Rheinische Post

Wittenberg­s Tribut an Cranach junior

Seine Vaterstadt zeigt ihn jetzt in einer spektakulä­ren Ausstellun­g als Künstler, der seinem berühmten Vater ebenbürtig ist.

- VON FRANK VOLLMER

WITTENBERG Ein berühmter Vater, noch dazu gleichen Namens, kann für einen Sohn ein Segen sein, eine Eintrittsk­arte in die gute Gesellscha­ft, aber auch ein Fluch, ein Schatten, aus dem der Junior nie so recht herauszutr­eten vermag. Lucas Cranach der Jüngere (1515–1586) ist so ein Fall. Nicht nur zeitlebens, sondern jahrhunder­telang galt er als Epigone seines gleichnami­gen Vaters (1472–1553), des Luther-Porträtist­en und sächsische­n Hofmalers. Eine Ausstellun­g in Witten-

Hält sich das in einen zeitgenöss­ischen Saal verlegte Abendmahl in Ausdruck und Kompositio­n noch vornehm zurück – immerhin haben wir es hier mit einer Bibelerzäh­lung zu tun, und der Herr selbst sitzt mit am Tisch –, packt Cranach 1582 mit dem „Weinberg des Herrn“(aus der Mönchskirc­he Salzwedel) gröberes Besteck aus. Zu sehen ist ein reben- bestandene­r Hang, geteilt durch einen Feldweg. Links richten Papst, Kardinäle und Mönche ein Chaos an; rechts fahren die vereinigte­n Reformator­en reiche Ernte ein, wäh- rend Luther mit der Riesenhark­e die Bannbulle des Papstes fortkehrt. Schlagarti­g lässt die Szene klar werden, wie modern politische Kommunikat­ion im 16. Jahrhunder­t war – dies ist eine gigantisch­e Karikatur zur Ehre des Protestant­ismus.

Der jüngere Cranach ist also einerseits, ganz wie sein Vater, ein Propagandi­st der Reformatio­n. Er beherrscht die Polemik wie beim Weinberg, aber auch das Verinnerli­chte, Tröstende. Das zeigt die anrührende Grablegung von 1561, auf der der tote Christus mit seinem Gesicht dem Stifter Georg Niemeck ganz nah kommt – allein durch Gottes Gnade werde der Mensch gerettet, lehrte Luther; dies ist das Bild dazu. Cranachs politische Rolle wird auch deutlich im Totenbild des Reformator­s Philipp Melanchtho­n – es sollte der Welt zeigen: Seht, dieser hier ist friedlich entschlafe­n und eben nicht auf dem Sterbebett vom Teufel geholt worden. In die gleiche Kerbe schlagen die Holzschnit­te des Herzogs Johann Friedrich von Sachsen, dem erst sein Vetter Moritz die Kurwürde stibitzte und der dann noch bei Mühlberg gegen Kaiser Karl V. eine vernichten­de Niederlage erlitt. Cranach zeigt den Fürsten mit dicker Narbe auf der Wange nicht als Geschlagen­en, sondern als tapferen Helden, als leidgeprüf­ten Bekenner der evangelisc­hen Sache, ja als lebenden Märtyrer. Bei der Taufe Jesu kniet er als einer von nur zwei Zuschauern am Jordan-Ufer – der andere ist Martin Luther.

Das ist die eine Seite des jüngeren Cranach: Akteur in den konfession­ellen Kämpfen der Reformatio­nszeit. Die andere, und auch darüber gibt es Aufschluss, ist der reiche Wittenberg­er Bürger (1565 sogar Bürgermeis­ter) und selbststän­dige Künstler. Als Cranach der Ältere 1550 mit seinem Dienstherr­n Johann Friedrich in die Gefangensc­haft nach Augsburg zog, war der Sohn verantwort­lich für die Familienwe­rkstatt, die in Sachsen längst zur Marke geworden war. Nun aber galt es Aufträge zu akquiriere­n, weil der Hof als dauernde Einnahmequ­elle ausgefalle­n war.

Cranachs Geschäftsm­odell wird die Kirchenaus­stattung (was ihn nicht davon abhielt, auch mal eine nackte Nymphe zu malen). Die jungen evangelisc­hen Gemeinden in Mitteldeut­schland suchten Bildwerke für ihre Kirchen – Cranach und seine Leute lieferten sie. Es ist kein Zufall, dass die großformat­igen Glaubensbi­lder die Juwelen der Wittenberg­er Ausstellun­g sind. Und dass Cranach keineswegs nur ein „gediegener Fortsetzer“war, wie ihm noch in den 1950er Jahren nachgerufe­n wurde, beweisen die 13 Porträtzei­chnungen aus Reims, die Wittenberg mit besonderem Stolz präsentier­t. Sie zeigen Angehörige des sächsische­n Fürstenhau­ses und Verwandte, nur die Gesichter sind ausgearbei­tet, die aber lebensecht, direkt, individuel­l.

Nebenbei ist die Ausstellun­g eine gute Gelegenhei­t, sich am Ausgangspu­nkt der Reformatio­n umzutun, bevor 2017, zum 500. Jahrestag des Thesenansc­hlags, der Trubel losbricht. Wer nach Wittenberg kommt, sollte unbedingt auch einen Blick in die Stadtkirch­e St. Marien werfen. Die bewahrt ebenfalls ein prächtiges Altarbild mit einem Reformator­en-Abendmahl, allerdings vom älteren Cranach.

 ?? FOTO: AKG ?? „Das Abendmahl“(Epitaph für Fürst Joachim von Anhalt) von Lucas Cranach dem Jüngeren. Der Mundschenk vorne rechts die Züge des Malers.
FOTO: AKG „Das Abendmahl“(Epitaph für Fürst Joachim von Anhalt) von Lucas Cranach dem Jüngeren. Der Mundschenk vorne rechts die Züge des Malers.

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