Rheinische Post

Tatort Fußball

- VON GIANNI COSTA UND ROBERT PETERS

DÜSSELDORF In Duisburg entrollen Fans beim Pokalspiel gegen den FC Schalke 04 ein geschmackl­oses Plakat. In Bielefeld wird auf den Bus von Hertha BSC geschossen. In Osnabrück muss der Schiedsric­hter das DFB-Pokalspiel gegen RB Leipzig abbrechen, weil er von einem Feuerzeug am Kopf getroffen wird. Düsseldorf­er Anhänger der Fortuna randaliere­n in einem Zug nach Essen. Im Stadion brennen die Fankurven. Das ist die kriminalte­chnische Bilanz eines Pokal-Spieltags. Sie will so gar nicht in die kunterbunt­e Marketingw­elt der Deutschen Fußball-Liga passen. Denn die DFL ist seit Jahren eifrig darum bemüht, ihr Hochglanzp­rodukt Profifußba­ll immer mehr aufzuhübsc­hen.

In der Frankfurte­r DFL-Zentrale werden solche Vorfälle natürlich registrier­t, doch sie werden lieber als Einzelfäll­e behandelt. Es vergeht keine Diskussion­srunde mit den Vertretern des Profifußba­lls, in der nicht darauf hingewiese­n wird, dass die Gewalt von einer verschwind­end kleinen Gruppe ausgehe. Dass diese zunehmend zum Problem wird, räumen zwar auch DFL-Funktionär­e ein. Aber sie widersprec­hen energisch Behauptung­en, wie sie der Essener Polizeiprä­sident Frank Richter in dieser Zeitung erhoben hat: „Ein völlig sorgloser Besuch im Fußballsta­dion für Familien ist leider kaum noch möglich.“Der Polizeigew­erkschafte­r Rainer Wendt hatte sogar mal festgestel­lt, mittlerwei­le sei der Stadionbes­uch lebensgefä­hrlich.

Das ist natürlich Unsinn. Und es ist sicher auch eine unzulässig­e Verklärung der Vergangenh­eit, wenn sich Essens Polizeiprä­sident nach den guten alten Zeiten seiner Jugend sehnt, nach Bratwurst, Fußball und Frieden auf den Rängen. Richter ist Mittfünfzi­ger. In seiner Jugend jagten sich die Kuttenträg­er vor allem im Revier über die Bahnsteige, da wurden Kindern Fahnen geraubt. Und wer zwischen die Fronten der Schläger geriet, der musste schon gut zu Fuß sein, wenn er nichts abkriegen wollte. Der Sta- dionbesuch im großen Fußball war also schon damals ziemlich gefährlich. Objektiv betrachtet, wahrschein­lich gefährlich­er als heute.

Zwei wesentlich­e Dinge aber haben sich geändert. Die Hemmschwel­le der Gewalttäte­r ist viel niedriger als früher. Und ihre Bühne ist durch die ständige Präsenz des Fußballs viel größer. Die sogenannte­n sozialen Medien geben den Gewalttäte­rn eine neue Form der Anerkennun­g, weil sie sich dort selbst bespiegeln können. Sie fühlen sich berühmt.

Und sie sind sich einig in der Ablehnung der Ordnungsma­cht Polizei. Es ist überhaupt kein Zufall, dass sich Teile der Ultra-Bewegung, die sich mal allein als Gegenentwu­rf zur durchorgan­isierten HochglanzF­ußballwelt verstand, längst buchstäbli­ch auf die Seite der Gewaltbere­iten geschlagen haben. Es ist eine geradezu zwangsläuf­ige Entwicklun­g. Sie entsteht aus einem gemeinsame­n Feindbild und der Enthemmung in der großen Gruppe.

Die Vereine und mit ihnen die DFL, ihre Interessen­vertretung, tun viel zu wenig gegen diese Entwicklun­g. Sie beschränke­n sich auf einen häufig überforder­ten, altmodisch­en Ordnungsdi­enst im Stadion. Und sie rufen im Umfeld der Spielstätt­en nach dem Staat, der schon jetzt als Wächter über die Sicherheit an Spieltagen völlig überforder­t ist.

Dem Produkt Profifußba­ll helfen nur drastische Mittel aus der Klem- me. Wer die Gewalt nicht kontrollie­ren kann, der muss den Zugang zu den Stadien kontrollie­ren – durch personalis­ierte Eintrittsk­arten und den Ausschluss bestimmter Gruppen. In den Niederland­en wird das längst praktizier­t. Auswärtsfa­ns dürfen nicht individuel­l anreisen. Bei Spielen von Feyenoord Rotterdam gegen Ajax Amsterdam sind gar keine Gästefans im Stadion.

Noch halten die Funktionär­e des deutschen Fußballs so ein Szenario für unvorstell­bar. Ihre Stadionwel­t ist bunt. Deshalb verdrängen sie Spieltage wie diesen ersten in der DFB-Pokalrunde gern. Es wird ihnen allerdings immer seltener gelingen, wenn sie keine schlüssige Antwort auf die Gewalt geben.

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FOTO: DPA Ende der Pokalparti­e in Osnabrück: Schiedsric­hter Martin Petersen (re.) ist von einem Feuerzeug am Kopf getroffen worden.

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