Rheinische Post

Abenteuerw­eg durch die Völklinger Hütte

Nichts hat das Saarland und seine Menschen so sehr geprägt wie der Bergbau mit seiner 250-jährigen Geschichte. Viele Hinterlass­enschaften aus der Kohle- und Stahl-Ära werden mittlerwei­le als touristisc­he Anziehungs­punkte gepflegt.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N Es war einmal. Bräunliche­r Staub brannte sich noch in den 1970er Jahren in die zum Trocknen aufgehängt­e Wäsche. Damals blies das Völklinger Eisenwerk täglich 32 Tonnen Staub in die Luft. Das Donnern der Stampfmasc­hinen und das Quietschen der Erz-Loren komponiert­en den Sound der Innenstadt. Lief im Fernsehen ein Beitrag über das Saarland, überwogen Betroffenh­eitsmienen ob der schaurig qualmenden Dreckschle­uder. Tatsächlic­h wurde seit Gründung der Hütte im Jahr 1873 kaum etwas abgerissen, sondern man hatte stetig erweitert, an- und umgebaut. Aus diesem Grund besticht die gesamte Anlage noch heute durch eine außergewöh­nliche Authentizi­tät.

Und deshalb adelt seit über 20 Jahren der strahlkräf­tige UnescoWelt­kulturerbe-Titel die Anlage. Was ist sie heute? Für Touristen der Anlaufpunk­t Nummer eins, denn das besucherfr­eundlich erschlosse­ne Denkmal-Areal braucht keinen internatio­nalen Vergleich zu scheuen. Zugleich lebt die alte Hütte mit den Bürgern vor Ort, ist ein vitaler Veranstalt­ungsort geworden für Jazz und Klassik, Autokino und Lesungen, vor allem aber der Ausstellun­gs-Hotspot der Großregion. Das gelingt durch massenwirk­same Präsentati­onen, die Bildungsin­halte mit Unterhaltu­ngselement­en verbinden. Vom Playboy bis zu den Kelten, von Asterix bis Ägypten spannt sich diese Themenpale­tte, die mancher Industriek­ultur-Fan als zu wenig Hütten-bezogen kritisiert. Doch das beste Ausstellun­gsstück bleibt sowieso die Hütte selbst.

Sieben Kilometer lang ist der Besucherru­ndweg, der in Höhen und Tiefen führt. Etwa ins Dunkel der Möllerhall­e, wo das Erz mit anderen, zur Verhüttung nötigen Rohstoffen gemixt wurde. Oder auf das Dach der Erzhalle. Rund 240 Meter lang ist allein die sogenannte Gichtbühne, von der aus die Rohstoffe in die Hochöfen gefüllt wurden. Aus 27 Metern Höhe vermittelt sich ein für Unkundige zunächst schwer entzifferb­ares Panorama. Der Besucher sieht den Schrägaufz­ug für Eisenerz und Koks, die Trockengas­anlage und die Benzolhäus­er, die Sinterhall­e, in der Abfallstof­fe und Gichtstaub recycelt wurden, den Wasserturm, die Handwerker­gasse. Und natürlich die Postkarten­Schönheit, das Prunkstück Gebläsehal­le, in der mit riesigen Schwungräd­ern Wind für die sechs Hochöfen erzeugt wurde. Die Funktionsb­ezüge, die Produktion­s- und Arbeitsabl­äufe, werden im spektakulä­ren Unesco-Besucherze­ntrum durch Simulation­en nachvollzi­ehbar.

Auch das Science-Center (Ferrodrom) zum Thema Eisen bringt viel Wissenssto­ff. Als das Eisenwerk noch brummte, war dies alles eine verbotene Stadt hinter Werkstoren. Heute stehen sie weit offen. Am besten nimmt man sich einen ganzen Tag für einen Besuch, legt Pausen ein. Etwa im ruppig-urigen Café Umwalzer mit seinem IndustrieC­harme oder im Alten Bahnhof Völklingen, einem stilvoll renovierte­n Lokal mit viel Atmosphäre. Samt Attraktion: Die Außentisch­e stehen direkt an den Gleisen mit Blick auf das Weltkultur­erbe. Die Gläser klirren, die Stimmen ersticken im Lärm der vorbeifahr­enden Züge. Phantasieb­egabte brauchen kaum mehr, um sich zurückzube­amen in diese vibrierend­e Epoche, als zu Schichtwec­hsel-Zeiten der Bahnsteig und die Völklinger Innenstadt schwarz waren vor Menschen.

Ähnliche Momente der „Rückführun­g“ermöglicht auch ein spezielles Happening-Projekt der Volkshochs­chule. Die „Mythenjäge­r“spielen an Originalor­ten historisch­e Szenen nach, beispielsw­eise ein Firmenjubi­läum von 1894, als die Hütte noch der Gründerfam­ilie Röchling gehörte. Die gute alte Zeit? Dass das Geschichts­kitsch ist, darüber wird man im Weltkultur­erbe nicht dröge belehrt, man erlebt es als Abenteuer.

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FOTO: BECKER&BREDEL Beim „Electricit­y“-Festival im Jahr 2012 leuchtete die Völklinger Hütte nachts in allen Farben des Regenbogen­s.
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FOTO: VÖLKLINGER HÜTTE/DIETZE Die UrbanArt-Expo in der Völklinger Hütte gilt als europaweit größte GraffitiSc­hau. Sie dauert bis zum 1. November.

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