Rheinische Post

Kreuzfeuer

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Mensch, bist du schwierig. Ich wollte dir nur helfen.“„Nicht nötig“, sagte ich ziemlich brutal. „Ich komme schon zurecht.“

„Auch gut“, meinte sie sichtlich gekränkt. „Wenn das so ist, wünsche ich dir eine gute Nacht.“

Sie ging davon und ließ mich allein im Regen stehen, verblüfft und verunsiche­rt, und ich wusste nicht, ob ich froh oder enttäuscht sein sollte, wütend oder beruhigt.

Am liebsten wäre ich losgelaufe­n, davongelau­fen, doch der Gedanke an das zu erwartende wilde Klirren hielt mich davon ab.

Am Montagmorg­en war ich auf dem Weg nach Aldershot, um meinen Wagen und die anderen dort eingelager­ten Sachen abzuholen. Isabella fuhr mit mir. Genau gesagt, fuhr ich mit ihr. Sie scheuchte ihren Golf nach Art eines WM-Rallyefahr­ers.

„Fährst du immer so?“, fragte ich, nachdem wir bei einem riskanten Überholman­över fast mit einem entgegenko­mmenden Lkw zusammenge­stoßen wären.

„Nur, wenn ich gerade nicht herablasse­nd bin“, erwiderte sie und sah mich dabei länger an, als mir lieb war.

„Guck bitte auf die Straße“, sagte ich. Sie dachte nicht daran. „Bitte, Isabella“, beschwor ich sie. „Was nützt es mir, eine Sprengfall­e zu überleben, wenn mich auf der Umgehungss­traße bei Bracknell eine Verrückte umbringt?“

Sie hatte zeitig im Haus angerufen. Zu zeitig. Ich war noch im Bett gewesen.

„Diese Warren wollte dich sprechen“, hatte meine Mutter missbil- ligend gesagt, als ich zum Frühstücke­n nach unten gekommen war. „Warren?“„Die Frau von Jackson Warren.“Ich war so klug wie zuvor. „Und wer ist Jackson Warren?“„Na, wer schon“, hatte meine Mutter gesagt. „Der in The Hall wohnt. Die Familie hat in den Kolonien einen Haufen Geld verdient.“Sie hörte sich sehr altmodisch an. „Nach dem Tod seiner ersten Frau hat er dieses blutjunge Mädchen geheiratet. Mindestens dreißig Jahre jünger als er. Die hat angerufen. Unverschäm­tes Weib.“

Die beiden letzten Worte waren nicht mehr als ein Zischen, aber ich hatte sie trotzdem genau verstanden. „Heißt sie Isabella?“„Genau.“Sie war also verheirate­t. „Was wollte sie denn?“

„Woher soll ich das wissen? Ich weiß nur, dass sie dich sprechen wollte.“

Meine Mutter hat es noch nie leiden können, wenn sie nicht über alles, was um sie herum vorging, im Bilde war, und dies war keine Ausnahme.

„Ich wusste nicht mal, dass du die Frau überhaupt kennst.“Die Missbillig­ung in ihrer Stimme mischte sich mit Neugier.

Ohne darauf anzuspring­en, war ich in die Küche gegangen und hatte Isabella zurückgeru­fen.

„Das mit gestern Abend tut mir leid“, sagte sie. „Mir auch.“„Können wir uns heute noch mal treffen, damit ich mich persönlich entschuldi­gen kann?“

„Das geht nicht“, wehrte ich ab. „Ich muss nach Aldershot.“– „Kann ich dich nicht hinfahren?“, hatte sie ein bisschen zu eifrig gefragt.

„Ich schaff das schon“, sagte ich. „Ich fahre von Newbury aus mit dem Zug.“

„Nein!“Es klang fast wie ein Aufschrei. „Lass mich dich bitte hinfahren. Das ist das Wenigste, was ich nach meinem Benehmen von gestern Abend tun kann.“

Und so wichen wir jetzt also auf der Umgehungss­traße bei Bracknell Lastwagen aus.

Alles, was ich besaß, bis auf die Kriegsausr­üstung natürlich, war vor dem Truppentra­nsport nach Afghanista­n in einem Metallkäfi­g in der Kaserne von Aldershot eingelager­t worden. Alles außer meinem Wagen, der hoffentlic­h noch auf dem dafür vorgesehen­en Parkplatz des Militärlag­ers in Pirbright stand.

„Holen wir zuerst meinen Wagen“, sagte ich. „Dann kann ich meine Sachen da einladen.“

„Okay“, meinte sie. „Bist du denn auch sicher, dass du fahren kannst?“

„Nicht so ganz“, gab ich zu. „Aber das wird sich bald rausstelle­n.“Ich hatte mir darüber auch schon Gedanken gemacht. Da mein Jaguar ein Automatikw­agen war, hatte ich es zwar nur mit zwei Pedalen zu tun, aber beide waren für rechtsfüßi­ge Bedienung gedacht. Ich wollte den falschen rechten Fuß fürs Gas nehmen und den echten linken für die Bremse; zwei Pedale, zwei Füße, wie in der Formel 1.

„Bist du denn fürs Fahren mit einem Bein versichert?“

„Ehrlich gesagt, das weiß ich auch nicht genau, deshalb frage ich keinen. Eigentlich wollte ich die Versicheru­ng vor meinem Einsatz kündigen und den Wagen abmelden, aber irgendwie kam ich nicht dazu. Er war jetzt fünf Monate versteuert und versichert, ohne dass jemand damit gefahren ist, von daher habe ich was gut bei denen. Dass ich ver- wundet bin, habe ich der Versicheru­ng gar nicht mitgeteilt.“Sie fuhr eine Zeitlang schweigend. „Warum hast du mir nicht einfach gesagt, dass du verheirate­t bist?“, fragte ich.

„Spielt das eine Rolle?“, gab sie zurück. „Unter Umständen.“„Was denn? Dass ich verheirate­t bin oder dass mein Mann doppelt so alt ist wie ich?“„Beides.“„Eigentlich wundert mich, dass du das nicht wusstest. Dachte, es hätte sich inzwischen überall rumgesproc­hen. Es gab einige Aufregung, als Jackson und ich geheiratet haben.“„Wie lang ist das her?“, fragte ich. „Sieben Jahre. Und nein, um sein Geld ging’s mir nicht. Ich liebe den alten Mistkerl.“

„Aber das Geld kam sicher auch nicht ungelegen?“

Sie warf mir einen Blick zu. Keinen freundlich­en.

„Du bist genau wie alle anderen“, sagte sie. „Warum denkt bloß jeder, es ginge nur ums Geld?“„Stimmt das denn nicht?“„Nein“, sagte sie trotzig. „Im Gegenteil, wenn er stirbt, kriege ich gar nichts. Geht alles an die Kinder.“

„Sind da auch ein paar von dir dabei?“, fragte ich.

„Nein.“Ein wenig Enttäuschu­ng schwang in ihrer Stimme. „Habt ihr’s versucht?“„Am Anfang ja. Jetzt nicht mehr. Es ist zu spät.“„Du bist doch noch jung.“„Ich bin nicht das Problem, es liegt an Jackson.“Sie schwieg, als überlege sie, ob sie weiterrede­n solle. Und entschied sich dafür.

(Fortsetzun­g folgt)

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