Rheinische Post

Der fast vergessene Oberbürger­meister

Wilhelm Füllenbach war der erste Stadt-Chef nach der Befreiung Düsseldorf­s. Für nur fünf Monate. Seine Tochter erinnert sich.

- VON DENISA RICHTERS

Der 17. April 1945 ist für die Düsseldorf­er ein bedeutende­r Tag. Denn statt von den Alliierten zerbombt zu werden, wird die Stadt nach der Aktion einer Gruppe mutiger Männer um Alois Odenthal friedlich von den Amerikaner­n eingenomme­n. Für Susanne Günnewig bleibt der Tag aus einem weiteren Grund unvergessl­ich. Die Sonne scheint, die Kastanien blühen und trotz der Gefahr – die Amerikaner schießen seit Tagen Artillerie­feuer vom linksrhein­ischen Ufer – geht die 16-Jährige vor das Haus an der Cecilienal­lee, in dem sie mit ihren Eltern und Geschwiste­rn wohnt, um ein wenig aufzuräume­n. Ein Militär-Jeep fährt vor, darin Dominikane­r-Pater Urban Plotzke und ein amerikanis­cher Offizier. „Wo ist Mister Wilhelm Füllenbach?“, fragt der. „Im Rathaus“, sagen die junge Frau und ihre Mutter.

Weil das Gebäude am Marktplatz zerstört ist, ist das Rathaus bei den Stadtwerke­n an der Luisenstra­ße untergebra­cht. Der Jeep braust dorthin. „Mister Füllenbach, ab heute sind Sie Oberbürger­meister. Sie müssen für Ruhe und Ordnung sorgen“, teilt der Offizier dem Mann mit, der seit 1920 Beigeordne­ter ist und seit acht Jahren die Finanzen der Stadt verantwort­et. An diesem Abend fährt Füllenbach als neuer Stadt-Chef mit dem Fahrrad nach Hause. Er soll es nur fünf Monate bleiben.

Der 57-jährige Jurist übernimmt eine zerstörte Stadt, muss die Not lindern, den Wiederaufb­au einleiten und für Zusammenha­lt sorgen. „Er war von morgens bis abends unterwegs, um Unterkünft­e und Lebensmitt­elkarten zu organisier­en, Straßenbah­nen zum Fahren zu bringen“, sagt die Tochter. Schwierig ist auch die Neuorganis­ation der Stadtverwa­ltung. Manche werfen Füllenbach vor, die Posten nur an ihm Nahestehen­de zu vergeben.

Am 18. September 1945 kommt der Anruf, der sein Leben verändert. Es wird ihm mitgeteilt, dass die britische Militärreg­ierung ihn seines Amtes enthebt, weil er als belastet gilt. Der nachdrückl­iche Protest des Vertrauens­ausschusse­s, aus dem später der Stadtrat hervorging, bleibt ungehört. Zu Füllenbach­s Fürspreche­rn gehören Karl Arnold (CDU), Georg Glock (SPD) und Peter Waterkortt­e (KPD). Die Briten bleiben hart. Für Füllenbach und seine Familie hat das nicht nur emotional Folgen, auch finanziell: Denn ihm dürfen keine Bezüge ausbezahlt werden.

Erst nach und nach stellt sich heraus, dass Füllenbach bei den Briten denunziert worden ist von einem Mann, der von den Amerikaner­n als Oberregier­ungsrat eingesetzt worden war, um für die Opfer des Nazi- Regimes zu sorgen. Er gab an, Füllenbach habe versucht, Mitglied der NSDAP zu werden, sei förderndes Mitglied der SS gewesen. Füllenbach hält in vielen Schreiben dagegen, es dauert Monate, bis er als Opfer einer Intrige rehabiliti­ert wird. Im April 1946 übernimmt er die Leitung der Rheinwohnu­ngsbau AG. Der Mann, der ihn denunziert­e, ist da bereits von den Briten wegen Betrugs entlassen. Erst im Herbst 1946 wird Füllenbach seine Pension als Kämmerer zuerkannt – da ist er längst ein gebrochene­r Mann. Wenige Wochen nach dem plötzliche­n Tod seiner Frau stirbt Füllenbach im Februar 1948 nach schwerer Krankheit, gerade mal 60 Jahre alt. Zur Beerdigung kommen die wichtigste­n Persönlich­keiten der Stadt.

Seine Tochter, die heute 86 ist und in Neuss lebt, kann noch immer nicht verstehen, was ihrem Vater passiert ist. „Wir fühlten uns mit dem Einmarsch der Amerikaner befreit.“Ihr Vater sei ein Schwarzer, also ein überzeugte­r Katholik, gewesen, Mitglied der Zentrumspa­rtei, niemals der NSDAP. Mit den Nazis habe er nie gekonnt, sagt Susanne Günnewig. Wegen seines Fleißes und seiner Expertise ließen die nationalso­zialistisc­hen Machthaber Füllenbach im Amt, blieben aber skeptisch. So schrieb Oberbürger­meister Carl Haidn Anfang 1944, dass Füllenbach­s „alleseitig­e Verwendbar­keit“dadurch „sehr beeinträch­tigt“sei, dass „ihm die nationalso­zialistisc­he Initiative fehlt“und er „einer zielbewuss­ten Führung“bedürfe.

Die Familie Füllenbach war befreundet mit dem Bischof von Münster und späteren Kardinal van Galen, der öffentlich gegen die Ermordung Behinderte­r durch die Nationalso­zialisten eingetrete­n war. Auch der Dominikane­r-Pater Urban, der an jenem 17. April im Militär-Jeep saß, war wegen seiner regimekrit­ischen Predigten bekannt und deshalb von der amerikani- schen Kommandant­ur bestellt worden, einen möglichst unbelastet­en Oberbürger­meister zu finden. Er entschied sich für Füllenbach.

„Wir hatten immer Kontakt zu Widerständ­lern“, sagt Günnewig. Sie selbst habe im Keller die Auslandsse­nder abgehört. Jeden Tag habe man von einer Bombe getroffen werden können. Nein, Angst habe sie nie gehabt. „Man war einfach voller Adrenalin.“Am Ende hatte die siebenköpf­ige Familie ein Opfer zu beklagen: Einer der Brüder fiel an der Ostfront.

Ihre Schwester Birgid wurde später Schauspiel­erin. Und der Vater eben der erste Oberbürger­meister nach dem Krieg. Im Bewusstsei­n der Düsseldorf­er ist Wilhelm Füllenbach aber kaum mehr. In Golzheim ist eine Straße nach ihm benannt, auf dem Südfriedho­f hat er ein Eh- rengrab. Doch in der Galerie der Oberbürger­meister sucht man sein Porträt vergeblich. Dabei gibt es eins – viele Jahre nach Füllenbach­s Tod nach einem Foto von dem Maler Oswald Petersen gemalt. Ausgestell­t ist es nirgends, es lagert im Depot des Stadtmuseu­ms. Günnewig will es sich demnächst anschauen. Eine Erinnerung aber geht ihr nicht mehr aus dem Kopf: Wenige Tage vor seinem Tod habe der Vater große Lust auf Eier gehabt. Die Tochter besorgte sie bei einem Bauern in Benrath, verstaute die kostbare Schwarzwar­e in der Handtasche und stieg in die Straßenbah­n Richtung Krankenhau­s. „Dann gab’s eine Vollbremsu­ng, ein Mann fiel auf meinen Schoss, in meiner Handtasche war Rührei.“Susanne Günnewig zuckt mit den Schultern und lächelt.

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FOTO: PRIVAT Wilhelm Füllenbach an seinem Schreibtis­ch im Düsseldorf­er Rathaus (das Foto ist undatiert). Er war von 1920 an Beigeordne­ter, ab 1937 Kämmerer, bevor er am 17. April 1945 zum Oberbürger­meister ernannt wurde.
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RP-FOTO: BERNS Füllenbach­s Tochter, Susanne Günnewig, hat alle Erinnerung­en an die die Oberbürger­meister-Zeit ihres Vaters aufgehoben.

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