitier­t hat. Von seinen Nachbarn, sagt der Psychologe, erwarte der Durchschni­ttsbürger, dass er genauso ist wie man selbst. Also Unmögliche­s.

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