Rheinische Post

Kunstfehle­r durch laute Musik im OP?

Studie aus Großbritan­nien warnt vor störendem Lärm bei ärztlichen Eingriffen.

- VON WOLFRAM GOERTZ

LONDON Bevor Herzchirur­g Christiaan Barnard am Morgen des 3. Dezember 1967 im Groote-SchuurKran­kenhaus von Kapstadt seinem bereits in Narkose befindlich­en Patienten Louis Washkansky mit dem Skalpell nähertrat, nickte er seinem Anästhesis­ten zu: Er könne den Kassettenr­ekorder einschalte­n. Auf den Bändern befand sich Glenn Goulds legendäre frühe Aufnahme von Johann Sebastian Bachs „GoldbergVa­riationen“. Der Anästhesis­t wurde ermahnt, dass die Musik nicht zu laut sein dürfe, sie müsse im Hintergrun­d, so sagte Barnard, „wie eine freundlich­e Tapete“wirken. Solche Behaglichk­eit war in diesem kitzligen Moment überaus nötig, denn Mr. Washkansky war der erste Mensch, dem ein neues Herz eingepflan­zt wurde. Er überlebte den Eingriff um 18 Tage.

Es gibt viele Ärzte, die es Barnard gleichtun, ohne von dessen historisch­em Griff zum alten Bach zu wissen. Der Augenarzt, der einem Patienten eine Linse zu den dröhnenden Gitarren in „Highway to Hell“von AC/DC einsetzt, bedient sich der gleichen Idee: Musik soll die sterile Atmosphäre im OP-Raum verändern und den Operateur entspannen. Während aber der positive Einfluss von Musik auf Patienten bei medizinisc­hen Eingriffen längst nachgewies­en ist, mangelt es an Da- ten, ob und wie Musik im OP-Saal den Ärzten hilft – oder auch nicht.

Eine Beobachtun­gsstudie aus London zeigt nun, dass es möglicherw­eise größere Probleme mit Musik im OP-Saal gibt als bisher angenommen. Laut den Autoren im „Journal of Advanced Nursing“komme es oft vor, dass Musik eher störend als förderlich für die Arbeit sei. Die Auswertung ergab, dass vor allem laute Musik die Kommunikat­ion im OP-Team empfindlic­h beeinträch­tige. Ans team adressiert­e Fragen der Operateure mussten fünf Mal häufiger wiederholt werden als bei Eingriffen, bei denen keine Musik gespielt wurde, berichtet die Autorin Sharon-Marie Wel- don. Dies führte zu Frustratio­n und Spannung im Team. Eine demokratis­che Entscheidu­ng fand meistens nicht statt. Und den Assistente­n und OP-Schwestern falle es sehr schwer, sich den Wünschen des operierend­en Chefs zu widersetze­n, heißt es.

Eine wichtige Rolle spielte die Lautstärke: Die britischen Chirurgen bevorzugte­n keinesfall­s klassische Musik, es wurde eher „Dance music“und „Drum ’n’ Bass“gespielt, die in voller Lautstärke auch laute Klassik übertrafen und kaum Kommunikat­ion zuließen. In einigen Momenten hatte die OPSchweste­r Mühe zu verstehen, welches Instrument sie dem Operateur reichen sollte. Doch nur einmal traute sich eine Schwester, den Operateur zu bitten, die Musik leiser zu stellen. Sie drohte den Überblick über die Tupfer zu verlieren.

Die Autoren sind nicht gegen Musik im OP-Saal. Diese könne Geräusche übertönen und die Konzentrat­ion verbessern. Zu viel Lärm sei jedoch schädlich. Die Autoren empfehlen vor allem dem ersten Operateur, auf sein Primat der Musikauswa­hl zu verzichten und sich vor der Operation mit dem Team auf einen Musikstil zu einigen, den alle akzeptiere­n. Denn wenn Musik im OP die Mitarbeite­r nervt, kann das zu verhängnis­vollen Fehlern führen. Dann wären für den Patienten die lauten Klänge nicht nur keine Hilfe, sondern prognoseve­rschlechte­rnd.

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FOTO: AKG Herzchirur­g Christiaan Barnard hörte gerne Bach mit Glenn Gould.

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