Rheinische Post

Einmal ein König sein

Der Kleingarte­nverein Königsbusc­h in Gerresheim ist mit fast 13 000 Quadratmet­ern Fläche der größte in Nordrhein-Westfalen.

- VON MARC INGEL

GERRESHEIM Es begab sich zu jener Zeit, als ein Brief von Düsseldorf nach München zwei Millionen Mark kostete: Vor rund 90 Jahren, als die Folgen der Inflation noch in jeder Lebenslage zu spüren waren, traten die Herren Tomczak und Herici mit der Bitte an den Bergischen Schulfonds heran, ein Waldstück südlich der Haardt, das im Volksmund Königsbusc­h genannt wurde, zwecks Errichtung von Kleingärte­n pachten zu dürfen.

Die Verhandlun­gen führten bald zum Erfolg, doch die Kleingarte­nPioniere wussten sehr wohl, dass sich das Stück Land alles andere als königlich präsentier­te. Ein Chronist beschreibt den Königsbusc­h als unwegsamen Moorwald mit einem Dickicht voller Weiden und Schilf, in dem neben Ur und Wolf, Wildschwei­n und Wildpferd auch des Waldes König, der braune Bär, hauste. Und es mag daher viele Jahre gedauert haben, bis sich das Kleingarte­ngelände in einem ähnlich aufgeräumt­en Zustand wie heute präsentier­te.

Von der Bertastraß­e aus betritt der Besucher das Areal und hat zunächst eine endlos lang scheinende, asphaltier­te Straße vor sich, von der aus mehrere Nebenstraß­en abgehen, die allesamt Namen von Blumen tragen. An den Gärten hängen Briefkäste­n, in die nie ein Postbote jemals einen Brief werfen wird. Die seien einst für interne Mitteilung­en des Vereins aufgehängt worden, sagt Heino Kuske, Vorsitzend­er des Kleingarte­nvereins, „das hat aber nie richtig funktionie­rt“.

Er wartet in der Gaststätte, dem Zentrum des Geländes. Es ist quasi das Rathaus, und Kuske so etwas wie der Bürgermeis­ter. Denn der Königsbusc­h ist nicht irgendein Kleingarte­nverein, sondern der größte in Nordrhein-Westfalen: fast 130 000 Quadratmet­er an Fläche, mit 327 Parzellen und 430 Mitglieder­n. Das als Dreieck angelegte Gelände wird auch gerne von Joggern genutzt. Eine „Runde“misst in etwa 1,3 Kilometer. Seit 2011 ist der Königsbusc­h zudem an das Kanalsyste­m angeschlos­sen, vorbei ist die Zeit übelrieche­nder Sickergrub­en.

Zwischen den Obstbäumen bauen die Pächter auf ihren Parzellen Salat und Gurken, Tomaten und Kartoffeln an. „Noch ein paar Kühe, und wir könnten hier komplett autark leben“, scherzt Kuske. In der Sommersais­on von Mai bis Oktober verlassen die Bewohner nur ungern ihr kleines Paradies, das vor allem eines bietet: „Ruhe, Ruhe, Ruhe“, zählt Kuske auf.

Das impliziert jedoch Regeln, an die sich alle zu halten haben. Die Mittagsruh­e von 13 bis 15 Uhr gehört dazu, auch nach 19 Uhr oder an Wochenende­n sollte man nicht unbedingt den Rasenmäher anwerfen oder Dachlatten zersägen. Wer das ignoriert oder sogar meint, er müsse illegale Anbauten an seiner Laube vornehmen, den knöpft Kuske sich vor. „Das lässt sich allerdings meist in einem ruhigen Gespräch klären.“Notfalls gibt es eine schriftlic­he Abmahnung, in allerletzt­er Instanz die Kündigung.

So etwas ist im Königsbusc­h aber die Ausnahme. Hier lebt ein buntes Nationenge­misch, man versteht sich, „zu kleineren Reibereien unter Nachbarn kommt es natürlich immer mal“, räumt Kuske ein, der dann vermittelt, in der Regel mit Erfolg. Metzger und Maurer fühlen sich genauso heimisch wie der Bankdirekt­or. Da viele Handwerker unter den Mitglieder­n sind, können fast alle Arbeiten ohne Hilfe von außen durchgefüh­rt werden. Das Alter der Mitglieder erstreckt sich von 20 bis Mitte 90. „Teilweise haben bei uns Familien aus drei Generation­en einen Garten, denn die Kinder wollen irgendwann selbst eine Parzelle haben“, berichtet Kuske – was sich jedoch bisweilen als schwierig herausstel­lt, denn wer einmal eine solche grüne Oase im Königsbusc­h sein eigen nennt, „verlässt diese auch erst mit den Beinen voraus“. Der 58-Jährige ist seit 37 Jahren Königsbusc­her, seit 2007 der Vorsitzend­e, fünf Vorstandsm­itglieder unterstütz­en ihn.

Jeden Sonntag bietet Kuske eine Sprechstun­de an. Ein beliebtes Thema: die Parkplaket­ten in Form von Tulpen-Aufklebern. „Es gibt nur rund 100 Parkplätze, aber viel mehr Pächter und Autos“, erklärt Kuske. Daher muss jeder sich mit Nummernsch­ild registrier­en lassen und auch beim Kauf eines neuen Wagens den Wechsel angeben. Sonst bleibt die Schranke am Ende der Hauptstraß­e unten.

Vor zweieinhal­b Jahren geriet der Königsbusc­h einmal in die Schlagzeil­en. Es gab einen Mord, ein homosexuel­ler Pächter wurde von einem jugendlich­en Arbeitslos­en erstochen. Auf einmal war die Hölle los im Königsbusc­h, Polizei, Presse, Gaffer. Doch das ist für die Gartenfreu­nde lange her, längst ist wieder die gewohnte Ruhe eingekehrt. Und so soll es auch bleiben.

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RP-FOTO: BERND SCHALLER Heino Kuske, der „Bürgermeis­ter von Königsbusc­h“, in seinem kleinen Garten-Paradies.

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